Wie ein Dorf sein Gotteshaus fit für die Zukunft macht: „Kirchen sind Kulturdenkmäler“

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Ein Schmuckstück mitten im Dorf: die Deutenhausener Kirche St. Johannes der Täufer. © Veronika Mahnkopf

Je weniger Menschen Gottesdienste besuchen und Kirchensteuern bezahlen, und je weniger Priester in den Gemeinden zur Verfügung stehen, desto häufiger müssen sich die Kirchen vor Ort fragen, wie sie ihre Gotteshäuser noch erhalten können.

Deutenhausen – Es ist Palmsonntag. In Deutenhausen ziehen die Gläubigen mit ihren Palmbuschen in einer Prozession vom Brunnen am Gasthof „Zum Stern“ zur Dorfkirche St. Johannes der Täufer. Es sind einige, an diesem Sonntag vor Ostern. Auch ein alter, gebeugt gehender Mann ist dabei. Mühsam zieht er sich die vier Stufen bis zum Kircheneingang am Handlauf hinauf und setzt sich ganz hinten in die Bank. Als der Gottesdienst beginnt, ist das Kircherl beinahe voll. Ein seltener Anblick.

Ostern und Weihnachten: Das sind die christlichen Feiertage, an denen sich die Kirchen im Landkreis füllen, die ganz kleinen Dorfkirchen genauso wie die großen. Doch drumherum sind im Jahr ganz viele Sonntage, an denen sich gerade mal eine Hand voll Leute in die Gotteshäuser verirren. Trotzdem müssen die Kapellen, Kirchlein und Kirchen erhalten werden – meistens, weil sie denkmalgeschützt und damit Kulturgut sind. Und auch, weil sie in vielen Dörfern Teil der Identität der Bevölkerung sind.

Doch dieser Erhalt kostet Geld, manchmal sogar sehr viel. Geld, das die Kirchenstiftungen vor Ort – als Besitzer der Gebäude – aufbringen müssen. Gelingt das nicht mehr, gibt es nur noch einen, wenn auch sehr seltenen, Ausweg: Kirchen werden profaniert, also entweiht, und umgenutzt. Oder gar, wenn sie nicht denkmalgeschützt sind, abgerissen.

Neues Dach und zweiter Eingang

Ein Schicksal, das der denkmalgeschützten Deutenhausener Kirche nicht droht. Doch die Kirchengemeinde spürt gerade ganz deutlich, was es heißt, das Gotteshaus am Leben zu erhalten. Bei dem Gebäude ist das Dach fällig. Und es braucht einen zweiten, barrierefreien Eingang, damit zum Beispiel der alte, treue Kirchgänger bequem und sicher in die Kirche kommt. Doch die Schultern, die die Last der ehrenamtlichen Arbeit und Kosten tragen, werden immer weniger. 120 Mitglieder hat die Kirchenstiftung Deutenhausen noch. Nur selten ist St. Johannes so gut gefüllt wie am Palmsonntag. Der alte Mann aber, er ist immer da. Auch für ihn muss die Ertüchtigung der kleinen Kirche in dem Weilheimer Ortsteil gelingen. Das Kircherl muss fit für die Zukunft werden.

Uralt und Porös: Kirchenpfleger Klaus Gast zeigt eine Dachplatte aus dem Jahr 1798.
Uralt und Porös: Kirchenpfleger Klaus Gast zeigt eine Dachplatte aus dem Jahr 1798. © Veronika Mahnkopf

Klaus Gast kennt die Deutenhausener Dorfkirche wie kein anderer. Gast ist Kreisheimatpfleger im Landkreis, ein wandelndes Geschichtsbuch, wenn es um die Region geht. Und er ist Kirchenpfleger in der Kirchenverwaltung Deutenhausen, seiner Heimatgemeinde. An einem Sonntag Anfang April verkündet er im Gottesdienst die frohe Botschaft: Das statische Gutachten ist nun da, die Dachsanierung der Dorfkirche kann beginnen. Auch das Geld für den zweiten, barrierefreien Eingang haben die Deutenhausener fast beisammen Und das Denkmalschutzamt und das Bistum Augsburg haben den Baumaßnahmen zugestimmt. Der erste Schritt in die Zukunft ist geschafft.

Vor zwei Jahren seien die Deutenhausener darauf gekommen, dass ein zweiter Eingang her müsse, erzählt Gast nach dem Gottesdienst. Zum einen sei es für einen Ministranten der Gemeinde, der im Rollstuhl sitzt, schwierig und auch gefährlich, die Treppe am Eingang zu überwinden. Überhaupt jeder Gläubige mit Rollator, Kinderwagen oder sonstiger Bewegungseinschränkung tue sich mit den vier Stufen hart.

: Schier unüberwindbar für viele Kirchenbesucher: die vier Stufen zur Eingangstür.
Schier unüberwindbar: Die vier Stufen zur Eingangstür. © Veronika Mahnkopf

Zum anderen aber könne sich die Kirche im Brandfall zu einer tödlichen Falle entwickeln. „Für mich als alten Feuerwehrler war das immer ein Anliegen: Es braucht einen zweiten Fluchtweg“, sagt Gast. Man habe verschiedene Lösungen durchdacht, zum Beispiel auch eine Rampe am bestehenden Eingang. Die hätte wegen des großen Höhenunterschieds aber sehr lang werden müssen – und hätte das Fluchtwegproblem nicht gelöst. So entschied man sich für einen zweiten Eingang schräg gegenüber des Friedhoftors, in die Sakristei. Dort gibt es schon ein Fenster, das nun zur Tür umgebaut wird. „Weil da im Moment die Elektrik ist, muss man die verlegen. Deshalb wird das Ganze mit fast 30 000 Euro relativ teuer“, sagt Gast.

Das Dach allerdings, das wird nochmal eine ganz andere Nummer. „Hier sprechen wir von Kosten in Höhe von mindestens 100 000 Euro“, sagt der Kirchenpfleger. Die Maßnahme sei aber unumgänglich, wie die Verantwortlichen in der Kirchenverwaltung im vergangenen Jahr festgestellt haben. Denn die Dachplatten sind noch aus dem Jahr 1798, damals hergestellt in der Pollinger Ziegelei. „Sie lösen sich auf.“

Seit Jahrzehnten würden einzelne Dachplatten ersetzt, ein „einziges Flickwerk“. Jede Reparatur sei sehr teuer, weil sie nur mit einer Hebebühne erledigt werden könne. Das größte Problem aber: Unter den Dachplatten kommt direkt das Dach㈠gewölbe mit Schilfmatten, Putz und Stuck. „Wenn eine Platte wegrutscht, regnet es in den Dachboden.“ Das Denkmalschutzamt habe die Brisanz der Situation schnell erkannt – „aufgrund der Erfahrungen, die man bei den Unwettern in Benediktbeuern machen musste“.

„100 Prozent kann das Bistum nicht bezahlen“

Im August 2023 hatten Starkregen und Hagel dort mehrere Dächer der Klosteranlage abgedeckt, es entstand ein gigantischer Schaden. Deshalb muss das Dach der Deutenhausener Kirche nicht nur neu gedeckt, sondern darunter auch eine hölzerne Schalung angebracht werden, um den Innenraum zu schützen. Und weil das zusätzliches Gewicht bedeutet, musste nun die gesamte Statik der Kirche überprüft und muss teilweise auch ertüchtigt werden.

Von Anfang an war klar: 40 Prozent muss die Kirchenstiftung selbst stemmen, den Rest bezuschusst das Bistum. „100 Prozent könnte das Bistum nicht bezahlen“, so Gast. Es seien schlicht zu viele Kirchen, und die Einnahmen gingen in den Diözesen größtenteils für Personal, Verwaltung und soziale Zwecke wie Kindergärten drauf.

Doch woher soll die Kirche vor Ort das Geld nehmen? Die Stiftung hat keine Einnahmen, außer ein kleiner Anteil aus den Kirchensteuergeldern des Bistums Augsburg. So akquirierten Gast und die anderen Kirchenverwaltungsmitglieder in den vergangenen Monaten Spendengelder aus Veranstaltungen wie dem Adventssingen, außerdem bedachten Vereine die Stiftung mit Spenden. „Für den zweiten Eingang haben wir schon recht viel beieinander“, so Gast. Für das Dach fehlt es allerdings noch an allen Ecken und Enden. „Früher war das einfacher, da waren mehr Leute in der Kirche, haben auch mal Summen gestiftet.“

Was tun mit immer leereren Kirchen?

Je weniger Menschen Gottesdienste besuchen und Kirchensteuern bezahlen, und je weniger Priester in den Gemeinden zur Verfügung stehen, desto häufiger müssen sich die Kirchen vor Ort fragen, wie sie ihre Gotteshäuser noch erhalten können. Die letzten Mittel – Entweihung, Umnutzung oder gar Abriss – kommen bislang aber sehr selten zum Einsatz. Nicolas Schnall, stellvertretender Leiter der Pressestelle des Bistums Augsburg, nennt als Negativbeispiel in seiner Diözese die Füssener Kirche „Zu den Acht Seligkeiten“. Diese wurde abgerissen, weil der Sanierungsstau bei dem in den 1960ern gebauten Gebäude einfach zu groß geworden sei. Bei den meisten Kirchen im Bistum komme ein Abriss allerdings nicht in Frage: Von etwa 2090 Kirchen sind 1809 denkmalgeschützt. Hier kommt nur eine Profanierung und Umnutzung in Frage. Dem Bistum sei in diesen Fällen „eine würdige Nachnutzung“ wichtig – zum Beispiel als Gemeinschaftsraum.

Auch im Bistum München und Freising, zu dem die Landkreisgemeinden Hohenpeißenberg, Peiting, Rottenbuch, Böbing, Wildsteig und Schönberg gehören, sind Profanierungen bislang selten. Trotzdem ist man sich der zunehmenden Brisanz des Themas bewusst. Das Bistum habe, so ein Sprecher, eine Gesamtstrategie angestoßen, die prüfen soll, welche der rund 4000 Kirchengebäude im Diözesangebiet in Zukunft wie genutzt werden sollen. Ende diesen Jahres sollen erste Ergebnisse vorgestellt werden.

Nun könnte man ketzerisch sagen: Dieser ganze Aufwand, die ganzen Kosten, für die paar Gläubigen, die noch in der Deutenhausener Dorfkirche beten? „Kirchen sind Kulturdenkmäler“, widerspricht Gast vehement. Das Kircherl stammt aus dem Jahr 1083, beherbergt wertvolle Kirchenkunst wie den etwa 1740 erbauten Hochaltar von Franz Xaver Schmädl oder die Madonna von etwa 1520, die Hans Leinberger schuf. Die Balustrade und Orgel stammen vom Pollinger Bibliothekssaal, wo man sie nach der Säkularisation abgebaut hatte. „Da ist so viel Kunst drin“, sagt Gast. Doch darüber hinaus hat die kleine Kirche noch einen ganz anderen Wert: „Es ist das einzige öffentliche Gebäude im Dorf.“ Wäre es nicht mehr da, würde dem Ort ein Treffpunkt, ein Teil der Identität fehlen. Und Klaus Gast ist sich sicher: Kirche funktioniert auch in Zukunft nur dort, wo die Menschen im Wohnort zu ihrem Gotteshaus kommen können. „Wo Kirche nah ist.“ Koste es manchmal, was es wolle.

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