Erdogan verschärft Kurs: Zwangsverwalter ersetzen gewählte kurdische Bürgermeister in der Türkei
Nach der Pleite bei der Kommunalwahl in der Türkei greift Präsident Erdogan hart durch. Mit Verhaftungen will er offenbar ein Zeichen setzen.
Hakkari – Die Regierungspartei AKP von Präsident Recep Tayyip Erodogan wurde bei der Kommunalwahl am 31. März nur zweitstärkste Kraft. Jahrelange Misswirtschaft und Demokratiedefizite haben dazu beigetragen, dass viele Menschen nach Alternativen gesucht haben. Auch die pro-kurdische Dem Parti konnte wieder in zahlreichen Städten den Bürgermeister stellen. Diesen Städten droht jetzt die Absetzung ihrer Bürgermeister.
Am 3. Juni wurde der kurdische Bürgermeister von Hakkari, Mehmet Siddik Akis, durch einen Zwangsverwalter ersetzt. Gleichzeitig wurde der Politiker der Dem Pari verhaftet. In einer Mitteilung des Innenministeriums wird dem Politiker vorgeworfen, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, sowie für diese Propaganda zu betreiben.
Erdogan erhöht Druck: Zwangsverwalter in der Türkei ohne Gerichtsbeschluss eingesetzt
Das Innenministerium habe sich mit der Verhaftung des Kurden an die Stelle des Gerichts gesetzt und eine Entscheidung getroffen, ohne das Urteil des Gerichts abzuwarten, hieß es in einer Stellungnahme von der Dem Parti. „Mit der Ernennung eines Zwangsverwalters wurde auch der Wille des Gemeinderats abgeschafft“, teilte Mehmet Rüştü Tiryaki mit.
Seit dem Putschversuch 2016 verschlechtere sich die Situation der Menschen in der Türkei, so Tiryaki: „Man versucht, die Türkei mit einem Verständnis zu regieren, das diejenigen, die nicht dazugehören, zu Feinden zu machen, diejenigen, die gegenteilige Meinungen äußern, in Gefängnissen zu bestrafen und sich aneignet, was es nicht gewinnen kann.“

Erdogan versucht, in der Türkei an der Macht zu bleiben
Der Co-Vorsitzende der Dem Parti in Deutschland, Faysal Sariyildiz, zeigte sich im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA wenig überrascht. „Das ist in der Türkei von Erdogan nicht ungewöhnlich. Das Erdoğan-Bahçeli-Regime versucht, an der Macht zu bleiben“, so Sariyildiz. „Wir glauben nicht, dass Erdogan damit durchkommen wird. Dieses Mal wird der Widerstand stärker sein als je zuvor. Wir denken, dass die anderen Oppositionsparteien nicht mehr schweigen werden wie bisher. Denn auch sie haben begriffen, dass sie irgendwann an der Reihe sind, wenn sie schweigen.“
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„Das Entsenden eines Zwangsverwalters ist eine Respektlosigkeit gegenüber dem Volk von Hakkari“, sagte der Vorsitzende der größten Oppositionspartei, CHP, Özgür Özel in seiner Fraktionssitzung. Seine Partei werde genauso sich dagegen wehren, als ob ein CHP-Bürgermeister von einem Zwangsverwalter ausgetauscht würde.
Sariyildiz wirft der AKP-Regierung und seinem Partner, der rechtsradikalen MHP unter Führung von Devlet Bahceli, vor, dem Land großen Schaden zuzufügen. „Die Regierung hat das Land ins Chaos gestürzt und ist nun dabei, das Chaos zu vertiefen. Dieses Chaos wird weder der türkischen Gesellschaft noch den europäischen Ländern nützen. Für Europa bedeutet dies das Verschwinden einer Pufferzone an seiner Grenze.“
Erdogan sucht die Eskalation in der Türkei
Auch der im deutschen Exil lebende kurdisch-alevitische Journalist und Schriftsteller, Aziz Tunc, sieht es ähnlich. „Es ist klar, dass der türkische Staat den Krieg gegen die Kurden zur Eskalation bringen will. Das Wegnehmen des Willens der Bevölkerung von Hakkari und die Einsetzung von Zwangsverwaltern sind ein Zeichen dafür“, sagte Tunc auf Anfrage. Ob das Regime damit Erfolg haben wird, hält Tunc für fraglich.
Nach der Kommunalwahl am 31. März hatte die Wahlbehörde erklärt, den AKP-Kandidaten (27,15 %) zum Bürgermeister zu ernennen und hatte den gewählten DEM-Bürgermeister Zeydan (55,48 %) abgesetzt. Nach heftigen Protesten in vielen Städten des Landes musste die Entscheidung allerdings zurückgenommen werden.
27 weiteren kurdischen Bürgermeistern droht die Absetzung und Verhaftung
Doch das alles scheint nur ein Anfang zu sein. 27 weiteren Bürgermeistern der Dem Parti droht ebenfalls der Austausch durch einen Zwangsverwalter und die Verhaftung, ebenfalls wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Terrorpropaganda. Das hat der regierungsnahe Journalist Nedim Sener in seiner Kolumne in der Zeitung Hürriyet am 6. Mai geschrieben. Gegen sie werde ebenfalls Terrordelikte vorgeworfen.
Das Vorgehen gegen die Kurden scheint besonders dem Regierungspartner zu gefallen. „Der Bürgermeister von Hakkari wurde vom Dienst suspendiert und verhaftet. Der Gouverneur von Hakkari wurde zum amtierenden Bürgermeister ernannt. Unser Innenministerium hat im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen eingegriffen“, sagte MHP-Chef Bahceli. Der Chef der Rechtsradikalen warf dabei dem kurdischen Bürgermeister seinerseits auch Terrordelikte vor. (erpe)