Statt Grundsicherung - 8 Millionen Rentner armutsgefährdet? Warum diese Zahl die Wahrheit verzerrt
Die "Bild-Zeitung" präsentierte vergangene Woche neue Rentenschock-Zahlen, zitiert aus einer Kleinen Anfrage an den Bundestag des AfD-Abgeordneten René Springer. Die Bundesregierung teilte mit, 7,9 Millionen Menschen in Deutschland hätten Ende vergangenen Jahres weniger als 950 Euro gesetzliche Rente im Monat bezogen. Das entspricht nach Angaben Springers in etwa dem durchschnittlichen Niveau der Grundsicherung im Alter, die wiederum das Existenzminimum von Rentnern abdecken soll. Bei rund 21,2 Millionen Rentnern, die es vergangenes Jahr insgesamt in Deutschland gab, würden damit also rund 37 Prozent in Armut leben – eine gewaltige Zahl. Schlimmer noch: Innerhalb nur eines Jahres sei sie um rund 800.000 Personen oder fast 10 Prozent angestiegen.
Doch wie so oft, müssen solche Zahlen genauer betrachtet werden. Wer als Rentner in Deutschland ein Einkommen hat, das unter dem Betrag der Grundsicherung liegt, der kann eben diese beziehen und seine Rente damit aufstocken oder im Extremfall komplett ersetzen. Dies machten nach Angaben der Bundesregierung aber nur knapp 690.000 Menschen. Zwar gehen Experten wie Forscher der Universität Jena davon aus, dass rund 60 Prozent der Rentner mit Anspruch auf Grundsicherung diesen nicht wahrnehmen. Hochgerechnet wären das also 1,7 Millionen Rentner in Armut, weit von den berichteten 7,9 Millionen entfernt.
Warum die Zahlen weniger dramatisch sind als sie klingen
Die Differenz erklärt sich dadurch, dass Bild und AfD hier nur eine Säule des deutschen Rentensystems betrachten, eben die gesetzliche Rente. Doch Rentner haben auch andere Einnahmen. Das kann eine Betriebsrente sein oder privates Einkommen, zum Beispiel aus der Vermietung von Immobilienbesitz oder angespartem Vermögen. Zudem gibt es viele Rentner, die zwar nur eine geringe gesetzliche Rente kassieren, deswegen aber noch lange nicht in Armut leben. Dazu gehören Frauen, die in ihrem Leben nur wenige Arbeitsphasen hatten, weil sie Kinder erzogen und/oder als Hausfrau gelebt haben, deren Mann aber genug Rente bezieht, damit beide Partner ordentlich leben können.
„Allein aus der Höhe einer Altersrente der gesetzlichen Rentenversicherung kann grundsätzlich nicht auf Bedürftigkeit in der geschlossen werden“, sagte denn auch Kerstin Griese, Staatssekretärin im Bundessozialministerium auf eine ähnliche Anfrage Springers aus dem Januar 2024, „geringe Renten der gesetzlichen Rentenversicherung kommen viel häufiger in Haushalten mit hohen Einkommen vor.“ Das liegt eben auch daran, dass ein Rentenanspruch in Deutschland schon ab nur fünf Erwerbsjahren besteht. Wer entsprechend wenig gearbeitet hat – weil er oder sie es vielleicht nicht mehr arbeiten musste – bekommt entsprechend auch weniger Rente.
Wenngleich die Armutszahlen von Bild und AfD also weit übertrieben und in Wirklichkeit weniger dramatisch sind, bleibt trotzdem die Feststellung, dass Rentner eine der armutsgefährdetesten Gruppen in unserer Gesellschaft sind. Während in der Gesamtbevölkerung 14,7 Prozent aller Personen diesen Status haben, sind es bei Menschen ab 65 Jahren schon 18,3 Prozent, bei den über 75-Jährigen 17,9 Prozent. Frauen sind hier aus den geschilderten Gründen kürzerer Erwerbszeiten sogar noch gefährdeter. Das ergäbe rund 3,9 Millionen armutsgefährdete Rentner. Als solcher gelten Sie, wenn Sie weniger als 60 Prozent des Medianeinkommens im Monat einnehmen. 2023 lag der Schwellwert dafür bei 1313 Euro verfügbaren Nettoeinkommens. In den vergangenen Jahren sinkt die Anzahl der armutsgefährdeten Rentner allerdings leicht, 2020 waren es noch 20 Prozent.
Solche Zahlen sind vor allem für jene beunruhigend, deren Renteneintritt nicht mehr weit entfernt ist und die auf Grund ihrer Erwerbsbiografie fürchten müssen, keine hohe Rente zu erhalten. Damit Sie Ihre Lage etwas realistischer einschätzen können, hier ein paar Tipps.
1. So wissen Sie, wie viel Rente Sie bekommen werden
Die Deutsche Rentenversicherung verschickt einmal im Jahr ein Schreiben an jeden Versicherten, in dem die bisher bezahlten Beiträge und die daraus resultierende Rente ausgerechnet wird. Dabei rechnet Ihnen die Versicherung einmal den aktuellen Ist-Zustand vor – also, wenn Sie jetzt sofort in Rente gehen würden – und einmal eine Prognose für den Zeitpunkt Ihrer Regelaltersrente. Für letzteres wird davon ausgegangen, dass Sie in den kommenden Jahren das gleiche Einkommen und damit die gleichen Beiträge erzielen wie im Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Anhand dieses Schreibens können Sie also direkt sehen, wie hoch Ihre gesetzliche Rente voraussichtlich sein wird. Die Summen sind dabei in heutiger Kaufkraft angegeben. Zukünftige Rentenerhöhungen oberhalb der Inflationsrate würden Ihre Lage also noch verbessern. Für eine seriöse Kalkulation Ihrerseits ist es aber am besten, ohne diese zu rechnen. Wer seine Renteninformation nicht findet, kann auch mit dem FOCUS-online-Rentenrechner einen Näherungswert berechnen.
Im Video: So lesen Sie Ihre Renteninformation

Die gesetzliche Rente ist aber wie gesagt nur ein Baustein der Rente in Deutschland. Sollten Sie zusätzlich mit einer Betriebsrente vorgesorgt haben, bekommen Sie von dieser Rentenversicherung ebenfalls einmal im Jahr eine Standmitteilung, die unter anderem die wahrscheinliche Rentenhöhe enthält, die Sie bei einem regulären Renteneintritt erhalten würden. Diese können Sie schon mal zu Ihrer gesetzlichen Rente hinzurechnen.
Die dritte Säule wäre Ihre private Altersvorsorge, so diese denn existiert. Hier müssen Sie selbst den Taschenrechner herausholen und ausrechnen, wie viel Geld Sie sich von Ihrem Ersparten pro Monat auszahlen können. Eine Faustformel besagt, dass Sie sich pro Jahr vier Prozent der Summe auszahlen können, pro Monat also etwa 0,33 Prozent des Ersparten, und das Geld dann 30 Jahre reichen würde. Hierbei sollten Sie berücksichtigen, dass Ihr Vermögen bis zum Renteneintritt hoffentlich noch etwas wächst. Wer mit Einnahmen aus einer Vermietung oder anderen Quellen plant, kann diese ebenfalls jetzt hinzurechnen. Am Ende bleibt die Summe, von der Sie im Alter höchstwahrscheinlich leben müssen. Vorsicht: Es handelt sich dabei um Bruttobeträge, die Sie noch versteuern müssen. Wie das genau funktioniert und wie Sie daraus das Nettoeinkommen berechnen, haben wir hier ausführlich erklärt.
2. Was Sie machen können, wenn die Rente nicht reicht
Stehen Sie weniger als zehn Jahre vor Ihrem Ruhestand und haben mit der obigen Methode ausgerechnet, dass Ihre Rente nicht ausreichen wird, gibt es noch einige Möglichkeiten, diese aufzubessern. Einfach davon ist aber keine. Das Simpelste wäre, Ihre Einnahmen zu steigern, also den Job zu wechseln, eine Beförderung oder zumindest Gehaltserhöhung anzustreben. Damit zahlen Sie automatisch mehr Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung, können aber auch noch mehr Geld privat ansparen.
Wie viel Ihnen Letzteres noch nutzt, hängt stark davon ab, wie viel Sie bereits angespart haben und wie viel Sie jetzt zusätzlich monatlich zurücklegen. Haben Sie aktuell etwa ein Vermögen von 10.000 Euro und legen jeden Monat 100 Euro zurück bei einer Nettorendite von vier Prozent pro Jahr, besitzen Sie nach zehn Jahren 29.786 Euro, von denen 7.786 Euro Zinsgewinne sind. Bei 200 Euro Sparrate würden Sie 10.770 Euro Zinsen verdienen. Haben Sie stattdessen schon 100.000 Euro zurückgelegt, kommen Sie dank höherem Ausgangsbetrag und Zinseszins bei denselben Sparraten auf 51.008 Euro beziehungsweise 53.992 Euro Zinsgewinne. Das kann für Ihre Rente schon viel ausmachen.
So sind auch ohne Gehaltserhöhungen höhere Sparraten eine weitere Möglichkeit, die Rente noch aufzubessern. Das muss Ihre aktuelle Lebenssituation aber auch hergeben. Um Ihre maximale Sparrate zu ermitteln, sollten Sie deswegen über ein paar Monate ein Haushaltsbuch mit allen Einnahmen und Ausgaben führen und so ermitteln, wie viel Geld Sie jeden Monat zurücklegen können und wo sich vielleicht Einsparpotenziale finden.
Die allerletzte Möglichkeit, die Rente aufzubessern, besteht darin, auch im Rentenalter noch zumindest in Teilzeit zu arbeiten. Das wird heute schon von der Bundesregierung steuerlich gefördert und soll in Zukunft ausgebaut werden. Allerdings setzt das voraus, dass Sie körperlich und mental dazu in der Lage sind, noch länger zu arbeiten.
Im Video: Das müssen Rentner bei Minijobs beachten
