„Wird dort nicht überleben“: Putin zwingt Russlands Soldaten offenbar in Charkiw-Offensive

Russland soll Soldaten gegen ihren Willen an die Front schicken. Ein Oppositionsmedium hat mit verzweifelten Männern und Frauen gesprochen.
Washington D.C. – Ob tatsächlich große Teile der russischen Bevölkerung den blutigen Angriffskrieg von Wladimir Putin unterstützen, ist schwer einzuschätzen. Dass gerade die Soldaten aufgrund hoher Verluste an der Front wohl kaum mit großem Enthusiasmus aufs Schlachtfeld ziehen, wäre jedoch nur menschlich. Die US-amerikanische Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) geht nun sogar davon aus, dass Russland Männer gegen ihren Willen zu Soldaten macht und an die Front bei Charkiw in den Ukraine-Krieg schickt.
ISW schätzt Berichte zum Ukraine-Krieg als realistisch ein – „Wollten der Verantwortung nicht entfliehen“
Das ISW beruft sich dabei auf das russische Oppositionsmedium Verstka, das am Montag vom Schicksal dreier Männer aus Russland berichtet hatte, die etwa mit einer posttraumatischen Belastungsstörung oder einer schweren Verwundung durch einen vorhergehenden Kriegseinsatz gefangen genommen wurden - über den Besuch in einem Krankenhaus oder als sie wegen eines Gerichtstermins zur Kriegsdienstverweigerung vorstellig wurden. Sie seien eingesperrt und misshandelt worden, und unter Zwang zurück an die Front in der Ukraine geschickt wurden.
Das ISW schätzt diese Berichte als realistisch ein: Ein russischer Anwalt, der sich auf Fälle spezialisiert hat, in denen Soldaten den Kampf verweigerten, habe angegeben, dass das russische Verteidigungsministerium möglicherweise Strafverfahren einstellt, um solche Soldaten an die Fron zu schicken. Es gebe im Norden der Region Charkiw nicht genügend Truppen. Die Offensive sei dem ISW zufolge mit unterbesetzten Truppen gestartet worden, in diese könnten die Kriegsdienstverweigerer durch das Verteidigungsministerium geschickt worden sein.
„Das sind Menschen, die bereit waren, für ihre Weigerung, zu kämpfen, eine Haftstrafe abzusitzen und alle notwendigen Strafen zu ertragen. Sie wollten der Verantwortung nicht entfliehen, sie waren bereit, es auf sich zu nehmen, vor Gericht zu gehen und eine Gefängnisstrafe zu bekommen“, sagte die Schwester eines der Deserteure gegenüber Verstka.
Russisches Oppositionsmedium spricht von Deportationen im Mai
Am ersten Maiwochenende seien 170 bis 180 Menschen aus einem der Gefängnisse in Russland zum Kampf in die Ukraine „deportiert“ worden. Viele der noch Anwesenden litten unter medizinischen Problemen, seien menschenunwürdig untergebracht, ihnen sei verboten, das Gelände zu verlassen – wobei sich viele von ihnen gerade im Heimaturlaub befänden. Viele der angesetzten Gerichtsverfahren zur Kriegsdienstverweigerung würden demnach plötzlich ohne Gründe abgesagt, die Menschen stattdessen direkt an die Front gebracht. Es sei eine Beschwerde bei einer regionalen Menschenrechtsbeauftragten eingereicht worden, die sich für den Bericht bedankt habe. Im Mai seien die Deportationen sprunghaft angestiegen.
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„Der Befehl kommt aus Moskau“: An die Front in Charkiw, statt vors Gericht?
Die Schwester eines gefangen Genommenen berichtete demnach davon, dass sie noch an den Flugplatz geeilt sei, von dem aus ihr Bruder in die Ukraine gebracht werden sollte. Sie habe seine Papiere und die Prozessvorladung dabei gehabt, konnte ihm aber letztlich nur mitgebrachtes Essen durch die Gitterstäbe reichen. Man habe ihr mit Verhaftung gedroht, sie sei angespuckt worden. „Der Befehl kommt aus Moskau“, habe einer der Ermittler vor Ort gesagt.
Über ihren Bruder sagte sie: „Er sah aus wie ein Sträfling. Er ist sehr alt geworden und hat abgenommen, eigentlich ein Skelett. Er sah aus, als wäre er ein paar Jahre ohne Essen im Gefängnis gewesen.“ Sie habe geweint, als sie mit Verstka sprach, und gesagt: „Ich verstehe tatsächlich, dass dies das letzte Mal ist, dass wir uns gesehen haben. Er kann sich kaum auf den Beinen halten. Er wird dort nicht überleben.“ (kat)