"Menschen trauen sich nicht": 4.Juli-Feiern fallen wegen Angst vor Trump aus

"Die Einwohner unserer Stadt sind zu 96 Prozent Latinos. Viele fühlen sich momentan in der Öffentlichkeit nicht mehr sicher und trauen sich kaum noch vor die Tür", erklärt Michael B. O’Kelly, Leiter der Stadtverwaltung von Bell Gardens, im Gespräch mit FOCUS online. 

"Sie haben Angst, dass sie von maskierten ICE-Polizisten, die sich noch nicht einmal ausweisen, verhaftet werden. Diese Furcht herrscht übrigens auch unter Migranten mit einer Aufenthaltserlaubnis." ICE steht für die Einwanderungsbehörde "Immigration and Customs Enforcement".

Bei ICE-Razzien könne es zu Verwechslungen kommen oder die Falschen erwischt werden, befürchten einige Latinos. "Daher hielten wir es aus Rücksicht auf die Sicherheitsbedenken unserer Einwohner für besser, diesmal alle geplanten Feiern zum Unabhängigkeitstag zu streichen."

4.Juli-Feiern gestrichen: Panik vor ICE-Razzien

In den vergangenen Jahren kamen meist mehr als 3000 Besucher zur Feier zum 4. Juli, so O’Kelly. Es gab Live-Musik, eine Laser-Show, Foodtrucks und Attraktionen für Kinder. 

"Aber momentan haben die Menschen so viel Angst, sich auf der Straße zu zeigen, dass sowieso nur maximal 20 Prozent der normalen Besuchermenge zustandegekommen wäre", schätzt er. "Insofern hätte es gar keinen Sinn gemacht, an den Feierlichkeiten festzuhalten."

Bell Gardens hat rund 40.000 Einwohner. Die Gemeinde liegt im südöstlichen Großraum von Los Angeles und ist eine von mehreren kalifornischen Städten mit hohen Latino-Anteilen, deren Feiern zum Unabhängigkeitstag abgesagt wurden.

Auch die Bürgermeister von Huntington Park, Whittier, Rowland Heights sowie zahlreichen Stadtvierteln von Los Angeles nannten die Panik ihrer Einwohner vor ICE-Razzien als Grund für die gestrichenen 4th-of-July-Feiern. Bereits geplante Festivals, Freilichtfilmvorführungen und Konzerte fallen aus.

Viele Einwanderer führen ein Leben in Angst

Seit Donald Trumps Amtsantritt wurden in den USA immer mehr Migranten festgenommen. Im Mai verkündete Stephen Miller, der Einwanderungsberater des US-Präsidenten, 3000 Migranten-Verhaftungen als neues Tagesziel.

Viele undokumentierte Einwanderer schildern nun, wie sich ihr Leben verändert hat. Sie trauen sich kaum noch aus dem Haus, berichten sie – auch nicht zu Ärzten, Schulveranstaltungen ihrer Kinder oder in Gottesdienste. 

Insbesondere die Sitzbänke vieler katholischer Kirchen bleiben leer, da große Teile der Latino-Community dem katholischen Glauben angehören. Wichtig zu wissen: Laut einem Bericht der "Tagesschau" hat ein Viertel der Migranten aus Lateinamerika keinen Aufenthaltstitel. 

In zahlreichen migrantenstarken Gegenden erinnert die aktuelle Stimmung an Corona-Zeiten: leere Straßen, leere Busse, leere Restaurants und leere Geschäfte. Viele verlassen ihre Wohnung nur noch für das Allernötigste – sie gehen zur Arbeit und anschließend sofort wieder nach Hause. Andere bleiben sogar ihrem Arbeitsplatz fern.

Sprecherin: "Behauptungen sind abstoßend und falsch"

Die US-Regierung bezeichnete die bisherigen Razzien als Erfolg und betonte, man gehe vorwiegend gegen illegale Migranten mit Vorstrafen wegen Gewalttaten vor. Doch Videoclips von Latinos, die scheinbar willkürlich auf offener Straße oder Parkplätzen von Bau- oder Supermärkten verhaftet werden, schüren die Ängste.

Inzwischen berichten sogar dunkelhäutige Menschen mit einer Aufenthaltserlaubnis, dass sie Angst davor haben, vor die Tür zu gehen. Sie befürchten, dass sie von ICE-Polizisten verwechselt und fälschlicherweise inhaftiert oder deportiert werden könnten. 

Dazu erklärte eine Sprecherin des Heimatschutzministeriums: "Behauptungen, dass Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe ins Visier genommen werden, sind abstoßend und schlicht falsch."

Doch selbst die US-Senatorin Sasha Renee Perez trägt nun stets ihren amerikanischen Pass bei sich, verriet sie der "New York Times" (NYT). Ihre Eltern hätten sonst Angst um sie, erzählte die 32-Jährige. Perez ist in Amerika geboren und wuchs in einem Latino-Haushalt auf.

Atmosphäre voller Angst

Und Hector Mata, ebenfalls US-Staatsbürger, traut sich nicht mehr, mit dem Bus zu fahren. Er sorgt sich, die ICE könnte sich auf öffentliche Verkehrsmittel konzentrieren, die größtenteils von Migranten genutzt werden. 

"Ich bin braun", sagte er der "NYT", "und das ist alles, was sie brauchen." Die Zahl der Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr von Los Angeles sank bereits um 15 Prozent.

Auch in anderen Teilen des Landes mit vielen Migranten herrscht eine Atmosphäre voller Angst. Die Verhaftungen von Migranten auf einem Supermarktparkplatz in Cincinnati (Ohio) Ende Mai führten zu wochenlangen leerstehenden Lokalen und Geschäften in dem Stadtteil, berichtet das "Wall Street Journal" (WSJ). 

Die Kunden seines kleinen Lebensmittelladens würden nur langsam wieder zurückkehren, verriet Geschäftsinhaber Federico Ventura dem Wirtschaftsblatt: "Sie denken, jeder LKW mit getönten Scheiben könnte die ICE sein."