Der verrückte Stein-Plan, mit dem ein Ex-Autobauer CO2 aus der Luft saugen will
Ein typischer Startup Hub in Köln: Von der offenen Kaffeeküche mit gekühlten Limos führen Gänge zu vielen kleinen Büros, in denen Gründerteams an ihren Geschäftsideen feilen. Auch das Team des Carbon-Removal-Startups von Felix Noßke hat hier ein Büro angemietet. Er legt sein Macbook auf einen der Tische im großen Konferenzraum mit bodentiefen Fenstern und lehnt sich auf seinem Stuhl zurück. Sein Startup setzt eine Technologie ein, die CO2 aus der Atmosphäre bindet und so dem Klimawandel entgegenwirken soll. „Das absolute Ziel ist es, dass wir Kohlenstoffdioxid in der Größenordnung binden, dass es klimarelevant wird“, sagt Noßke.
Diese Serie ist eine Kooperation mit der Lehrredaktion der Kölner Journalistenschule (KJS). Die angehenden Journalistinnen und Journalisten porträtieren hier Menschen, die selbst etwas gegen die Klimakrise unternehmen. Das sind ihre Lösungen:
Teil 1: Der verrückte Plan, mit dem Auto-Tüftler CO2 aus der Luft speichern will
Teil 2: Die Physikerin, die von Brandenburg aus unser Klima retten will
Teil 3: Mit DIY-Box will Daniel unsere grauen Städte Klima-fit machen
Die verrückte Idee, mit der Ingenieur CO2 in Steinen speichern will
Die Idee für das Startup kommt aus der Natur: Wenn bestimmte Arten von Gestein verwittern, speichern sie in einem chemischen Prozess Kohlenstoffdioxid aus der Luft. Forschende und verschiedene Startups, wie Aeroc, versuchen, diesen Prozess zu nutzen. Denn was in der Natur Hunderte von Jahren dauert, lässt sich mit ein paar Tricks beschleunigen.
Das Startup nutzt fein gemahlenes Gestein und bringt es auf landwirtschaftlichen Flächen aus. Weil das Gestein so schneller verwittert und somit auch schneller Kohlenstoffdioxid bindet, heißt der Prozess auch Enhanced Rock Weathering – also beschleunigte Verwitterung. Innerhalb von ein paar Jahren zerfällt das Material komplett. Das gespeicherte CO2 versickert mit dem Regenwasser und fließt ins Meer, wo es sich auf dem Meeresgrund absetzt.
Unzufrieden mit der Autobranche
Felix Noßke ist gelernter Automobilingenieur und arbeitete nach seinem Studium zunächst bei einem großen Autohersteller. Als Projektingenieur übernahm er unter anderem die fachliche Leitung von interdisziplinären Teams. Doch zufrieden war er damit auf Dauer nicht. Vergangenes Jahr kündigte er, weil er in seiner Arbeit keine Zukunft sah. „Irgendwann habe ich gemerkt, dass es mit der Automobilindustrie in Deutschland so nicht weiter geht“, sagt er. Er wollte sich lieber zukunftsfähigen Technologien widmen und gründete Aeroc gemeinsam mit einem Freund aus dem Studium.
„Ich habe vorher weder beruflich noch privat wirklich etwas mit Klimaschutz zu tun gehabt“, erzählt Noßke. Zum Carbon Removal kam er nicht aus Idealismus, sondern aus technologischem Interesse. Es sei zwar wichtig, dass jeder Einzelne versucht, seine Emissionen zu reduzieren. Den deutlich größeren Hebel, um CO2 in relevantem Umfang zu reduzieren, hätten aber große Unternehmen. Diese könnten durch innovative Technologien Emissionen einsparen.
Das Enhanced Rock Weathering überzeugte Noßke als besonders einfache und schnell umsetzbare Carbon-Capture-Technologie. Denn sie nutzt bereits vorhandene Infrastruktur. Beispielsweise gibt es die Steinbrüche schon, aus denen das Gesteinsmehl stammt. Die Maschinen der Landwirte, mit denen diese sonst ihre Felder düngen, können auch problemlos das Gesteinsmehl ausbringen. Für das Enhanced Rock Weathering entstehen also keine hohen Kosten.

CO2-Staub statt Dünger: Vorteile für die Landwirtschaft
Die Geschäftsidee von Aeroc besteht darin, die Negativemissionen messbar zu machen – und damit in Form von Zertifikaten handelbar.
Landwirtschaftliche Betriebe beziehen das Gesteinsmehl von Aeroc und bringen es auf ihre Felder aus. Von Aeroc entwickelte Sensoren messen auf den Ackern in regelmäßigen Abständen, wie viel von dem ausgebrachten Material noch vorhanden ist. Daraus lässt sich auf die gebundene Menge CO2 schließen. Aeroc weist diese in Zertifikaten aus – und mit deren Hilfe kompensieren die Landwirte Emissionen, die sich in ihren Betrieben nicht vermeiden lassen. So können sie unterm Strich CO2-neutral wirtschaften.
Im Moment sammelt Aeroc hauptsächlich Daten, um verlässliche Zertifikate ausstellen zu können. In Zukunft weiß Aeroc also, wie viel CO2 durch eine bestimmte Menge ihres Gesteinsmehl gebunden wird und kann so einen Teil der Zertifikate zusammen mit dem Gesteinsmehl verkaufen. Den Rest der Zertifikate erhält das landwirtschaftliche Unternehmen, nachdem das Material ausgebracht und verwittert ist. Dieses Modell ermöglicht es Aeroc, die Produktion des Gesteinsmehls zu finanzieren und mit den Zertifikaten vom ersten Schritt an Geld zu verdienen – ohne darauf warten zu müssen, dass das Gestein verwittert und die Messungen abgeschlossen sind.
Neben den Zertifikaten bietet das Gesteinsmehl Biolandwirten noch einen weiteren Vorteil. Deren Böden sind meist relativ nährstoffarm, weil sie weniger düngen als konservative Betriebe. Das Gesteinsmehl speichert nicht nur CO2, sondern reichert die Böden auch mit Nährstoffen an. Dadurch lässt sich der Ertrag steigern, ohne auf chemische Düngemittel zurückgreifen zu müssen.

"Biolandwirte sind sehr offen"
Bis Aeroc tatsächlich verlässliche CO2-Negativzertifikate ausstellen kann, ist es noch ein weiter Weg. Momentan testet das fünfköpfige Team aus Wissenschaftlern und Ingenieuren das Gesteinsmehl zusammen mit dem Naturland e.V., dem größten Verband von Biolandwirten in Deutschland. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Biolandwirte sehr offen gegenüber neuen Technologien sind“, sagt Noßke. Die Betriebe bringen das Gesteinsmehl auf ihren Feldern aus und die Wissenschaftler bei Aeroc kümmern sich um die Begleitung und Auswertung der Daten.
An seiner neuen Branche schätzt Felix Noßke besonders das kooperative Umfeld, denn Aeroc ist nicht das einzige Startup, das mit dem Einsatz von Gesteinsmehl experimentiert. „Es gibt eigentlich keine Ellbogenmentalität“, sagt er. Statt sich als Konkurrenten zu sehen, arbeiten die verschiedenen Startups an einem gemeinsamen Ziel: dem Klimaschutz. „Je mehr Startups da mitmachen, desto besser“, findet Noßke. Je mehr Daten gesammelt werden, desto schneller können Unternehmen wie Aeroc, verlässliche Zertifikate ausstellen und den Markt für Negativemissionen vorantreiben. Wenn die Startups ihre Erkenntnisse miteinander teilen, profitieren alle.
Trotzdem ist es Felix Noßkes unternehmerisches Ziel, mit Aeroc im Bereich Carbon-Removal führend zu werden und möglichst vielen Landwirten das Gesteinsmehl und die Zertifikate zu verkaufen. Unterstützung bei den ersten Schritten des Unternehmens erhält Aeroc durch eine Förderung des Landes NRW und der EU in Höhe von 800.000 Euro. Profitabel wird das Geschäft jedoch erst, wenn die Pilotprojekte abgeschlossen sind und die ersten Zertifikate verkauft werden können. Das soll bereits im kommenden Jahr der Fall sein.
FOCUS online Earth widmet sich der Klimakrise und ihrer Bewältigung.
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