Segen für Putin: Nordkorea füttert Russland mit Millionen Granaten
Granaten mit dem Zeug zum Blindgänger gegen ein wenig internationale Anerkennung: Wladimir Putin und Kim Jong-Un bilden die Koalition der Geächteten.
Pjöngjang – „Führende ukrainische Verteidigungsbeamte und US-Diplomaten sind sich in einem Punkt einig: Nordkoreas Waffenlieferungen an Russland gehören zu den größten Bedrohungen für Kiews Fähigkeit, die russische Invasion abzuwehren“, schreibt Keith Johnson. Tatsächlich häufen sich die Berichte, dass Russland im Ukraine-Krieg sein eigenes Pulver längst verschossen hätte – und trotzdem kaum klein beigeben muss, wie der Autor des Magazins Foreign Policy schreibt. Putins Waffenbruder Kim Jong-un schießt nach, offenbar auf Dauerfeuer. Wird zumindest behauptet.
In letzter Zeit habe die russische Armee häufiger nordkoreanische als russische Granaten gegen ukrainische Soldaten eingesetzt, schreibt aktuell der ukrainische Nachrichtenkanal RBC mit Bezug auf das Nachrichtenmagazin Bloomberg – das hätte südkoreanische Geheimdienst-Dokumente gesichtet und dort auch Informationen des ukrainischen Geheimdienstes über den Einsatz von Artilleriegeschossen durch Russland gefunden.
Der unerschöpfliche Quell von Munition: Wie Wladimir Putin und Kim Jong-un sich gegenseitig befeuern
„Den Dokumenten zufolge stammten zuletzt nur noch 30 Prozent der von Russland bei Angriffen eingesetzten Artilleriegeschosse aus russischer Produktion. Die restlichen 60 Prozent lieferte Nordkorea, die restlichen zehn Prozent der Munition stammten aus iranischem Besitz“, schreibt RBC. Daraus ließe sich schlussfolgern, dass Russland doppelt so viele Granaten nordkoreanischer Produktion einsetze wie eigene.
„Die Vereinigten Staaten sollten Europa in die Bemühungen einbeziehen, nordkoreanisches Finanzvermögen zu beschlagnahmen.“
Allerdings sind diese Zahlen mit Vorsicht zu betrachten. Wie das Magazin Defense Express schreibt, weiß Südkorea darum, dass dem Land die belastbaren Informationen fehlen. Demnach läge ein erheblicher Teil der nordkoreanischen Rüstungsproduktion unter der Erde; 200 Munitionsfabriken soll das Land derzeit betreiben.
Nordkoreas Machthaber Kim Jong-un ist der fleißigste Verbündete von Diktator Wladimir Putin und dessen unerschöpflicher Quell von Munition – allerdings soll die gelieferte Ware das Pulver nicht wert sein, wie beispielsweise Defense Express jüngst berichtet hat: Die russischen Artilleristen beschweren sich beispielsweise über die „systematische Streuung in der Reichweite“ ihrer Granaten. Das heißt: Die Geschosse irrlichtern durch die Luft, was dazu führt, dass mehr Munition für die Erfüllung einer typischen Aufgabe aufgewendet werden muss. Und die scheint in Hülle und Fülle nachzukommen.
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Putin und Kim: verpflichtet zur Stärkung der militärischen Beziehungen
Wie das Magazin Foreign Policy schreibt, sollen bereits Mitte 2022 „Tausende von Schiffscontainern“ aus Nordkorea in Russland angelandet und dort per Bahn an die Front verfrachtet worden sein. Laut Analysten des US-Außenministeriums seien mindestens 11.000 Container angekommen – offenbar randvoll mit Munition. Kyrylo Budanow äußerte, dass die Lieferungen etwa eine Woche nach Eintreffen auf dem Schlachtfeld ihre Wirkungen gezeitigt hätten. Insgesamt beträgt die Zahl der gelieferten nordkoreanischen Artilleriegeschosse zwischen geschätzten 1,6 und sechs Millionen. Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes bezeichnete die ununterbrochenen Munitionslieferungen aus Nordkorea an russische Häfen im Fernen Osten als direkte Bedrohung für die ukrainischen Frontlinien Tausende von Meilen westlich, wie Foreign Policy schreibt.
Dabei versucht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen bereits seit 2006 den Waffenexport Nordkoreas zu unterbinden. Aber vor allem Russland als Ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates und Befürworter der Sanktionen soll ein Doppelspiel treiben, um den Ukraine-Krieg weiter befeuern zu können. Erst im Juni hatten der russische Präsident Wladimir Putin und der nordkoreanische Diktator Kim Jong-Un in Pjöngjang einen gegenseitigen Verteidigungsvertrag unterzeichnet und sich zur Stärkung der militärischen Beziehungen verpflichtet.
Experten behaupten: Artilleriefeuervorteil von mindestens dreifacher Stärke für Russland
„Neben der Bereitstellung militärischer Unterstützung im Falle eines Angriffs sieht der Vertrag auch eine militärische Zusammenarbeit zwischen Russland und Nordkorea vor. Artikel 8 zufolge sollen die Parteien ,Mechanismen schaffen‘, um ,die Verteidigungsfähigkeiten zu stärken und so einen Krieg zu verhindern‘, schreibt Kelsey Davenport vom U.S.-Thinktank Arms Control Association. Offenbar interessiert die Russen die Qualität ihrer Artilleriegranaten nur wenig – oder: die Führung nur wenig. Allein durch die Masse an Granaten „hat Russland gegenüber den ukrainischen Streitkräften einen Artilleriefeuervorteil von mindestens dreifacher Stärke und in manchen Gebieten sogar noch mehr bewahrt“, sagt Michael Kofman.
Der Analyst des Thinktank Carnegie Endowment for International Peace spricht davon, dass Quantität eine ganz eigene Qualität haben kann. Da sich Nordkorea jahrzehntelang für einen konventionellen Krieg gerüstet habe, träfe das dortige Überangebot die aktuelle russische Nachfrage. „Laut Analysten ist Russland vor allem an Artilleriemunition interessiert: Nordkorea verfügt über mit russischen Geschützen kompatible Granaten mit den Kalibern 152 mm und 122 mm“, schreibt Frederic Spohr für die Friedrich-Naumann-Stiftung.
Besorgniserregend: Ausmaß, indem Nordkorea mit fortschrittlicher Militärtechnologie versorgt wird
„Potenziell viel besorgniserregender, aber viel schwieriger zu fassen, ist das Ausmaß, in dem Russland bereit ist, Nordkorea mit fortschrittlicher Militärtechnologie zu versorgen“, schreibt Foreign Policy-Autor Keith Johnson. Kim Jong-Un scheint die Nähe zu Russland zu pflegen, um näher an Südkorea heranzurücken und dadurch seinen Anspruch in dieser Region zu untermauern. Möglicherweise wird Diktator Kim Jong-un für seine Lieferungen bezahlt, mit Elektronik, die er für seine Atomwaffen braucht; was wiederum Auswirkungen auf Südkorea hätte. In einer Auseinandersetzung zwischen China und den USA, beispielsweise um Taiwan, könnte Nordkorea einer US-amerikanisch-südkoreanischen Allianz in die Flanke fallen – auch das halten Beobachter für möglich.
Eine große Befürchtung sei, dass die erneuerten und verstärken Beziehungen zwischen Pjöngjang und Moskau Kim ermutigen könnten in der Region eine noch aggressivere Linie zu verfolgen als in den vergangenen Jahren, schreibt Johnson. Analysten sehen in diesem Hin und Her von Containern sogar den Anfang tektonischer Verschiebungen in Ost-Asien: Mit dem Verkauf konventioneller Munition will das Regime von Kim Jong-un sein Raketenprogramm vorantreiben – mit weit reichenden Auswirkungen, wie Eric J. Ballbach für den deutschen Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik konstatiert.
„In einer Rede zum 90. Jahrestag der Gründung der Koreanischen Revolutionären Volksarmee beschwor er nicht nur das Ziel, das Atomwaffenprogramm des Landes, sowohl qualitativ als auch quantitativ‘ zu stärken, sondern ließ auch erkennen, dass dessen Zweck sich nicht auf die Verhinderung eines Krieges beschränke.“ Das ist eine klare Drohgebärde an Südkorea sowie Japan.
Prognose stellt klar: Deal zwischen Kim und Putin hat Folgen für die innere Sicherheit der USA
Und es gäbe noch etwas anderes, das Kim von Russland bekommen könnte, außer Nahrungsmitteln, Öl oder Technologie: einen Anschein internationaler Legitimität, wie Johnson schreibt. Putin sagte, Russland werde seinen Widerstand gegen die Sanktionen gegen Nordkorea fortsetzen, die er als „illegal“ bezeichnete. Er deutete an, dass beide Länder an der Entwicklung von Zahlungssystemen arbeiten würden, die „nicht vom Westen kontrolliert“ würden, so Kelsey Davenport vom Thinktank Arms Control Association.
Diese Verknüpfung der russischen und der nordkoreanischen Sicherheit habe jedoch mehr als nur Auswirkungen auf die koreanische Halbinsel, sondern auch auf die innere Sicherheit der USA, schrieben Victor Cha und Ellen Kim bereits im Juni. Die beiden Analysten des Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS) sehen in jeder Granate, die Kim an Putin verkauft, einen Sargnagel mehr in der Sicherheit vor allem der USA. Mit jedem Schuss gen Ukraine wackelt die Sicherheit des zentaleuropäischen Raums, weil Kim Jong-un seine Position im Indo-Pazifik verstärkt.
Für die CSIS-Analysten scheint die Lösung sehr simpel zu sein: „Die Vereinigten Staaten sollten Europa in die Bemühungen einbeziehen, nordkoreanisches Finanzvermögen zu beschlagnahmen.“