Den Begriff der Law-and-Order-Politik verwendet so mancher in den Reihen der politischen Konkurrenz als Vorwurf an die Adresse der CSU. Die aber wirbt sogar aktiv damit.
„Unser Sicherheits-Plan für ein Law-and-Order-Deutschland“: So ist das Papier überschrieben, mit dem die Christsozialen im Vorfeld ihrer Winterklausur im Kloster Seeon von sich reden machen.
Sind die Vorschläge aus Sicht von Fachleuten rechtlich machbar und welche Effekte hätten sie? Fünf Ideen zum Thema Migration im Check.
1. Zurückweisungen an den Grenzen
Die CSU legt sich fest: „Die erste Maßnahme, die von einem Bundesinnenminister nach der Wahl umgesetzt werden muss, ist die Zurückweisung von Ausländern ohne ein Recht zur Einreise in unser Land.“ Doch ist das überhaupt möglich?
„Dass Zurückweisungen an der Grenze nicht möglich sind, wurde in letzter Zeit ja schon von vielen geklärt“, sagt Constanze Janda, Rechtswissenschaftlerin an der Universität Speyer, dem Tagesspiegel. Weder Europarecht noch das Völkerrecht würden dies erlauben.
Die Bundesrepublik müsse sauber prüfen, ob sie für ein Asylverfahren zuständig sei. Wenn nicht, dürfe sie nur in den zuständigen Staat überstellen, nicht aber in den Nachbarstaat, über den eine Person einreisen möchte.
Zurückweisungen seien das neue Aushängeschild, sagt Daniel Thym, Jurist an der Universität Konstanz. Die CSU wolle so das Auslesen von Handydaten erleichtern. Offen bleibe der langfristige Plan: „Wie wollen CDU und CSU das EU-Asylsystem neu aufstellen?
Dieses funktioniert schlecht, mit deutschen Zurückweisungen würde es kollabieren“, lautet Thyms Einschätzung. Die Union brauche einen Plan für den „Tag danach“.
Gerade eine rechtsstaatlich orientierte Partei wie die CSU müsse wissen, dass eine direkte Zurückweisung gegen EU-Recht verstoße, sagt auch Sabine Hess, Migrationsforscherin an der Universität Göttingen. Die Zahl der ankommenden Geflüchteten sei zuletzt zurückgegangen, die CSU-Forderung „absolut realitätsfern“.
2. Weniger Asylverfahren vor Gericht
Die CSU fordert, dass Asylentscheidungen künftig nur noch von einer Gerichtsinstanz überprüft werden können – „das verfassungsrechtliche Minimum“. Die Prozesskostenhilfe will sie einschränken. Dazu sagt Jurist Thym, die langen Gerichtsverfahren seien in der Tat ein „Riesenproblem“.
Weniger Instanzen würden ihm zufolge allerdings dazu führen, dass je nach Gericht ganz unterschiedlich geurteilt werde. Das lasse die Gerichte im Ergebnis langsamer werden.
„Das richtige Ziel muss anders erreicht werden“, glaubt Thym. Weniger kostenlose Rechtsanwälte seien aber möglich, teilweise habe die Ampelkoalition diese erst eingeführt.
3. Subsidiären Schutz abschaffen
Viele Geflüchtete sind nicht asylberechtigt und genießen auch keinen Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention, bekommen aber subsidiären Schutz zuerkannt – etwa, weil in ihrer Heimat Krieg herrscht. Das betrifft zum Beispiel viele Syrerinnen und Syrer in Deutschland. Diesen Schutzstatus will die CSU abschaffen und „auf europäischer Ebene darauf hinwirken, zum ursprünglichen Geist der Genfer Flüchtlingskonvention zurückzukehren“.
Ob es für eine Abschaffung auf europäischer Ebene eine Mehrheit gibt, hält Juristin Janda für fraglich. Sie erinnert daran: Der Status ist eingeführt worden, „da sich der Flüchtlingsschutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention als unzureichend erwiesen hat – das gilt insbesondere für Bürgerkriegsflüchtlinge“.
Die Konvention setze eine individuelle Verfolgung der einzelnen Person voraus, der subsidiäre Schutz dagegen nur eine abstrakte Gefahr. Die Behauptung der CSU, durch den subsidiären Schutz würden Menschen ohne Schutzbedürfnis in Deutschland leben können, hält Janda für falsch.
"Der Schutz vor Verfolgung kann nicht nur denen zuteil werden, die Einkommen und Vermögen haben" Constanze Janda, Juristin
Skeptisch ist auch Jurist Thym. „Die CSU erkennt selbst, dass dies leichter gesagt als getan ist“, sagt er zur Idee, den subsidiären Schutz abzuschaffen. Trotzdem sieht er Potenzial, in der Praxis etwas zu ändern: „Der subsidiäre Schutz für Bürgerkriegsflüchtlinge und sonstige Abschiebungsverbote werden speziell in Deutschland extrem großzügig gehandhabt. Behörden und Gerichte könnten gerade bei Syrern und Afghanen deutlich strenger sein, ohne dass man dafür internationale Verträge aufkündigt.“
Ablehnend reagiert hingegen Migrationsforscherin Hess. Die CSU stelle „zentrale Errungenschaften des internationalen und europarechtlichen Menschenrechtsschutzes infrage“, sagt sie dem Tagesspiegel. Das Versprechen, den subsidiären Schutz abzuschaffen, sei nicht nur rechtlich heikel, sondern folge der Logik, den Rechtsstaat angesichts rechtspopulistischer Angriffe nicht zu stärken, sondern selbst mit abzubauen. Das kennzeichne das CSU-Programm.
4. Bleiberecht an auskömmliches Einkommen knüpfen
„Wer eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland erhalten möchte, darf seinen Lebensunterhalt nicht durch Sozialleistungen bestreiten müssen“, fordert die CSU und möchte das „Bleiberecht“ an ein auskömmliches Einkommen knüpfen. Aus Sicht von Juristin Janda ist das unpräzise: „Es kommt darauf an, was genau mit Bleiberecht gemeint ist“, sagt sie.
Die Erlaubnis, sich dauerhaft in Deutschland niederzulassen, könne zum Beispiel schon heute nur erteilt werden, wenn der Lebensunterhalt gesichert sei. Das gelte grundsätzlich auch für die Aufenthaltserlaubnis, also das befristete Aufenthaltsrecht, bereits heute.
Es gebe aber aus gutem Grund Ausnahmen für Geflüchtete: „Der Schutz vor Verfolgung kann nicht nur denen zuteilwerden, die Einkommen und Vermögen haben.“ Das zu ändern, wäre unzulässig.
"Linke Parteien mögen ein Bleiberecht für alle fordern. Die Menschenrechte verlangen dies jedoch eindeutig nicht" Daniel Thym, Jurist
Janda verweist auch darauf, dass nach der Genfer Flüchtlingskonvention Geflüchtete ein Recht auf Sozialhilfe haben – und zwar „unter den gleichen Voraussetzungen wie die eigenen Staatsangehörigen“.
Skeptisch ist auch Sandra Zimmermann, Arbeitsmarktforscherin am WifOR Institute. Die Aussage „Migration in den Arbeitsmarkt, aber nicht in die Sozialsysteme“ höre sich nach einem Feigenblatt an, das den tatsächlichen Mangel an durchdachten Strategien kaschieren solle. Integration erfordere ein langfristiges, systematisches Vorgehen auch im sozialen, kulturellen und politischen Leben.
„Wenn der Fokus ausschließlich auf der Abschreckung von Migranten liegt, ohne ein adäquates Integrationskonzept zu entwickeln, könnte Deutschland gesellschaftlich und wirtschaftlich in eine tiefe Spaltung geraten“, sagt Zimmermann dem Tagesspiegel. Auch eine Verschärfung des Fachkräftemangels sei zu befürchten.
Das CSU-Papier hält Zimmermann für „das Gegenteil einer offenen und humanitären Willkommenskultur“, zumal es an konkreten Vorschlägen für die Arbeitsmarktintegration fehle. „Es ist fraglich, wie Deutschland als Zuwanderungsland für Fachkräfte attraktiv werden soll“, sagt sie.
5. Rückkehr-Roadmap für Syrer erarbeiten
Drei Grundsätze will die CSU ins Werk setzen, damit Menschen nach Syrien zurückkehren: Erstens sollen Straftäter sofort abgeschoben werden. Zweitens soll die freiwillige Rückkehr unterstützt werden und es sollen für Rückkehrverweigerer Abschiebemaßnahmen vorbereitet werden. Drittens könne es eine Bleibeperspektive geben für alle, die in Deutschland einer auskömmlichen Arbeit nachgehen.
Für eine „Selbstverständlichkeit“ hält eine solche Roadmap Jurist Thym. „Es ist geltendes Recht, dass der Schutzstatus wegfällt, wenn Syrien wieder sicher sein sollte.“ Eine vorausschauende Politik müsse für die Zukunft planen. „Linke Parteien mögen ein Bleiberecht für alle fordern. Die Menschenrechte verlangen dies jedoch eindeutig nicht“, sagt Thym.
Über die Experten:
Daniel Thym Daniel Thym ist Professor und Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht mit Europa- und Völkerrecht an der Universität Konstanz sowie Leiter des Forschungszentrums Ausländer- und Asylrecht. Zudem ist er Stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrats für Integration und Migration und Vorsitzender des Beirats für Forschungsmigration beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
Sandra Zimmermann Sandra Zimmermann ist Head of Scientific Dialogue beim Wirtschaftsforschungsinstitut WifOR. Als Expertin für internationale Sozialpolitik und erfahrene Makroökonomin fördert sie den Wissenstransfer zwischen Forschung und Wirtschaft.
Von Karin Christmann
Das Original zu diesem Beitrag "Papier zur Migrationspolitik: Wo Fachleute der CSU Recht geben – und wo nicht" stammt von Tagesspiegel.