Fliegerangriffe vor 80 Jahren: Als Bergleute im zerbombten München halfen
Für viele Peißenberger und Hohenpeißenberger Bürger ist es ein nicht bekanntes bzw. schon vergessenes Thema: Vor 80 Jahren, während des Zweiten Weltkriegs, war ein Teil der Bergleute aus beiden Orten mehrmals in München im Einsatz.
Peißenberg – Im Juli 1944 wurde München an mehreren Tagen massiv bombardiert, sodass oft buchstäblich kein Stein mehr auf dem anderen blieb. Die Stadt sollte unbewohnbar gemacht werden. Nachdem die Front in Italien immer weiter nach Norden verschoben worden war, konnten amerikanische Flugzeuge von dort aus starten, luden dann ihre Bombenlast über München ab und verursachten dort gewaltige Schäden.
Es gab viele Tote und Verletzte, zahlreiche Menschen wurden obdachlos. Die Angriffe wurden während des Krieges nicht nur von den United States Army Air Forces (USAAF) ausgeführt, sondern auch von der britischen Royal Air Force (RAF). Die Amerikaner flogen ihre Angriffe am Tag, die Engländer in der Nacht.
Um die Schäden wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen, wurden Bergleute der BHS aus den Gruben Peißenberg, Hohenpeißenberg und Peiting angefordert. Die Bergleute mussten Schutt beseitigen – es waren ganze Straßenzüge nicht mehr passierbar –, und es wurde nach verschütteten Bewohnern gesucht, welche in den Kellern Zuflucht gesucht hatten. Wenn es noch Lebende in den Kellern gab, wurden Zugänge gegraben, um die Eingeschlossenen mit Luft zu versorgen und dann den Weg nach außen zu öffnen.
Vor 80 Jahren: Als Bergleute im zerbombten München halfen
Der Vater des Autors war dort im Einsatz, er erzählte, was er erlebte. Mit dem Hohenpeißenberger Simon Hirschvogel (1917-1998) hat der Verfasser vor vielen Jahren über den Einsatz der Bergleute gesprochen, auch er schilderte die damalige Situation. Die Bergleute erlebten das Grauen und das Elend vor Ort und nahmen Eindrücke mit, die man sein ganzes Leben nicht mehr vergisst.
Die Bombardierungen liefen eigentlich immer nach dem gleichen Muster ab: Zuerst wurde die betroffene Gegend bei den Nachtangriffen von vorausfliegenden Flugzeugen markiert, dann wurden Sprengbomben abgeworfen, um die Dächer für die Stabbrandbomben zu öffnen. Diese entzündeten dann die frei stehenden Dachstühle und -bereiche. Danach kamen weitere Flugzeuge mit Sprengbomben und Luftminen.
Durch den Einsatz von Stabbrandbomben gerieten viele der Häuser in Brand, den Bergleuten fiel das Fleisch verbrannter Menschen von der Schaufel, so wurde dem Autor berichtet. Menschen mit Schock und Traumatisierung liefen umher und suchten ihre Angehörigen. Einzelne sprachen Schmähungen über Hitler aus. Sie wurden dann beiseite geführt und aus der Gefahrenzone gebracht. Man sagte damals: Die sind halt „narrisch worden“.
Die sind halt „narrisch worden“
Die Bergleute wurden dazu verpflichtet, nichts über das bei den Einsätzen Erlebte zu berichten, wenn sie wieder daheim waren. Jemandem anderen etwas zu erzählen, wäre Wehrkraftzersetzung gewesen, und auf diese standen hohe Strafen. Es sollte keinen Zweifel am „Endsieg“ geben, die Masse der Bergleute glaubte allerdings an diesen Endsieg schon lange nicht mehr.
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Im Sommer 1944 kamen die Fronten immer näher an das Deutsche Reich heran. Im August wurde Paris von den amerikanischen und französischen Truppen befreit. Ungehindert flogen zudem Bomberverbände von Italien kommend in Richtung München und Augsburg. Die viermotorigen Bomber zogen sehr oft über den Hohen Peißenberg in Richtung Norden und die wenigen deutschen Jäger richteten wenig gegen sie aus. Die Flugabwehr um die Städte – meist die bekannte „8,8-cm-Flak“ – holte nur einzelne Flieger vom Himmel.
Bei Fliegeralarm war Unterricht gelaufen – „G‘lernt ham ma nimma vui“
Die Schulkinder auf dem Hohen Peißenberg liefen bei Fliegeralarm in den nahegelegenen Wald am „Lenzerbichl“ und versteckten sich, bis die vermeintliche Gefahr vorüber war. Wenn der Fliegeralarm erst am späteren Vormittag kam, war der Unterricht an dem Tag gelaufen. Und es gab immer öfter Fliegeralarm. Wie sagte eine 89-Jährige, mit der der Autor über dieses Thema gesprochen hat: „G‘lernt ham ma nimma vui.“ (“Gelernt haben wir nicht mehr viel.“)
Große Bomberverbände mit einer Gesamtzahl von 1100 bis 1500 Maschinen flogen in Wellen über den Berg, seit dem Frühjahr 1944 hatten die Alliierten die Lufthoheit über dem Deutschen Reich erreicht, die Luftwaffe stand auf verlorenen Posten. Das Brummen der Flugzeugmotoren war derart stark, dass in den Häusern das Geschirr in den Schränken zu vibrieren begann, die Tassen und Teller schepperten.
Wenn die Bergleute unter Tage ihre Pause (Brotzeit) abhielten, die Arbeit kurz ruhte und keine Maschine im Bau mehr lief, konnten sie die Bombenangriffe auf Stuttgart und Augsburg deutlich hören. Die Explosionen in München waren aufgrund der Schotterebene nur gedämpfter und weniger laut wahrnehmbar, so berichteten die alten Bergleute. Wenn diese nach der Schicht ausfuhren, wussten sie so schon, dass eben jene Städte wieder massiv angegriffen worden waren.
Bei den Nachtangriffen auf München konnte man vom Berg aus den rötlichen Schein über der Großstadt sehen, wie mir erzählt wurde. So hatte München nach dem 16. Juli (nach den vorangegangenen Angriffen) an die 1500 Tote zu beklagen, an die 5000 Verletzte und 200 000 Obdachlose zu verzeichnen.
München wurde an fünf Tagen im Juli angegriffen und dabei stark bombardiert. Die „Hauptstadt der Bewegung“ wurde im Krieg zur Ruinenstadt.
Rektor vom „Endsieg“ überzeugt
Im Bereich der heutigen Fußgängerzone in der Innenstadt gab es kein einziges unbeschädigtes Gebäude. Die Altstadt war zu 90 Prozent zerstört. In unsere Orte kamen deshalb immer mehr Menschen aus den Städten, überwiegend Frauen und Kinder. Sie brauchten Wohnraum, wurden einquartiert, und die Kinder gingen dann auf dem Hohen Peißenberg in die Schule. Der Rektor der Schule, Franz Wöllzenmüller (1897-1979), ein bis ins hohe Alter überzeugter Nationalsozialist, war aber fest vom Endsieg überzeugt.
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Er äußerte noch Anfang 1945: „Und wenn der Feind in München steht, den Krieg gewinnen wir doch.“ Der Krieg war aber nicht mehr zu gewinnen, und auch das Reden von den „Wunderwaffen“ war leeres Geschwätz der Naziführung.
Im Winter 1945/46, schufteten die Bergleute wieder und fuhren an den Sonntagen Sonderschichten für München und Augsburg. Dort erfroren und verhungerten Menschen, und auch Kohle aus dem Oberland wurde dringend gebraucht.
Rudolf Hochenauer