Kurzer Prozess: Putins Iskander-Raketen zerstören zwei weitere HIMARS der Ukraine

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Ungestörter Überblick: Solch eine russische Orlan-10-Drohne dient der Aufklärung von ukrainischen HIMARS-Stellungen. Offenbar fehlen den Verteidigern die technischen oder finanziellen Mittel, um den russischen Iskander-Raketen die Sicht zu nehmen. © IMAGO/Russian Defence Ministry Press

Die Sicht ist ungetrübt: Wegen russischer Aufklärungsdrohnen gehen zwei weitere Raketenwerfer der Ukraine verloren. Neues Langstrecken-System kommt.

Miropillia – „In gewissem Maße ist HIMARS möglicherweise ein Opfer seiner Popularität“, schreibt Michael Peck. Der Autor des Magazins Business Insider hatte erst Anfang Juli gewarnt, dass der Ukraine-Krieg die Produktionskapazitäten für den US-amerikanischen Mehrfach-Raketenwerfer (MLRS) auszehren könnte – jetzt hat Russland offenbar zwei weitere Werfer-Systeme eliminiert und sich dadurch wohl etwas Luft verschafft. Darüber berichtet aktuell das Magazin Newsweek aufgrund von Angaben der ukrainischen Seite. Allerdings berichtet der Business-Insider auch davon, dass Europa bereits einen ähnlich potenten Raketenwerfer entwickelt.

Das Alleinstellungsmerkmal dieser Waffe seien seine Präzision und seine Reichweite, sagte kurz nach Ausbruch des Ukraine-Krieges Colin Kahl. Der Staatssekretär im US-Verteidigungsministerium hatte damit die erste Charge der Lieferung dieser Mehrfach-Raketenwerfer an die Ukraine anmoderiert. Inzwischen sind weder die HIMARS-Systeme (High Mobility Artillery Rocket System) noch die damit verschossenen ATACMS-Raketen (Army Tactical Missile System) für die Verteidiger verzichtbar.

Je nachdem, wie die HIMARS-Werfer ausgestattet sind, tragen sie entweder sechs Container für Raketen kürzerer Reichweite oder einen mit einer ATACMS-Rakete. Im Gegenteil würde die Ukraine die beiden westlichen Waffen sehr viel effektiver einsetzen wollen – wenn die US-Regierung Grünes Licht gäbe. Was sie wohl weiterhin ablehnen wird.

Die HIMARS wurden lange ausgespäht und konnten den Iskander nicht entkommen

Wie Newsweek berichtet, erklärte das russische Verteidigungsministerium in einem Beitrag auf dem Social-Media-Kanal Telegram: „Zwei HIMARS MLRS-Werfer amerikanischer Produktion, von denen aus der Beschuss der Region Kursk erfolgte, wurden im Gebiet der Siedlung Miropillia in der Region Sumy zerstört.“ In dem Video filmt eine Drohne, wie zwei raketenwerfer-ähnliche Fahrzeuge auf einer Straße zwischen einem Feld und einem Waldsaum eine Rakete abfeuern und dann die Stellung wechseln. Das Video zeigt, wie eines dann rückwärts in den Wald hineinsetzt, bevor Feuersäulen emporschießen.

Die Ukrainer wurden insofern lange ausgespäht und schienen keine Chance zu überleben gehabt zu haben. Allerdings lässt das Video die Behauptung offen, ob ein oder zwei Werfer zerstört worden sind; zusätzlich sollen zugehörige Transportfahrzeuge neutralisiert worden sein.

„Die ukrainischen Streitkräfte können es sich nicht leisten, die größten und besten Flugabwehrraketen – die Tausende von Pfund wiegen und Millionen von Dollar pro Stück kosten können – auf eine 15 Kilogramm schwere Orlan-10-Drohne abzufeuern, die nur 100.000 Dollar kostet.“

Zuletzt Anfang Juli hatte die russische Nachrichtenagentur TASS aufgrund einer Information des russischen Verteidigungsministeriums gemeldet, durch einen Präzisionsschlag vier HIMARS-Raketenwerfer neutralisiert zu haben „und bis zu 35 ausländische Spezialisten, die diese Systeme warteten“. Sowohl die HIMARS-Werfer als auch die Raketen sind in der Ukraine ein knappes Gut – vor allem die langstreckenfähigen ATACMS-Geschosse. Wie Newsweek im Mai berichtet hatte, sind mindestens 39 Raketenwerfer aus den USA in die Ukraine geliefert worden. Aus Nato-Ländern wie Deutschland, Italien und Frankreich seien darüber hinaus 25-Mehrfach-Raketenwerfer an die Front gegangen.

Neben den Drohnen sind vor allem diese Raketenwerfer das effektive Mittel, um die Invasionsarmee von Wladimir Putin auf Distanz zu halten. „Aus militärischer Sicht müsste man massive Angriffe mit unterschiedlichen Waffensystemen kurz hintereinander ausführen. Dies würde zur notwendigen Übersättigung der russischen Abwehrmaßnahmen führen. Dazu benötigte es viele und hochwertige Wirkmittel. Wenn diese nicht verfügbar sind, müssten sie geliefert werden. Dies würde auch für Taurus gelten“, sagt beispielsweise Markus Reisner. Wie viele andere Militär-Beobachter betrachtet auch der Oberst des österreichischen Bundesheeres den Einsatz der HIMARS-Plattformen durch die Ukraine als suboptimal.

Verluste der Ukraine sind die Folge der ungestörten Aufklärung durch Russland

Reisner sieht ebenfalls Russland nach wie vor im Vorteil – auch wenn die russische Offensive aktuell offenbar an Dynamik eingebüßt hat: Russland habe Zeit, sich auf kommende Angriffe einzustellen: „Es ist ein Katz- und Maus-Spiel – ein Wettlauf gegen die Zeit. Möchte man daher ein durchschlagendes Ergebnis erzielen, ist es besser, ohne Ankündigung massiv anzugreifen – und nicht zu kleckern“, wie er sagt.

Allerdings sind sich alle Analysten einig, dass das HIMARS-System den Krieg der Zukunft mitbestimme. Global sei „in der Rüstungsbeschaffung ein Anstieg des Interesses und der Anschaffungen von Waffen zu verzeichnen, die über die Unterstützung von HIMARS hinausgehen“, schreibt Harry McNeil für das Magazin Army Technology; inzwischen hat Russland nämlich Herrschaft gewonnen über die Steuerung dieser Systeme, was den nächsten Entwicklungsschritt der Waffe provoziert.

Allerdings scheint Russland auch ungestörter aufklären zu können – vor allem mit ihren Orlan-10-Aufklärungsdrohnen. Die Ukraine versuche verzweifelt, „die Dutzende russischer Überwachungsdrohnen abzuschießen, die jeden Tag nahezu ungestraft über ukrainischen Städten und Stützpunkten kreisen“, schrieb das Magazin Forbes im Juli. Demnach sei deren Aufklärung die Quelle der relativ träge zu justierenden und abzufeuernden russischen Iskander-Raketen, denen die hochmobilen westlichen Mehrfach-Raketenwerfer inzwischen reihenweise zum Opfer fallen.

Ukraine kann sich bisher keine effektive Luftabwehr gegen Aufklärungsdrohnen leisten

Nach Meinung von Forbes-Autor David Axe müsse die ukrainische Luftabwehr vor allem eines sein: günstig. „Die ukrainischen Streitkräfte können es sich nicht leisten, die größten und besten Flugabwehrraketen – die Tausende von Pfund wiegen und Millionen von Dollar pro Stück kosten können – auf eine 15 Kilogramm schwere Orlan-10-Drohne abzufeuern, die nur 100.000 Dollar kostet.“

Immerhin betrachtet Reisner die Wirkung westlicher Waffen als sehr effizient – allerdings genauso die Fähigkeit der Russen, diese Waffen in ihrer Wirkung zu behindern. Excalibur-Granaten oder HIMARS-Raketen seien inzwischen fast wirkungslos, weil den Russen gelänge, ihre GPS-Sender zu stören, und die Geschosse ihre Ziele zum Teil deutlich verfehlten. Laut einem Bericht der New York Times hätten die USA die Lieferung der Excalibur-Granaten eingestellt, weil die Trefferquote in erschreckendem Ausmaß gesunken sei.

HIMARS hat an Effektivität abgenommen – Russland offensiv in der Störung der Navigation

Analysten hätten laut der New York Times herausgefunden, „dass der Anteil der bestätigten erfolgreichen Angriffe im Zeitraum von Januar bis August 2023 von einem Höchststand von 55 Prozent auf einen Tiefststand von sieben Prozent im Juli und sechs Prozent im August sank, den Monaten, in denen die schleppende Sommer-Gegenoffensive der Ukraine ihren Höhepunkt erreichte. Zu einem bestimmten Zeitpunkt traf nur noch eine von 19 Excalibur-Granaten ihr Ziel“, schreibt die NYT über die Analyse. Insofern muss die Industrie dem Bedarf hinterherkommen. In Qualität und Quantität.

„Die Nachfrage nach solchen militärischen Fähigkeiten könnte das Angebot übersteigen, da es Einschränkungen gibt, wie schnell die industrielle Produktionskapazität hochgefahren werden kann, und da auch die Ukraine mit Systemen versorgt werden muss“, äußerte James Black, gegenüber dem Magazin Business Insider. Der Analyst des Thinktank RAND Europe betrachtet europäische Militärs deshalb als gezwungen, „mögliche Alternativen zum US-amerikanischen HIMARS-System in Betracht zu ziehen, obwohl dieses sicherlich ein wichtiger Akteur in diesem Wettbewerb um Aufträge bleibt“, wie der Business Insider schreibt.

Ukraine-Krieg lehrt die Notwendigkeit einer möglichst weit wirkenden Raketenartillerie

Mit „Europuls GTF 8X8“ gewinnt ein europäischer Konkurrent für HIMARS an Konturen – und bildet das nächste Puzzle-Stück der Emanzipation der europäischen Nato-Partner gegenüber rein amerikanischer Waffentechnik. Laut dem deutschen Reservisten-Magazin loyal nennt die Bundeswehr aktuell „300 Kilometer und weiter als die neue obere taktische Kampftiefe“ für die Raketenartillerie, wie loyal-Autor Björn Müller schreibt. „Für Deep Precision Strike im Rückraum eines Gegners sollen Werfer mit einem neuen Lenkflugkörper kommen – Projektname: ,System indirekten Feuers großer Reichweite‘.“

Das „Europuls“-System wird produziert vom deutsch-französischen Konsortium KNDS und soll aufnahmefähig sein für verschiedene Raketen und somit seine Funktionalität gegenüber dem US-amerikanischen Vorbild um ein Vielfaches multiplizieren. Möglicherweise werden die Europäer aber auch günstiger produzieren können als die Amerikaner mit ihren fast fünf Millionen Euro pro Trägersystem. Langstrecken-Raketen sollen aus einem kommenden Krieg auf europäischem oder dem pazifischen Territorium jedenfalls kurzen Prozess machen, wie loyal-Autor Björn Müller erläutert.

Sein Einsatz verspräche, „Operationen eines Gegners, oder schon deren Vorbereitung, rasch und entscheidend stören zu können, weil man zentrale Elemente dafür, etwa Kommandoeinrichtungen, vernichten kann. Das soll auch den Einstieg in einen Abnutzungskrieg vermeiden“.

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