Gewerkschaft setzt Bundesregierung bei Rente und Bürgergeld unter Druck: „Bitte keine Spalterei“
Die Bundesregierung wird von der IG Metall hart kritisiert. Arbeitsministerin Bas sucht die Flucht nach vorne und will einer Branche besonders helfen.
Berlin – Es gab schon angenehmere Zeitpunkte für eine parteilinke Sozialdemokratin, sich von einer Gewerkschaft einladen zu lassen. Inhaltlich stimmen die Vorstellungen von Arbeit, Lohn, Rente und Pflege beider Seiten zwar oft überein. Und trotzdem musste sich Arbeits- und Sozialministerin Bärbel Bas (SPD) am Dienstag in Berlin beim Sozialstaatskongress der IG Metall (IGM) deutlicher Kritik stellen. Die Bundesregierung tue zu wenig für die Menschen, so der Vorwurf. Mit einer sogenannten Sozialstaatsoffensive machten die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter Druck auf Bas.
Bürgergeld, Rente und Kritik an Merz-Regierung: Gewerkschaft mit klaren Forderungen
„Der Sozialstaat ist mehr wert, als er kostet“, machte IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban zu Beginn der Gewerkschaftsversammlung in Richtung Bundesregierung direkt klar. Diese will angeführt von Kanzler Friedrich Merz sparen, nicht zuletzt beim Sozialhaushalt. Angesichts des dritten Jahres in Folge, in dem die deutsche Wirtschaft nicht wächst, steht der Sozialstaat unter Druck. Neben zunehmendem Stellenabbau wächst die Geldnot in den Sozialkassen rund um Rente, Pflege und Krankenversicherung.
Gerade in dieser schweren Zeit ist es laut IGM aber umso wichtiger, in den Sozialstaat zu investieren. Dieser „ist kein Ballast, sondern ein Stabilitätsanker in Zeiten des Wandels – wirtschaftlich, sozial und demokratisch. Wer ihn schwächt, gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt“, so Urban.
SPD-Ministerin Bas vor Wahl zur Parteichefin in schwieriger Rolle
Arbeitsministerin Bas sitzt zwischen den Stühlen. Als Mitglied der parlamentarischen Linken in der SPD steht sie Gewerkschaftspositionen wie Forderungen nach höheren Renten, einer Bürgerversicherung und dem Ende der „Zwei-Klassen-Medizin“ aus gesetzlich und privat Versicherten traditionell nah. In der neuen Bundesregierung ist der Ton dagegen ein anderer, Mehrinvestitionen in den Sozialhaushalt sind für viele in der Union ein Tabu. Und im Koalitionsvertrag sind Bekenntnisse für mehr Geld in die soziale Infrastruktur meist vergeblich zu suchen.
IGM-Vorstandsmitglied Urban kritisiert den Koalitionsvertrag, sieht darin aber auch eine Chance: „Dieser Koalitionsvertrag enthält keinen strategischen Plan, wie man das Land sozialökonomisch in eine dekarbonisierte Zukunft führen will. Die Bundesregierung gibt Wünsche und Ziele vor, lässt beim Weg dorthin aber viel offen. Genau dort bringen wir als IG Metall nun offensiv unsere Forderungen ein.“
Zoff in der Bundesregierung bei Investitionen in Pflege, Rente und Bürgergeld
Nicht zuletzt deshalb dürfte man Arbeitsministerin Bas, die sich in wenigen Tagen auf dem SPD-Parteitag zur neuen Vorsitzenden wählen lassen will, eingeladen haben. Die Ministerin muss sich um Unterstützung in der Partei bemühen, besonders im vom schwarzen Koalitionspartner wenig begeisterten linken Flügel der SPD. Bas ging in ihrer erst kurzen Regierungszeit bereits mehrfach in die Offensive, forderte etwa, Selbstständige und Beamte in die gesetzliche Rente einzahlen zu lassen – zum Ärger von CDU und CSU.
Entsprechend selbstbewusst gab sich die Ministerin als Gast beim Sozialkongress. Sie betonte, dass wirtschaftlicher Erfolg nicht gegen soziale Gerechtigkeit ausgespielt werden dürfe und es in Politik und Debatten nicht nur um äußere Sicherheit gehen dürfe, sondern auch die soziale Sicherheit beachtet werden müsse. Bas sagte, auch die Stahlindustrie als sicherheitsrelevanten Sektor einzustufen zu wollen. Damit könnten der Industrie womöglich mehr Gelder aus der reformierten Schuldenbremse für Verteidigung zukommen.
Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gehe es vor allem auch um die Infrastruktur. Die Menschen dürften „nicht denken, das Geld fließt nur in Waffen“, so Bas über ihren Kurs. Trotzdem musste sie den IGM-Mitgliedern vermitteln, dass es wohl Kürzungen im Sozialhaushalt geben wird. „Es ist ein Spagat. Natürlich wird es um Verteilungen und Prioritäten gehen.“
„Schwache gegen Schwache ausgespielt“ - Gewerkschaft macht Druck auf Merz-Regierung
Wie gespalten die Gesellschaft bei der Frage nach Sozialausgaben ist, machte die Erste Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, deutlich: Selbst innerhalb der Gewerkschaft debattierten Mitglieder hart zwischen Für und Wider des Bürgergelds, in Belegschaften werde „nach unten getreten, aber nicht nach oben geguckt“. Für Benner Grund für einen Appell an die Politik: „Wir müssen verhindern, dass Schwache gegen Schwache ausgespielt werden.“ Die Demokratie ist laut IGM-Chefin gefährdet und auch in Betrieben finde ein Rechtsdrift statt. Vor allem die Politik müsse die Menschen mit echter Sozialpolitik wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückholen. „Bitte keine Spalterei“, so Benners Forderung an Bas, SPD und Union.
Bas, die in Kürze ihr Rentenpaket (unter anderem mit Stabilisierung des Rentenniveaus auf 48 Prozent bis 2031) vorstellen will, erneuerte derweil ihre Forderung, Selbstständige, Beamte und Abgeordnete in die gesetzliche Rente einzahlen zu lassen – im Wissen, dass der Koalitionspartner dem kaum zustimmen dürfte. Einige Positionen der Union schmeckten ihr nicht, gab die Ministerin zu. Trotz „Konfliktpotenzial“ warb sie für konstruktive Arbeit. Die Ministerin holte sich dafür zwar viel Applaus bei den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern ab – zum Ende hin machten diese aber deutlich, dass sie sich mehr Einsatz der Politik in Sachen gute Löhne wünschen. Beim Posieren mit Bas für ein Abschlussfoto wurde spontan der Kampfruf „Bundesweit streikbereit“ angestimmt.