Ampel will besänftigen – doch Ökonomen warnen vor Insolvenz-und Pleitewelle
11.000 Unternehmen meldeten 2024 bisher Insolvenz an. Doch der Höhepunkt sei noch nicht erreicht, sagen Ökonomen und warnen die Ampel.
Berlin – Die Modehauskette Esprit, der Reiseveranstalter FTI oder die Baumanagement-Firma BPG Building Partners Group – gefühlt vergeht keine Woche in Deutschlands Industrie und Wirtschaft, ohne dass ein bekanntes Unternehmen insolvent geht. Eine Studie des Mannheimer Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung sah gar „ein leises Industriesterben in Deutschland“: Immerhin gebe rein rechnerisch alle drei Minuten ein Unternehmen in Deutschland auf.
Zudem meldete das Creditforum am 24. Juni, dass im ersten Halbjahr 2024 rund 11.000 Insolvenzen registriert worden seien. Das sind fast 30 Prozent mehr als noch im Vorjahreszeitraum – sowie ein Allzeithoch seit fast zehn Jahren. Nun kann eine Insolvenz sich anders als eine vollkommene Geschäftsaufgabe noch zum wirtschaftlich Guten wenden – als einen Indikator für den Zustand der deutschen Wirtschaft kann eine hohe Anzahl dennoch gesehen werden.
Hohe Zahl an Insolvenzen: Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ist zuversichtlich
Die Bundesregierung reagierte auf den monatelangen Abgesang auf die deutsche Wirtschaft und entwarf mit der neuen Wachstumsinitiative einen Schlachtplan – die Botschaft: Die Zahlen sollen bis Ende des Jahres wieder auf Wachstumskurs einschwenken. Konkret will die Ampel „den Pfad des Potenzialwachstums um 0,4 bis 0,5 Prozentpunkte anheben“, erklärte Stefan Kooths, Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, in der FAZ. Ähnlich formulierte es auch eine Sprecherin des von Robert Habecks geführten Wirtschaftsministerium: Die Bundesregierung nimmt die jüngsten Insolvenzzahlen ernst, sieht aber im langfristigen Vergleich noch kein Alarmzeichen.
In der Wirtschaft ruft diese optimistische Haltung differenzierte Reaktionen hervor. Widerspruch kommt etwa von Klaus-Heiner Röhl vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). Dieser sieht im Gespräch mit der Berliner Zeitung den Höhepunkt der Insolvenzen noch nicht erreicht. Zu sprunghaft sei die „häufige Änderung in der Politik“. Die Unternehmen bräuchten aber gerade während großer Krisen wie der Corona-Pandemie oder dem Ukraine-Krieg wirtschaftspolitische Verlässlichkeit. Exemplarisch für diesen Schlingerkurs der Ampelregierung sieht er das „Hin und Her beim Heizungsgesetz“. Hinzu kämen Probleme in der Struktur der deutschen Industrie und Wirtschaft, deren Ursache bis zur vor rund 12 Jahren gestarteten Energiewende zurückreichen.
Insolvente Unternehmen und Pleiten sind laut Ökonom langfristiger Trend
Auch Patrick-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung für die Wirtschaftsauskunftei Creditforum, sieht die Wirtschaft strukturell geschwächt, erklärte er der Berliner Zeitung. Falsche Anreizpolitik der Vorgängerregierung, aber auch der „toxische Cocktail“ aus Pandemie, Krieg, Inflation sowie der Personal- und Fachkräftemangel seien die Faktoren der heutigen Krise. Deshalb sei die Welle an Insolvenzen und Pleiten keine Momentaufnahme, sondern ein langfristiger Trend.
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Besorgt blickt Hantzsch zudem auf die überproportional hohe Betroffenheit von traditionell starken Branchen wie Industrie, Maschinenbau oder Automotive. Eine andere Perspektive nimmt dagegen Marcel Fratzscher im Gespräch mit Focus Online ein: Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin identifiziert bei dem Großteil der Schließungen hingegen kleinere Unternehmen in vielen Dienstleistungsbranchen. Die Zahl der Pleiten nehme zwar zu, aber das Niveau der Unternehmensschließungen sei „historisch gesehen nicht hoch, sondern das logische Resultat einer schwachen Konjunktur“. Um von einer Deindustrialisierung in Deutschland zu sprechen, gäben die Zahlen keine Rechtfertigung.
Wechselhafter Kurs der Ampel für Insolvenzen verantwortlich?
Ähnlich wie sein Kölner Kollege Röhl oder auch Hantzsch führt Fratzscher diese Entwicklung auf die derzeitige Umbruchphase zurück: „Wirtschaftliche Transformation bedeutet, dass manche Unternehmen schließen, damit neue Unternehmen entstehen und sich entwickeln können.“ Die entscheidende Frage sei eher, ob aus dieser Transformation „gute Arbeitsplätze“ entstehen, sodass Deutschland als Wirtschaftsstandort gestärkt wird.
Laut Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank, komme es dabei auf den Faktor Zuwanderung an: Unternehmen aus Europa und besonders Deutschland hätten hier speziell durch die demografische Entwicklung bedingte Probleme. „Viele Unternehmen finden keine Nachfolger mehr“, sagte der Ökonom Focus Online. Das spiegele sich in der Anzahl der Unternehmen wider. Ähnlichen Rückgang beobachte er bei den Neugründungen. Angesichts dieser Zahlen fordert er eine investorfreundliche Wirtschaftspolitik: Diese solle „einen verlässlichen Rahmen und ein günstiges Umfeld für den Strukturwandel“ bereitstellen. Als Beispiel führt er etwa attraktive Bedingungen für Gründungen oder Erweiterungsinvestitionen an.
Hantzsch ist angesichts der Konkurrenzfähigkeit skeptisch. Die Rahmenbedingungen seien heute viel schlechter als etwa zur Weltwirtschaftskrise 2009 mit rund 33.600 Insolvenzen. Der verschärfte Wettbewerb für Unternehmen gepaart mit der forcierten grünen Transformation durch die Ampel werde zu steigenden Insolvenzzahlen führen. Hier habe der wechselhafte Kurs der Regierung in Bezug auf Steuer- und Energiepolitik für Verunsicherung in der deutschen Wirtschaft gesorgt. Mit dieser Haltung habe die Ampel der deutschen Wirtschaft einen „Bärendienst geleistet“.