„Zu passiv in Europa“: CDU verlangt vor Nato-Gipfel klare Worte zur Zeitenwende von „Friedenskanzler“ Scholz
Aus Sicht des CDU-Politikers Johann Wadephul lebt Deutschland in der Vergangenheit. Die Bevölkerung habe die Gefahren des Ukraine-Krieges nicht richtig verstanden.
Berlin – Die Pressekonferenz zum Haushaltsentwurf ist kaum vorbei, da jubelt die SPD-Fraktion über die Ausgaben für die Verteidigung. Die Nato-Quote von zwei Prozent vom Bruttoinlandsprodukt werde erreicht. „Das ist ein sehr gutes Signal kurz vor dem Gipfel des Verteidigungsbündnisses“, so der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Wolfgang Hellmich. „Wir setzen die Vorgaben der Zeitenwende um, und das Schritt für Schritt.“
In der CDU sehen sie das ganz anders. Wenige Tage vor dem Nato-Gipfel in Washington vom 9. bis zum 11. Juli wirft Unionsfraktionsvize Johann Wadephul dem Bundeskanzler vor, verdruckst auf die russische Aggression in der Ukraine zu reagieren. „Olaf Scholz muss die Zeitenwende vorleben“, sagte Wadephul in einem Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „Er hat ein großes Wort geprägt, aber nie den Inhalt folgen lassen“, kritisierte der CDU-Politiker. „Diese Inkonsequenz fällt ihm jetzt auf die Füße.“ Zweieinhalb Jahre nach dem russischen Angriff auf die Ukraine stehe Scholz in der Verantwortung, „den Menschen in Deutschland zu erklären, was der Begriff Zeitenwende genau heißen soll“.
Scholz hat die Zeitenwende kurz nach Putins Angriff auf die Ukraine ausgerufen
Scholz hatte die Zeitenwende kurz nach dem groß angelegten russischen Angriff auf die Ukraine ausgerufen. „Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents“, sagte der SPD-Politiker damals vor dem Deutschen Bundestag. Durch den Überfall auf die Ukraine habe der russische Präsident Wladimir Putin kaltblütig einen Krieg vom Zaun gebrochen. „Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor“, sagte Scholz. Eine der großen Herausforderungen liege darin, zu verhindern, dass Putins Krieg auf andere Länder in Europa übergreift.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache hat „Zeitenwende“ 2022 zum Wort des Jahres gekürt. „Auf der Straße ist dieser Begriff aber längst nicht angekommen“, sagte CDU-Politiker Wadephul nun im Gespräch. „Wir leben nicht in einem militärischen Konflikt, sodass Deutschland militärisch angegriffen würde, aber wir leben auch nicht im Frieden“, erklärte er: „Wir werden im Cyberraum angegriffen, gefährdet ist auch unsere kritische Infrastruktur und die unserer europäischen Verbündeten.“ Dies sei bei Nord Stream 2 offensichtlich geworden oder bei Balticconnector, einem Datenkabel zwischen Estland und Finnland. „Die deutsche Bevölkerung hat all diese Gefahren noch nicht richtig verstanden.“
Wadephuls Kritik: „Waffenlieferungen an die Ukraine sind zu spät gekommen“
Scholz hat sich aus Sicht des CDU-Verteidigungspolitikers in eine widersprüchliche Situation gebracht. „Auf der einen Seite präsentiert er sich auf Wahlplakaten als Friedenskanzler, zum anderen betont er, was Deutschland schon alles für die Ukraine getan habe.“ Bisher seien sämtliche Waffenlieferungen an die Ukraine jedoch zu spät gekommen, sagte Wadephul. „Zunächst hat er die Lieferung von Marder-Schützenpanzern verteufelt, Monate später ist sie dann doch erfolgt. Jetzt streiten wir schon seit Monaten über die Abgabe von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine.“
Die Nato feiert in Washington in schwierigen Zeiten ihren Jubiläumsgipfel, im April ist der Nordatlantikpakt 75 geworden. Zwei Drittel der Nato-Mitgliedsstaaten seien auf einem guten Weg, das Zwei-Prozent-Ziel nationaler Verteidigungsausgaben zu erfüllen, sagte Wadephul, die Bundesregierung müsse jetzt sicherstellen, dass dieses Ziel tatsächlich auf Dauer eingehalten wird. „Deutschland ist zu passiv“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion. „Das Land muss eine Führungsrolle übernehmen und zeigen, wohin Europa steuern sollte.“
Aus Sicht des CDU-Politikers steht Deutschland mehr denn je in der Verantwortung, seine militärische und zivile Verteidigungsfähigkeit zu steigern. „Immerhin gibt es jetzt seit einem Jahr eine Nationale Sicherheitsstrategie“, sagte Wadephul. „Das ist allerdings nur ein Ausgangspunkt, umgesetzt wurde bislang kaum eine sicherheitspolitische Maßnahme.“ Die CDU fordert bereits seit der Vorstellung der Strategie einen Nationalen Sicherheitsrat, an dem sich auch die Bundesländer beteiligen sollen. „Bislang sind die Länder außen vor, obwohl sie wichtige Polizeiaufgaben haben“, sagte Wadephul. „Wenn Nord Stream 2 angegriffen wird, kann nicht allein die Wasserschutzpolizei Mecklenburg-Vorpommern zuständig sein.“