Mieter nach 40 Jahren auf einmal gekündigt: Kommt es zum Rechtsstreit?
40 Jahre nach dem Einzug in ihre Wohnungen haben mehrere Mieter aus der Himbselstraße in Starnberg nun ihre Kündigungen erhalten, weil der neue Eigentümer die bestehenden vier Mehrfamilienhäuser durch Neubauten ersetzen will. Während die Mieter um ihr Zuhause fürchten, argumentiert der Eigentümer mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten.
Starnberg – Von einem Moment auf den anderen war nichts mehr so wie vorher. Seit die Eheleute Helga (82) und Friedrich Schachtschneider (83) vor ein paar Wochen per Einwurfeinschreiben die Kündigung für ihre Mietwohnung an der Himbselstraße in Starnberg bekommen haben, „dreht sich alles um die Frage, wie es für uns weitergeht“, sagt Friedrich Schachtschneider. Zum 31. Dezember 2024 sollen sie raus aus ihren vier Wänden. So steht es in dem Schreiben einer Münchner Rechtsanwaltskanzlei, das ohne jede Ankündigung und persönliches Gespräch vorher plötzlich eintraf – bei ihnen und zeitgleich bei weiteren Mietern. Aber: „Wo sollen wir denn in Starnberg eine bezahlbare Wohnung finden?“, fragt Friedrich Schachtschneider.
Seit 40 Jahren wohnt das Ehepaar in der Himbselstraße 5a – Erstbezug, wie einige Nachbarn auch. Insgesamt zählen die vier Mehrfamilienhäuser unweit des Bahnhof Nord mit den Hausnummern 3, 5, 5a und 5b zwanzig Wohnungen, die aktuell alle vermietet sind. Seit Frühjahr 2023 gibt es aber einen neuen Eigentümer – und der will die Häuser nun abreißen und durch Neubauten ersetzen.
Einvernehmen der Stadt liegt bereits vor
„46 neue Wohnungen in S-Bahn-Nähe“, heißt es auf der Internetseite der in Starnberg ansässigen Firma Kirschner Property über das Vorhaben. Der Bauausschuss des Starnberger Stadtrats hat in seiner Sitzung am 22. Februar einstimmig das gemeindliche Einvernehmen erteilt unter der Voraussetzung, dass hinsichtlich der Zufahrt und der Wasserversorgung noch entsprechende Erschließungsnachweise zu erbringen sind, was jedoch kein Problem darstellen sollte. „Im Bauausschuss war von uns Mietern keine Rede, das gibt es doch gar nicht“, sagt Friedrich Schachtschneider.
„Man muss sich der aktuellen Lage anpassen“, sagt Joachim Kirschner, der Geschäftsführer der Firma, im Gespräch mit dem Starnberger Merkur. Die aus den Jahren 1979 und 1984 stammenden Gebäude seien dringend sanierungsbedürftig. In der Kündigung heißt es dazu: „Der Zustand der vier Gebäude ist jeweils dem Alter entsprechend. Es stehen daher grundlegende Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen an.“ Dach, Fassade, Heizung und Heizkörper müssten erneuert, Fenster ausgetauscht werden, heißt es. Dazu müssten die Gebäude gedämmt werden.
Geplant sind 3500 statt 1500 Quadratmeter
Das sei mit den aktuellen Mietzahlungen aber wirtschaftlich nicht zu leisten – im Durchschnitt sind es nach Zahlen, die dem Merkur vorliegen, knapp zehn Euro kalt pro Quadratmeter. „Da finde ich keine Bank, die mir das finanziert“, sagt Kirschner – offenbar ganz im Gegensatz zu einem Abriss und Neubau, wenn in dessen Folge ein Mietpreis von geschätzt 23 Euro verlangt werden könnte bei einer deutlich größeren Auslastung des Grundstücks. Kirschner spricht auf seiner Internetseite von künftig rund 3500 Quadratmetern Wohnraum insgesamt, bislang sind es gut 1500.
Wohnungen waren einst für Postler da
Zahlreichen Bewohnern wird bei den Plänen des Eigentümers ganz mulmig. Ursprünglich seien die Mietwohnungen an Beamte und Beschäftigte der Bundespost und des Fernmeldewesens vergeben worden, sagt Friedrich Schachtschneider dem Starnberger Merkur. Er war früher selbst bei der Post. Damals habe es geheißen, dass sie bis an ihr Lebensende in den Wohnungen bleiben könnten, sagt er. Das ganze Familienleben habe sich in der Wohnung abgespielt, jeder Winkel stecke voller Erinnerungen. Und außerdem: „Das Haus ist doch noch gut“, betont er.
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Die Veränderungen am Wohnungsmarkt in Deutschland haben auch vor der Himbselstraße 3, 5, 5a und 5b nicht Halt gemacht. Mehrmals wechselten die vier Mehrfamilienhäuser in den vergangenen vier Jahrzehnten den Eigentümer. „Zuletzt haben wir der Vonovia gehört“, sagt eine Mieterin. Zwar sei der Immobilienriese bundesweit immer wieder mal in den Schlagzeilen gewesen, „aber wir können nichts Schlechtes über die Firma sagen“, erklärt sie. Nun aber gehörten sie einem „Miethai“.
Eigentümer bietet Ersatz in Neubau an
Das will JoachimKirschner so nicht auf sich sitzen lassen. Er verstehe zwar die Sorgen der Mieter, sagt er, aber: „Wenn wir an den Häusern nichts machen und die Gesetzeslage so bleibt, wie sie ist, werden auf die Mieter horrende Nebenkosten zukommen.“ Und dann erneuert er ein Angebot, dass sein Anwalt bereits in der Kündigung geschrieben habe: „Die Mieter müssen nicht auf der Straße stehen.“ Er baue gerade auf einem Grundstück an der Ecke Ferdinand-Maria-Straße/Josef-Sigl-Straße zwei Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 18 Wohnungen, sagt Kirschner. Dort könnten Mieter aus der Himbselstraße einziehen – vorübergehend oder auch dauerhaft. Wie hoch die Miete dort ist, könne er allerdings noch nicht sagen. Höher als an der Himbselstraße wird sie bestimmt.
Gekündigt habe er im Übrigen bislang nur den Mietern, die eine Kündigungsfrist von neun Monaten hätten. Den Mietern mit kürzeren Fristen zu kündigen, ergebe derzeit noch keinen Sinn, weil er nicht abschätzen könne, ob die Wohnungen auch tatsächlich zum 31. Dezember 2024 frei würden, sagt der Eigentümer.
So einfach wollen die Mieter auch nicht aus ihrem Zuhause ausziehen und ihr gewohntes Umfeld verlieren. Weil es im Landkreis Starnberg einen Mieterverein mehr oder weniger nur noch auf dem Papier gibt, haben sich einige von ihnen in der Zwischenzeit an den Mieterverein München gewandt.
Mieterverein empfiehlt juristische Beratung
Dessen Geschäftsführerin Angela Lutz-Plank erklärt gegenüber dem Starnberger Merkur: „Grundsätzlich ist zu sagen, dass Vermieter kündigen können, wenn sie durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung des Grundstücks gehindert werden und dadurch erhebliche Nachteile erleiden würde.“ Das ist offenbar auch der Grund, warum Kirschner eine sogenannte „Verwertungskündigung“ hat verschicken lassen. Ein solches Verfahren komme relativ selten vor und sei weit weniger verbreitet als Kündigungen wegen Eigenbedarfs, erklärt Lutz-Plank.
Allerdings müsse der Vermieter in diesem Fall sehr genau und detailliert darlegen, welche finanziellen und wirtschaftlichen Nachteile er habe, wenn er das Gebäude weiter unterhalte. „Letztlich muss dann ein Gericht entscheiden, ob die Darlegungen und Berechnungen nachvollziehbar sind oder nicht.“ Darauf werde es vermutlich auch bei der Himbselstraße hinaus laufen.
Generell empfiehlt Lutz-Plank: „Mieter sollten sich in diesem Fall auf jeden Fall juristisch beraten lassen.“ Sie könnten Widerspruch gegen eine Kündigung einlegen, müssten allerdings begründen, warum ein Auszug aus der Wohnung für sie unzumutbar sei. „Wenn ein solcher Widerspruch eingelegt wird, muss auch ein Gericht überprüfen, welche Gründe schwerer wiegen: die des Mieters, in der Wohnung zu bleiben, oder die des Vermieters wegen der finanziellen Schäden.“
Dass sie sich auf ihre alten Tage mit so etwas noch auseinandersetzen müssen, hätten sich Helga und Friedrich Schachtschneider nie vorstellen können. „Wir haben als Mieter doch bislang noch nie einen Anwalt gebraucht.“