Die Vergangenheit zeigt: Börsen erholen sich oft schneller und stärker als viele erwarten. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist der MSCI-World-Index, der im Zuge der Corona-Krise Anfang 2020 um mehr als 30 Prozent einbrach - nur ein Jahr später lag er bereits wieder über dem Vorkrisenniveau. Auch der DAX erreichte kurz nach seinem Corona-Tief ein neues Allzeithoch. Auf lange Sicht ließen sich Börseneinbrüche mit genügend Geduld bisher immer aussitzen. Dennoch fällt es vielen Anlegern schwer, in der Krise die Ruhe zu bewahren, meint Markus Richert, CFP und Senior Consultant Asset Management bei der Portfolio Concept Vermögensmanagement GmbH in Köln.
Antizyklisch investieren: „Buy the Dip“
„Buy the Dip” (wörtlich: „den Einbruch kaufen“) bezeichnet den antizyklischen Kauf von Aktien oder Fonds nach starken Kursrückgängen. Ziel ist es, in Erwartung einer Erholung zu vermeintlich günstigen Kursen zu kaufen. Einbrüche oder Rücksetzer sind in langfristigen Aufwärtstrends normal und wer sie gezielt nutzt, kann theoretisch davon profitieren. Erfolgreiche Investoren wie Warren Buffett betonen oft, dass man Aktien kaufen soll, „wenn andere ängstlich sind“, also gerade in Phasen starker Verluste. Wer bei Kurseinbrüchen antizyklisch kauft, kann von der anschließenden Erholung überproportional profitieren, wie Beispiele aus vergangenen Krisen zeigen. Allerdings ist der Dip-Kauf riskant. Ein „Schnäppchen“ kann sich als „fallendes Messer“ entpuppen und den Tiefpunkt exakt zu treffen, ist nahezu unmöglich. Anleger sollten daher die Gründe für den Kursrückgang analysieren und planvoll vorgehen. Eine kluge Strategie ist das gestaffelte Nachkaufen, um den Einstiegskurs zu verbilligen. Durch regelmäßiges Rebalancing des Portfolios können Rücksetzer automatisch genutzt werden, ohne dass ein extremes Market-Timing erforderlich ist.
Halten statt Handeln: Wann Aussitzen die beste Anlagestrategie ist
Für Privatanleger mit einem langfristigen Anlagehorizont ist das Aussitzen von Kurs-Turbulenzen oft die beste Strategie. Die historischen Kursverläufe großer Aktienindizes wie DAX oder MSCI World zeigen deutlich: Trotz zahlreicher Rückschläge und Krisen haben sich die Märkte langfristig immer wieder erholt und sogar neue Höchststände erreicht. Das Festhalten an Anlagen in turbulenten Zeiten erspart Anlegern den Versuch, den Markt timen zu müssen. Eine Strategie, die im Übrigen oft mehr schadet als nützt. Allerdings erfordert diese stoische Haltung gute Nerven und eine disziplinierte, langfristige Perspektive. Besonders schwierig wird es, wenn das Depot zwischenzeitlich tief ins Minus rutscht. In solchen Phasen ist es entscheidend, nur Kapital investiert zu haben, das kurzfristig nicht benötigt wird. Darüber hinaus ist eine regelmäßige Überprüfung des Portfolios unerlässlich, um sicherzustellen, dass die zugrunde liegenden Fundamentaldaten der gehaltenen Unternehmen intakt bleiben.
Wann ist verkaufen die beste Option?
Der Verkauf von Aktien zur Verlustbegrenzung kann in Krisenzeiten eine sinnvolle Option sein - insbesondere dann, wenn eine Überinvestition vorliegt oder fundamentale Probleme auftreten. Auf diese Weise vermeiden Sie mögliche weitere Verluste und ein späterer Wiedereinstieg zu günstigen Konditionen wird ermöglicht.
Allerdings ist auch diese Strategie nicht risikolos. Der richtige Zeitpunkt für den Wiedereinstieg ist schwer zu bestimmen. Oft verkaufen Anleger am Tiefpunkt und verpassen die Erholung. Zudem realisieren Sie durch den Verkauf niedrige Preise.
Experten warnen daher vor unüberlegten Panikverkäufen. Vielmehr sollte die gesamte Anlagestrategie überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Geplante Verkäufe nach klar definierten Kriterien können helfen, Verluste zu begrenzen - allerdings bieten auch Stop-Loss- Marken, also automatische Verkaufsaufträge zu einem festgelegten Kurs, keinen vollständigen Schutz, da sie bei stark fallenden Kursen oft unter dem gewünschten Kurs ausgelöst werden.
Für langfristig orientierte Anleger ist ein kompletter Ausstieg in der Regel nicht empfehlenswert. Sinnvoller kann es sein, einzelne risikobehaftete Positionen zu reduzieren oder Teilverkäufe zu tätigen. Wer verkauft, sollte zudem über einen strukturierten Wiedereinstiegsplan verfügen - was in der Praxis allerdings selten konsequent gelingt.
Der Mythos vom perfekten Zeitpunkt: Warum Timing selten funktioniert
Viele Anleger träumen davon, Aktien genau am Tiefpunkt zu kaufen und am Höchststand wieder zu verkaufen. Doch dieses perfekte Timing bleibt in der Realität meist eine Illusion. Die kurzfristige Entwicklung an den Börsen ist kaum vorhersehbar, was den gezielten Ein- und Ausstieg enorm erschwert. Experten betonen daher immer wieder: Der „beste Zeitpunkt“ lässt sich oft erst im Nachhinein erkennen.
Statt sich auf Glück oder Bauchgefühl zu verlassen, empfiehlt sich ein strategischer Ansatz, der Timing-Fehler minimiert. Der Cost-Average-Effekt, bei dem regelmäßig ein fester Betrag investiert wird, gleicht Kursschwankungen aus und führt zu einem vernünftigen Durchschnittspreis. Kontinuierliches Investieren hat sich oft als erfolgreicher erwiesen als das Warten auf den vermeintlich perfekten Moment, da sonst Chancen verpasst werden können. Auch in Crashzeiten ist ein überlegtes Vorgehen ratsam. Statt sofort zu handeln, investieren Sie schrittweise und beobachten die Marktentwicklung. Dabei ist es wichtig, im Vorfeld klare Regeln aufzustellen, um emotionale Entscheidungen zu vermeiden.
Ruhe bewahren und strategisch handeln
Ein Blick in die Geschichte der Finanzmärkte bietet in Krisenzeiten Orientierung. Frühere Bärenmärkte haben gezeigt, dass sich Geduld und Ausdauer langfristig auszahlen. Anleger, die in schwierigen Phasen wie der Finanzkrise 2008/09 oder der Corona-Krise 2020 investiert blieben oder ihre Positionen sogar ausbauten, wurden in der Regel mit steigenden Kursen belohnt. Auch wenn vergangene Entwicklungen keine Garantie für die Zukunft sind, so stärken sie doch das Verständnis dafür, dass langfristiges Denken und Geduld entscheidende Erfolgsfaktoren beim Investieren sind.
Insgesamt lässt sich festhalten: „Buy the Dip“ kann eine erfolgversprechende Strategie sein, das Halten von Positionen ist oft die goldrichtige Entscheidung, während Verkäufe eher die Ausnahme darstellen sollten.
Privatanleger, die in unruhigen Marktphasen Ruhe bewahren, sich gut informieren und diszipliniert handeln, sind meist im Vorteil. Starke Nerven, ein klar strukturierter Anlageplan und eine ehrliche Einschätzung der eigenen Risikotoleranz sind die besten Begleiter durch unruhige Marktphasen. So kann aus dem nächsten Kursrückgang eine wertvolle Gelegenheit werden, anstatt zur Falle zu werden.
Es ist entscheidend, investiert zu bleiben, aber vor allem besonnen zu agieren. In diesem Sinne gilt es, Chancen zu erkennen, Risiken stets im Blick zu behalten und stets mit Vernunft zu investieren. Am Ende gilt: Die Zeit im Markt ist wichtiger als das Timing des Marktes.