Vor knapp einem Jahr startete die ukrainische Armee eine Reform: Sie wollte ihre Kommandostruktur modernisieren und auf ein Korps-System umstellen. Ziel war es, die Streitkräfte besser zu organisieren und effektiver zu machen. Doch heute, mitten im Krieg, zeigt sich, dass diese Umstellung alles andere als reibungslos verläuft. Experten und Militärs kritisieren die Reform scharf – und fragen sich, ob sie überhaupt sinnvoll war.
Was sollte die Reform erreichen?
Die Idee hinter der Reform war klar: Die bisherigen temporären Kommandostrukturen, die seit 2014 genutzt wurden, sollten durch dauerhafte Korps ersetzt werden. Ein Korps umfasst normalerweise zwei bis fünf Brigaden, also zwischen 10.000 und 50.000 Soldaten, und soll unabhängig operieren können. Es soll durch klare Befehlsketten und bessere Koordination die Effizienz der Streitkräfte steigern.
„Es stellte sich als unbegründete, übereilte Pseudo-Lösung heraus“, sagt Bohdan Krotevych, der frühere Kommandeur der Azov-Brigade laut „Kyiv Independent“. Er sieht die Reform als theoretisch an, da die neuen Korps bisher nicht wie geplant funktionieren würden. Statt mehrere Brigaden zu koordinieren, überwachen sie oft nur eine oder zwei, viel zu wenig, um wirklich effektiv zu sein.
Es fehlt an Personal und Ressourcen
Ein Grund dafür ist der akute Personalmangel. „Woher soll das alles kommen, wenn wir nicht einmal genug Infanterie an den Frontlinien haben?“, fragt Viktor Kevliuk, ein pensionierter Offizier und Militärexperte laut „Kyiv Independent“. Für ein funktionierendes Korps brauche man nicht nur Brigaden, sondern auch unterstützende Einheiten wie Artillerie, Luftabwehr und Logistiktruppen. Diese Ressourcen fehlen jedoch.

Ein weiteres Problem ist der Mangel an geeigneten Führungspersonen. Militäranalyst Mykola Bielieskov betont laut „Kyiv Independent“, dass strukturelle Änderungen allein nicht ausreichen würden. Entscheidend sei eine grundlegende Veränderung in der Führungskultur sowie die Ausbildung einer neuen Generation von Kommandeuren mit direkter Kampferfahrung. „Es geht nicht nur um das Schild am Eingang des Kommandopostens“, sagt er. „Wirkliche operative Fähigkeiten hängen von Synchronisation und Erfahrung ab.“
Herausforderungen mitten im Krieg
Hinzu kommt, dass die Reform mitten im Krieg umgesetzt wird, Viele Brigaden können nicht in ihre vorgesehenen Korps integriert werden, weil sie an verschiedenen Frontabschnitten kämpfen müssen. Das führt dazu, dass Korps oft mit Einheiten arbeiten müssen, die ihnen formal gar nicht zugeordnet sind. John Hardie von der Washingtoner Foundation for Defense of Democracies beschreibt das Problem laut „Kyiv independent“ so: „Einige Kommandeure kennen sich nicht einmal persönlich, sollen aber in Echtzeit planen und auf eine sich schnell verändernde Lage reagieren.“
Die Reform kommt zudem in einer kritischen Phase des Krieges: Russische Truppen haben in mehreren Regionen Fortschritte erzielt, darunter in den Oblasten Charkiw und Dnipropetrowsk sowie im Donbass-Gebiet.