Drohnen-Angriffe im Ukraine-Krieg: „Phoenix Ghost“ macht Jagd auf Putins Truppen

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Nachschub für die Drohnen-Macht: Mit leichten bis mittelschweren Drohnen wird die Ukraine weiterhin aus den USA unterstützt. Die Switchblade-Drohne wird aus einem Mörser-Rohr heraus abgefeuert und gehört zum Arsenal der USA. Von einer ähnlichen Größe und Funktionsweise ist die kleinste Drohne der „Phoenix-Ghost“-Familie, über die wenig bekannt ist (Archivfoto). © IMAGO/ABACA

Seit zwei Jahren im Krieg gegen Russland und jetzt erstmals offiziell bestätigt: der Einsatz einer auf die Ukraine zugeschnittenen Drohnen-Familie.

Kiew – „Es ist ein gutes ‚Widget‘, es passt in einen Rucksack und bleibt sechs Stunden in der Luft“, sagte Oleksiy Arestovych. Der ehemalige Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hatte gegenüber dem Magazin Defense Express in den Himmel gehoben, was bis heute ein Geheimnis zu sein scheint: die Drohne „Phoenix Ghost“ – die eigentlich eine Drohnen-Familie sein soll, wie aktuell das Magazin The War Zone (TWZ) berichtet. Seit Beginn des Krieges wird über die US-amerikanische Waffe spekuliert; möglicherweise hat sie das Zeug zur echten Kampfansage an Wladimir Putin – eine maßgeschneiderte Drohne aus den USA.

Offensichtlich war der Einsatz dieser Waffe ein offenes Geheimnis – inzwischen soll wohl bestätigt worden sein, dass sie erstmals aufgetaucht ist. Laut TWZ hatte das Pentagon bereits 2022 angekündigt, dass die von der US-amerikanischen Rüstungsschmiede Aevex Aerospace gelieferten Phoenix-Ghost-Kamikaze-Drohnen in die Ukraine geschickt würden, doch bis heute sind nur wenige Informationen darüber aufgetaucht. Auf der Jahrestagung der Association of US Army am 14. Oktober in Washington habe Aevex Aerospace die Lieferung von großer Einweg-Angriffsmunition an die Ukraine als die bis dahin geheime Phoenix Ghost-Familie bekannt gegeben, wie das Magazin Aviation Week schreibt – die Association of US Army ist eine Non-Profit-Organisation, quasi der Berufsverband der US-amerikanischen Soldaten.

„Atlas“, „Disruptor“, „Dominator“: vom Testziel zur Einweg-Angriffsmunition gegen Putin

Demnach gehören zur Familie die unbemannten Flugsysteme (Unmanned Arial Systems, kurz UAS) „Atlas“ der Größe „Gruppe II“ und „Disruptor“ und „Dominator“ der Größe „Gruppe III“. „Jedes Mitglied der Familie unterscheidet sich in Form und Leistungsfähigkeit von anderen und ist ein Design-Artefakt aus der Zeit, als die Familie ursprünglich als Testziel für Anti-UAS-Waffen diente“, schreibt Aviation Week-Autor Steve Trimble. Nach der Invasion Russlands in die Ukraine im Februar 2022 habe Aevex die Waffenfamilie zu Einweg-Angriffsmunition umgebaut und sie zu Tausenden an das US-Militär verkauft; deren Luftwaffe wiederum hätten eine geringe Menge davon an die ukrainischen Streitkräfte weitergegeben, berichtet Aviation Week.

„Es wurde für eine Reihe von Anforderungen entwickelt, die sehr genau den aktuellen Bedürfnissen der Ukrainer im Donbass entsprechen.“

Laut dem Magazin Breaking Defense hätten die USA anfangs ungefähr 120 taktische unbemannte Luftsysteme vom Typ Phoenix Ghost in die Ukraine geliefert. Zunächst war gegenüber den Medien behauptet worden, die USA hätten die Waffe auf die Bedürfnisse der Ukraine hin entwickelt. Das nahm John Kirby aber später wieder zurück: „Es wurde für eine Reihe von Anforderungen entwickelt, die sehr genau den aktuellen Bedürfnissen der Ukrainer im Donbass entsprechen“, sagte der Kommunikationsberater des Weißen Hauses.

Im Juli des ersten Kriegsjahres berichtete das Magazin Defense News von 580 zu liefernden Drohnen. Ein im November 2022 angekündigtes US-Hilfspaket hätte dann noch einmal mehr als 1.100 Phoenix Ghost-Drohnen umfasst, so das Magazin. Auf dem Höhepunkt der Lieferungen seien von Aevex jeden Monat 230 Stück dieser „Loitering-Munition“ (zu Deutsch: Herumlungernde Munition) an die Ukraine gegangen. Bis Juni 2024 hatte das Unternehmen im Rahmen von US-Militärverträgen 4.000 Drohnen geliefert, von denen 1.800 der Ukraine zugesagt worden waren, schreibt TWZ.

Switchblade und Atlas: Drohnenangriffe gegen Schützen- und Kampfpanzer Russlands

Geheim bleibt, wie viele Drohnen von welcher Konfiguration die Ukraine von der „Phoenix Ghost“-Familie insgesamt erhält und warum so viel Geheimniskrämerei dahinter steckt. Das Magazin The War Zone hat jetzt die Kategorien veröffentlicht.

  • Gruppe II: Atlas, Gewicht von 9,5 Kilogramm einschließlich einer Nutzlast von 3,7 Kilogramm, einer Flugdauer von ein bis zwei Stunden und einer Reichweite von 120 Kilometern;
  • Gruppe III: Disruptor, V-Leitwerk, 3,1 Meter Länge, Gewicht von mindestens 84 Kilogramm einschließlich einer Nutzlast von 23 Kilogramm, Flugdauer von 4,5 Stunden und einer Reichweite von 598 Kilometern;
    Dominator, Doppelausleger, Gewicht von mindestens 93 Kilogramm, einer Flugdauer von 4,6 Stunden und eine Reichweite von 492 Kilometern.

Die ursprüngliche Version der Modellreihe scheint aber kleiner und der Switchblade-Drohne ähnlich gewesen zu sein; die Switchblade galt als die erste aus den USA in die Ukraine gelieferte Drohne – eine „Einwegdrohne“, die über dem Gefechtsfeld kreist beziehungsweise in der Luft herumlungert und sich letztendlich auf ihr Ziel stürzt – auch als „Kamikaze-Drohne“ bekannt. Gegenüber dem Magazin Politico äußerte sich der Aevex-Vorstand David Deptula dahingehend. „Es ist ein Einwegflugzeug, das gegen mittelschwer gepanzerte Bodenziele wirksam ist“, wie der ehemalige Generalleutnant sagte.

Damit könne sie gegen Schützenpanzer eingesetzt werden und vermutlich auch gegen Kampfpanzer effektiv sein, deren Panzerung an der Oberseite weit geringer ist als an der Front, wie der „Stern“ vermutet hat. Möglicherweise ist sie auch explosiv genug, um die inzwischen massenhaft auf Panzern verbauten Käfige zu knacken. Nur Bunker dürfte sie nicht aufbrechen können, vermutet Stern-Autor Gernot Kramper. Die AeroVironment Switchblade 300 kann in einem Rucksack transportiert und, ähnlich wie eine Mörsergranate, aus einem Rohr heraus abgefeuert werden.

Verträge unterzeichnet: US-Firma will in der Ukraine Switchblade-Kamikaze-Drohnen produzieren

Die kleine 300er wiegt rund drei Kilo, die Switchblade 600 bereits fast 17 Kilogramm. Ihnen am ähnlichsten wird das Phoenix Ghost-Modell Atlas sein. Wie das Magazin Kiew Independent berichtet, plant die US-Firma AeroVironment, in der Ukraine mit der Produktion von Switchblade-Kamikaze-Drohnen zu beginnen. Dies sei die jüngste von mehreren aktuellen Vereinbarungen zwischen ukrainischen und ausländischen Unternehmen zur Waffenproduktion in der Ukraine, wie der Kiew Independent berichtet.

Bisher habe die große Switchblade 600 eine Reichweite von mindestens 40 Kilometern und könne mindestens 40 Minuten in der Luft bleiben. „Brett Hush, Senior Vice President bei AeroVironments, der die Vereinbarung in Kiew unterzeichnete, lobte die Leistung des Switchblade und fügte hinzu: ,Mit der Unterstützung und dem Feedback aus der Ukraine wird es sogar noch besser‘“, schreibt das Medium. Laut dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj könne sein Land derzeit vier Millionen Drohnen pro Jahr produzieren und habe bereits Verträge über 1,5 Millionen Stück abgeschlossen.

Prognose: Wachsende Drohnenflotte ein direkter Angriff auf Putins „rote Linien“

Diese wachsende Drohnenflotte sei ein direkter Angriff auf Putins „rote Linien“, schreibt aktuell Giorgi Revishvili. Die Vorstellung der eigenen Langstrecken-Drohne sei eine der wichtigsten Entwicklung dieses dritten Kriegsjahres gewesen, behauptet der Autor des US-amerikanischen Thinktanks Atlantic Council: In der „Palyanitsya“ habe Kiew eine Teillösung für den Mangel an im Inland produzierten Raketen gefunden und den ukrainischen Kommandeuren geholfen gegen die Notwendigkeiten, die die „Eskalationsangst des risikoscheuen Westens“ provoziert habe, fast Revishvili zusammen.

„Die Ukrainer hoffen nun, dass sie, indem sie ihre Langstrecken-Drohnen direkt durch Wladimir Putins rote Linien fliegen lassen, die westlichen Staats- und Regierungschefs davon überzeugen können, die gescheiterte Doktrin des Eskalationsmanagements aufzugeben und Beschränkungen aufzuheben, die Russland schützen und die Ukraine gleichzeitig daran hindern, sich zu verteidigen“, wie er schreibt. Die „Palyanitsya“ sieht aus wie eine kleine Rakete und verfügt über ein Leitwerk sowie schmale Tragflächen; die Waffe scheint von einem Düsentriebwerk bewegt zu werden.

In ihre „Palyanitsya“ setzt die Ukraine wohl alle ihre Hoffnungen, wie der ukrainische Minister für strategische Industrien gegenüber dem Magazin Defense Express Glauben macht. „Es ist eine Drohne – und es ist eine Rakete, denn gemäß seiner Spezifikationen fällt das Produkt unter beide Definitionen“, wie Oleksandr Kamyschin sagt. „Es wird mehr Raketendrohnen geben, so wie es bereits mehr Langstrecken-Angriffsdrohnen gibt, deren Ergebnisse wir fast täglich sehen.“

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