Hilfe für Putins Krieg: Diese Staaten umgehen die Russland-Sanktionen – auch europäische Firmen schauen weg

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Immer wieder gelangt sanktionierte EU-Ware nach Russland. Dabei helfen Zwischenhändler in Drittstaaten. Einige weisen geradezu wundersame Handelsexplosionen auf.

Auf den ersten Blick wirken die Russland-Sanktionen der EU wie ein großer Erfolg. Die Ausfuhren in Wladimir Putins Reich sind seit Beginn seines Ukraine-Feldzuges deutlich gesunken. Die Ausfuhren etwa von Maschinen gingen nach EU-Daten von 370.000 Tonnen im vierten Quartal 2021 auf 50 Tonnen im zweiten Quartal 2024 zurück, die von Autos noch drastischer von 228 auf sechs Tonnen. Im Juni zahlte Russland an Europa nach Angaben des ukrainischen Russlandexperten Alexander Kolyandr vom Centre for European Policy Analysis (CEPA) schlappe 2553 Euro für Mikrochips – weniger als 0,01 Prozent dessen, was es im Juni 2021 importiert hatte.

Doch trotz des strengen westlichen Sanktionsregimes schafft Moskau es immer noch, westliche Materialien für seine Industrie einschließlich der Waffenproduktion zu bekommen. „Tatsächlich werden jedes Mal, wenn ein Marschflugkörper meine Heimatstadt Charkiw in der Ostukraine trifft, neu produzierte westliche Mikrochips in den Trümmern gefunden“, schreibt Kolyandr, der heute in London lebt.

Nicht nur China: Auch andere Länder fungieren als Drehscheibe für den Russlandhandel

Wie kann das sein? Der Verdacht fiel früh auf China, das nicht nur – ebenso wie Indien – seine Öl- und Gasimporte aus Russland steigerte. Firmen der Volksrepublik lieferten Russland zudem Konsumgüter, die den Ausfall westlicher Marken kompensierten. Und auch militärisch nutzbare Güter, von Drohnen über Chips bis zum Kugellager, finden ihren Weg aus China nach Russland. Manches davon wird in der Volksrepublik produziert, anderes via China re-exportiert; zu einer Drehscheibe solcher Schattengeschäfte hat sich Hongkong entwickelt.

Doch China ist längst nicht der einzige Kanal Russlands zur Außenwelt. Etwa ein halbes Jahr nach Beginn des Ukraine-Krieges begannen die EU-Exporte in eine ganze Reihe Länder rasant anzusteigen, die nicht Teil des Sanktionsregimes sind – etwa Georgien, Armenien, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und die zentralasiatischen Staaten Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan. Alle diese Länder haben enge Handelsbeziehungen zu Russland. „Dies deutet darauf hin, dass aller Wahrscheinlichkeit nach dieselben sanktionierten Waren, die nicht direkt nach Russland geliefert werden dürfen, über Drittländer nun wieder dorthin exportiert werden“, so Kolyandr. Sanktionsbeamte in Europa und den USA teilten diese Ansicht.

Feuerwehrleute arbeiten am Ort eines russischen Raketenangriffs inmitten des russischen Angriffs auf die Ukraine
Löscharbeiten nach russischem Raketeneinschlag Anfang September in Charkiv: „Immer wieder neu produzierte westliche Mikrochips in den Trümmern“ © Titov Yevhen/Abacapress/Imago

Kasachstan: Import und Export von Elektronik seit Kriegsbeginn explodiert

Das britische Magazin Economist untersuchte zum Beispiel die Handelsströme sanktionierter Güter durch Kasachstan. „Im vergangenen Jahr schien die winzige Technologiebranche der zentralasiatischen Republik einen Triumph zu feiern“, ätzten die Autoren. Das Land habe gerade einmal 50 Tech-Unternehmen. Deren Ausfuhren nach Russland stiegen wundersamerweise seit 2021 von 40 Millionen US-Dollar auf 298 Millionen Dollar im Jahr 2023. Überraschung: Parallel stiegen die Elektronikimporte aus Europa, und zwar nach dem Bericht von 250 Millionen Euro auf 709 Millionen Euro. „Haben die kasachischen Firmen auf magische Weise expandiert, oder haben die russischen Firmen einen Umweg zu ihren alten europäischen Lieferanten gefunden?“, fragt das Magazin. „Urteilen Sie selbst.“

Der rasanteste Anstieg der Ausfuhren aus der EU nach Kasachstan und Armenien ist nach dem Bericht mit einem Zuwachs von 50 Prozent zwischen 2021 und 2023 bei den stark sanktionierten Produktgruppen Chemikalien, Elektronik und Maschinen zu beobachten – während zugleich die direkten Exporte dieser Produkte aus der EU nach Russland um drei Viertel schrumpften. Kolyandr hat ein noch abstruseres Beispiel parat: Die Ausfuhr von Schiffsschrauben und -teilen, die auf der Sanktionsliste stehen, sei in einige der oben genannten Länder stark gestiegen. „Dies gilt auch für die landumschlossenen Gebirgsrepubliken Armenien und Kirgisistan, die nicht gerade für ihre maritime Stärke bekannt sind.“

USA decken Netzwerke russischer Zwischenhändler auf

Welche europäischen Unternehmen sich wegen Krieg und Sanktionen einfach neue Märkte suchen, und welche über die Drittstaaten gezielt diese Sanktionen umgehen, ist schwer zu sagen. Vielfach machen vor allem die Zwischenhändler gute Geschäfte. Und nicht immer weiß der europäische Exporteur, ob und an wen seine Ware weiterverkauft wird.

Doch 2023 verhängten die USA Sanktionen gegen ein vom russischen Großhändler Mayak organisiertes Netzwerk von EU-Unternehmen, darunter zwei finnische Logistikfirmen. Es soll verbotene Ausrüstungen wie Drohnenkameras und Lithiumbatterien durch Usbekistan und Armenien nach Russland gebracht haben. Im Juni deckten die USA laut Economist nochmal zwei ähnliche Netze auf, die für russische Händler über die Türkei beziehungsweise via Kirgisistan Produkte europäischer Werkzeughersteller nach Russland lieferten.

EU und USA wollen Schlupflöcher schließen

Die EU, die USA und andere westliche Länder versuchen seit langem, gegen diese Geschäfte vorzugehen, doch die Ermittlungen sind oftmals schwierig. Die EU erließ im Juni ihr 14. Sanktionspaket, das erstmals die Exporteure in die Verantwortung nimmt für das, was mit ihrer Ware im Zielland passiert. Die Nichtbeachtung der neuen Vorschriften gilt zudem nun als Straftat. Der lettische Experte Ēriks Selga empfahl im Juli eine europaweite Sanktionsbehörde nach dem Modell der Anti-Geldwäsche-Behörde der EU. Das sei wesentlich effizienter als Ermittlungen der einzelnen Mitgliedsstaaten, deren Rechtsauffassungen und Ermittlungsansätze sehr unterschiedlich seien.

Kolyandr warnt allerdings vor überzogenen Erwartungen. „Strengere Kontrollen und höhere Geldstrafen werden die Russen dazu zwingen, viele Zwischenschritte zu schaffen, um die Verbote zu umgehen – aber ein vollständiges Verbot ist unmöglich durchzusetzen oder aufrechtzuerhalten.“ Ein „komplettes, wasserdichtes Sanktionssystem“ solle man daher gar nicht erst versprechen.

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