Die Physikerin, die von Brandenburg aus unser Klima retten will

Janina Messerschmidt geht die Klimakrise heute nur noch in Teilzeit an. „Ich musste einfach mal verschnaufen“, sagt sie. Forschung, Start-Up und Politikberatung: Die 48-Jährige hat auf vielen Wegen versucht, die Bekämpfung der Klimakrise zum Beruf zu machen. Denn sie war sich lange sicher: So könnte sie am meisten bewegen. Heute arbeitet sie als Personalreferentin in einer sozialen Unternehmensberatung – ihr Job hat mit Klima erstmal nichts mehr zu tun. Ist sie gescheitert?

Im Gegenteil, sagt sie. „Ich habe mir mein Leben nie so vorgestellt, aber ich bin genau da, wo ich sein will.“ Denn heute weiß sie: Wandel ist nicht nur durch Engagement auf internationalen Klimakonferenzen oder in internationalen Unternehmen möglich, sondern auch im Lokalen, auf dem Land in Brandenburg. Neben ihrer Teilzeitstelle als Personalreferentin hat sie heute genug Zeit, sich dort ihrem Herzensprojekt zu widmen: einer Bürgerenergiegenossenschaft, die lokale Energiewende-Projekte vorantreibt.  

Diese Serie ist eine Kooperation mit der Lehrredaktion der Kölner Journalistenschule (KJS). Die angehenden Journalistinnen und Journalisten porträtieren hier Menschen, die selbst etwas gegen die Klimakrise unternehmen. Das sind ihre Lösungen:

Teil 1: Der verrückte Plan, mit dem Auto-Tüftler CO2 aus der Luft speichern will

Teil 2: Die Physikerin, die von Brandenburg aus unser Klima retten will

Teil 3: Mit DIY-Box will Daniel unsere grauen Städte Klima-fit machen

Die Physikerin, die das Klima retten will

Janina Messerschmidt studierte Physik an der Universität Bremen. Nach ihrer Diplom- und Doktorarbeit erforschte sie viele Jahre den Klimawandel. Mit ihrem Team entwickelte sie Messgeräte, die den CO2-Gehalt in der Luft immer exakter messen konnten – mit Erfolg. Die Messsysteme wurden in Polen und Frankreich eingesetzt und lieferten neue Erkenntnisse. 

Der Wendepunkt in ihrer Forschungskarriere war eine IPCC-Klimakonferenz, bei der renommierte Forschende aus der ganzen Welt ihre neuesten Erkenntnisse präsentierten. „Im Prinzip belegte jeder Vortrag das Gleiche: Die Folgen der Klimakrise sind katastrophal und treten noch viel schneller ein, als wir dachten“, erinnert sie sich. Doch angemessene Reaktionen außerhalb der Wissenschaft auf die Erkenntnisse blieben aus. „Da wurde mir das erste Mal klar: Ich will nicht nur CO2-Werte messen, sondern auch selbst etwas verändern.“ Sie kündigte ihren Job als Forscherin. 

Die Entscheidung bereue sie bis heute nicht, sagt sie. Am Klimawandel habe sie schon immer fasziniert, dass es nicht nur eine technische, sondern auch eine gesellschaftliche Frage sei. „Der menschengemachte Klimawandel war längst bewiesen. Ich wollte an konkreten Lösungen arbeiten“, sagt sie. 

Physiker waren nicht gefragt - nur Politikwissenschaftler

Nach ihrem Ausstieg aus der Forschung, bewarb sich Messerschmidt bei Stiftungen und Politikberatungen – zuerst ohne Erfolg. „Oft bekam ich die Antwort: Du hast bisher nur geforscht, keine wirkliche Berufserfahrung“, sagt sie. „Offensichtlich waren Klimaforscher und Ingenieure nicht gefragt, sondern Politikwissenschaftler.“ Also fing sie mit Mitte dreißig an, Praktika zu machen. Schließlich bekam sie eine Stelle bei der European Climate Foundation. Auch dort blieb sie nicht lange. 

Denn ein Kollege erzählte ihr von dem Start-Up Movisol. Das Start-Up verkaufte Solaranlagen nach Afrika. „Ich brannte sofort für die Idee und es reizte mich, wirklich mal an einer konkreten Lösung zu arbeiten“, sagt sie. Also kündigte sie erneut ihren Job. Die Zeit im Start-up sei aufregend, aber auch anstrengend gewesen. Für Projekte flog sie nach Ruanda und Tansania. „Wir arbeiteten teilweise siebzig Stunden pro Woche.“

Das Geschäft boomte: „Als ich eingestiegen bin, waren wir vierzig Leute – nach fünf Jahren war wir achthundert.“ Sie war begeistert: Durch das schnelle Wachstum konnte das Unternehmen viel bewegen. Doch dann sei das Unternehmen „mit dem Wachstum nicht mehr klargekommen“, es ging in die Insolvenz. Der französische Energiekonzern Engie kaufte Movisol schließlich auf. Messerschmidt fühlte sich in ihren Idealen verraten, denn der neue Eigentümer gewinnt auch Energie aus Atom- und Kohlekraftwerken. Ein herber Rückschlag. Was nun? Aufgeben? 

Die promovierte Physikerin Janina Messerschmidt hilft Gemeinden in Brandenburg dabei, PV-Anlagen umzusetzen.
Die promovierte Physikerin Janina Messerschmidt hilft Gemeinden in Brandenburg dabei, PV-Anlagen umzusetzen. Janina Messerschmidt

Energiewende auf dem Land statt Dienstreisen nach Tanzania

Als sie ihren Job beim Start-up kündigte, bekam sie ein Angebot als Personalreferentin in Teilzeit bei einer sozialen Unternehmensberatung. Sie zögerte nicht lange. „Feste Strukturen, geregelte Arbeitszeiten, ein ruhiges Arbeitsumfeld – das war genau, was ich suchte“, sagt sie. 

Morgens arbeitet sie meist in ihrem Job als Personalreferentin, nachmittags hat sie Zeit, sich um die Bürgergenossenschaft zu kümmern, die sie gemeinsam mit einem Bekannten gegründet hat. Das heißt vor allem: neue Projekte planen oder mit Kommunalpolitikern sprechen, um passende Flächen für Photovoltaik-Anlagen zu nutzen. Mit ihrem Mann und ihrer Tochter wohnt sie in einem kleinen Dorf in Brandenburg. „Ich mag die Ruhe hier“, sagt sie. Trotzdem sei sie immer wieder gerne in ihrer Wohnung in Berlin. In ihrer freien Zeit geht sie gerne spazieren oder füttert die Hühner im Garten. 

Insgesamt hat die Genossenschaft bisher sechs PV-Anlagen realisiert. In Zukunft will Janina Messerschmidt neben ihrer Teilzeitstelle noch mehr Zeit in die Bürgerenergiegenossenschaft Oder-Spree investieren und in der Region weitere PV-Anlagen finanzieren. „Ich nehme gerade Anlauf, um in Zukunft wieder Vollgas zu geben“, sagt sie. 

Jeder muss seinen eigenen Weg finden, die Klimakrise anzupacken“

Was rät Janina Messerschmidt heute jungen Menschen, die sich fragen, mit welchen Karriere-Entscheidungen sie selbst am besten etwas gegen die Klimakrise tun können? Lohnt es sich noch, Klimaforscher zu werden, wenn schon alles bewiesen ist? Ist es sinnvoll, den Klimaschutz zum Karriereziel zu machen? Oder gleich selbst ein Unternehmen zu gründen? 

Messerschmidt ist zu dem Schluss gekommen: Mit lokalen Projekten vor Ort lässt sich mindestens genauso viel bewegen. Vieles von dem, was sie in der Bürgergenossenschaft heute umsetzt, hat sie zudem in ihren vorherigen Klimaschutz-Jobs gelernt. Auf ihre Erkenntnisse aus der Forschung greife sie etwa bei ihrer täglichen Arbeit immer noch zurück, sagt sie. Und aus ihrer Startup-Zeit habe sie gelernt, worauf es ankommt, um gute Teams aufzubauen und Projekte erfolgreich umzusetzen. „Am Ende muss jeder seinen eigenen Weg finden, mit der Klimakrise umzugehen – und das hier ist meiner – auch wenn er auf den ersten Blick weniger spektakulär ist.“