Gastkommentar von Gabor Steingart - Sechs Gründe, warum der Goldrausch weitergeht – beruhigend ist das nicht
Fest steht: Der neue Goldrausch ist für das Gemüt bekömmlicher. Das Edelmetall wirkt auf seine Besitzer wie ein Beruhigungsmittel. Im besten Falle wird man nicht nur gelassener, sondern auch wohlhabender.
Seit Jahresanfang hat der Goldpreis in US-Dollar um knapp 18 Prozent je Feinunze zugelegt, mehr als Dax, Nasdaq und S&P 500. Aktuell liegt der Preis bei über 3.100 US-Dollar pro Feinunze auf seinem Allzeithoch. In den vergangenen zehn Jahren ist der Wert von 1.195 US-Dollar um 161 Prozent gestiegen.

Fondsmanager Bert Flossbach sagte kürzlich:
"Gold ist eine Feuerversicherung gegen die Risiken und Unfälle des Finanz- und Währungssystems."

Folgende Treiber sind dafür verantwortlich, dass immer mehr Investoren diese Feuerpolice abschließen:
#1 Der große Vertrauensschwund
Das Misstrauen wächst, dass die Staaten es mit der Staatsverschuldung übertreiben könnten. Die globale Verschuldung dürfte nach Einschätzung des Internationalen Währungsfonds (IWF) bis zum Jahresende die Marke von 100 Billionen Dollar übertreffen. Allein die USA, der größte Schuldner der Welt, haben ihre Schulden seit 2000 mehr als verdreifacht und mussten im vergangenen Jahr über eine Billion Dollar an Zinsen zahlen. Die IWF-Chefin, Kristalina Georgiewa, warnt:
"Unsere Prognosen deuten auf eine unerbittliche Kombination aus niedrigem Wachstum und hoher Verschuldung hin. Auf uns wartet eine schwierige Zukunft."
Papiergeld kann über Nacht gedruckt werden – Gold nicht. „Gold ist Geld, alles andere ist Kredit“, hat Bankgründer J.P. Morgan einst gesagt. Die Tatsache jedenfalls, dass die immer wieder verschobenen Zinssenkungen in den USA den Goldpreis nicht mehr drückten, zeigt das Ausmaß der Verunsicherung. Die Investoren lassen sich ihre Angst nicht mehr abkaufen.
#2 Welt entzieht sich der Vorhersehbarkeit
An der Wall Street wird alles gemessen, auch der Grad dieser Verunsicherung. Der sogenannte Global Economic Policy Uncertainty Index zeigt, dass die Unsicherheit vor einem neuen Rekordwert steht.
Anders gesagt: Die Wirtschaftsprognosen der Institute und Großbanken sind das Papier, auf dem sie gedruckt werden, nicht mehr wert. Die Investoren auf dem Kapitalmarkt treten als Fluchttiere in Erscheinung. Umschichtungen von einem unsicheren Aktienmarkt hin zu einem (vermeintlich) sicheren Goldmarkt sind an der Tagesordnung. Die Bank of America hob eben erst ihre Preisprognose auf 3.500 US-Dollar je Feinunze für die kommenden zwei Jahre an.

#3 Die Anti-Trump-Welle
Die Zentralbanken werden als Hauptkäufer im Goldmarkt gesichtet, auch weil sie sich dem Einfluss des Dollars und insbesondere dem Zugriff des US-Sanktionsregimes entziehen wollen. Die Vehemenz und Willkür, mit der die Amerikaner ausländische Vermögenswerte mit Sanktionen belegen oder sie, wie im Falle der russischen Vermögenswerte, einfach festfrieren, hinterlassen Spuren.
Laut World Gold Council haben Zentralbanken 2024 im dritten Jahr in Folge mehr als 1.000 Tonnen Gold gekauft und damit mehr als doppelt so viel wie in den zehn Jahren zuvor. Die People’s Bank of China stockte ihre Goldreserven allein 2024 um rund 44 Tonnen auf. Auch die Reserve Bank of India und die Bank of Türkiye setzen zunehmend auf Gold als Reservewährung.

#4 Zinssenkungen ante portas
Ein wichtiger Faktor für den Goldpreis waren bisher immer die Erwartungen zur US-Zinspolitik. Gold wirft selbst keine Zinsen ab, daher wird Gold bei fallenden Zinsen auf Papiergeld immer attraktiver.
Die US-Inflation ist zuletzt auf 2,8 Prozent gefallen (von drei Prozent im Januar), was die Erwartungen an Zinssenkungen befeuert. Laut CME FedWatch Tool preist der Markt mindestens zwei Zinssenkungen der Fed bis Ende 2025 ein. Damit sinken auch die Renditen auf US-Staatsanleihen, was den Goldrausch weiter beflügeln dürfte.
#5 Die Dollar-Schmelze
Die US-Währung ist das Spiegelbild der amerikanischen Wirtschaft. Und diese verliert gegenüber dem asiatischen Wirtschaftsraum nicht ihre starke, wohl aber ihre singuläre Stellung. Auch wenn das chinesische Bruttoinlandsprodukt in Kaufkraftparitäten noch knapp hinter dem amerikanischen liegt, hat die Volksrepublik in der Hochtechnologie und der Automobilindustrie spürbar aufgeholt.
Die Kombination von Spitzentechnologie mit noch immer günstigen Löhnen bedeutet einen Wettbewerbsnachteil für die USA, den Trump mit einem Preisaufschlag an den Außengrenzen zu relativieren versucht. Doch der Befund bleibt: Amerika hat auf den Weltmärkten seinen komparativen Vorteil oftmals verloren. Die Volkswirtschaft ist noch immer groß und stark, aber nicht mehr über jeden Zweifel erhaben.
#6 Goldrausch 2.0
Auch Gold ist vermehrbar – durch Förderung aus noch unerschlossenen und oft nur schwer zugänglichen Minen. Wie Daten des World Gold Council zeigen, ist die Goldförderung wieder lukrativer geworden. So treibt der steigende Goldpreis die Gewinnmarge der Goldförderer – und damit die Exploration.
Margentreiber: Im zweiten Quartal 2024 lag die durchschnittliche Gewinnspanne bei 950 US-Dollar pro Feinunze. So profitabel war der Abbau des Edelmetalls seit 2012 nicht mehr: Die Nachfrage treibt den Nachschub.
Natürlicher Anstieg oder Exzess? Jon Mills, Analyst bei Morningstar, ist einer der wenigen, der an Letzteres glaubt. Der weltweite Appetit auf Gold werde nachlassen, sagt er, und beruft sich dabei auf eine Umfrage des World Gold Council. Dort gaben 71 Prozent der Zentralbanken an, ihre Goldbestände im kommenden Jahr nicht weiter aufstocken zu wollen.
Die Folge: Das steigende Angebot würde auf eine schrumpfende Nachfrage stoßen.


Fazit: Gold ist nicht ein anderes Wort für Gewinngarantie, auch wenn Trump sich alle Mühe gibt, die Unsicherheit zu verstärken. Die großen Minenbetreiber sollten ihn auf Provisionsbasis am Erfolg beteiligen. Er ist ihr bester Salesman.