Erdogan-Inflation: Türken fahren 4 Stunden, um im griechischen Lidl Käse zu kaufen

Für Cihan Citak ist es fast monatliche Routine: Mit Reisepass und Auto bricht er von Istanbul auf, um in der nur rund 40 Kilometer von der türkischen Grenze entfernten griechischen Küstenstadt Alexandroupolis einzukaufen. Nach etwa vier Stunden Fahrt füllt er seinen Wagen mit Wein, Käse und anderen Lebensmitteln, die in Griechenland nur einen Bruchteil dessen kosten, was er in der Türkei bezahlen müsste.

Flucht vor der Inflation: Türkische Shopping-Busse rollen in die EU

Der grenzüberschreitende Einkauf ist für viele Türken zur Strategie geworden, um den steigenden Lebensmittelpreisen im eigenen Land zu entkommen. Laut „Bloomberg“ beschleunigt sich dieser Trend: In den ersten neun Monaten des Jahres  2025 unternahmen sechs Prozent aller türkischen Reisenden nach Griechenland eine reine Shopping-Tour – der höchste Wert seit über einem Jahrzehnt.

Citak sucht vor allem nach qualitativ hochwertigen Produkten zu besseren Preisen. Er muss feststellen, dass Olivenöl, das in Griechenland zehn Euro pro Liter kostet, in der Türkei nur zum doppelten Preis erhältlich ist, wie er „Bloomberg „erklärt. „Im Durchschnitt kosten meine Einkäufe nur ein Drittel dessen, was sie zu Hause kosten würden.“

Preise im Lidl in Alexandroupolis

Ein Blick in die Supermarktregale belegt die massive Diskrepanz: Viele Artikel bei Lidl in Alexandroupolis sind laut „Bloomberg“ merklich günstiger als bei türkischen Ketten.

  • Rinderhackfleisch (pro Kilogramm): Kostet in Griechenland 9,36 € (ca. 10,80 $) im Vergleich zu 12,10 € in der Türkei.
  • Rindswürste: Werden in Griechenland für fast die Hälfte des türkischen Preises verkauft.
  • Gouda-Käse und Kinder-Schokolade: Sind in Griechenland für fast ein Drittel des Preises erhältlich, den sie in der Türkei kosten.

Citak beschreibt die Situation augenzwinkernd gegenüber „Bloomberg“: „Die Türken haben Alexandroupolis überfallen. Manchmal sieht man Hunderte beim Einkaufen im Laden. Dann gehen sie in ein Restaurant und reden darüber, was sie für wie viel gekauft haben.“

Erdogans Kehrtwende und die Folgen für die Haushalte

Hinter dem Shopping-Tourismus steckt die jüngste finanzpolitische Wende der Türkei. Nachdem Präsident Erdoğan mit seiner unorthodoxen Politik lange Zeit niedrige Zinsen und eine schwache Lira verfolgte, um die Inflation zu bekämpfen, wurde Mitte 2023 der frühere Merrill-Lynch-Stratege Mehmet Simsek Finanzminister.

Die neue, konventionellere Politik mit höheren Zinssätzen sollte die Inflation drosseln. Zwar kühlte die Lebensmittelinflation von 54 Prozent auf 35 Prozent ab, doch für die Haushalte bleibt die Belastung gigantisch:

Der Warenkorb für Lebensmittel ist seit Simseks Amtsantritt bis Oktober um 144 Prozent gestiegen. Die türkische Zentralbank erwartet, dass die Inflation Ende des Jahres noch über 30 Prozent liegen wird.

Simsek
Finanzminister Mehmet Simsek versucht, die Inflation zu drosseln. Trotz seiner konventionelleren Politik steigen die Lebensmittelpreise in der Türkei massiv an. imago

Tagesreisen für den Wocheneinkauf boomen

Der Trend hat einen neuen Geschäftszweig für Reiseveranstalter geschaffen. Agenturen aus Istanbul und Bursa bieten Tagesbustouren nach Alexandroupolis an. Für rund 50 Euro (inklusive Ticket und Ausreisegebühr) können türkische Reisende ihre Taschen in Handelsketten füllen.

Reiseunternehmer berichten, dass Kunden Nudeln, Joghurt und Gemüse mitbringen, weil diese günstiger und von guter Qualität seien. Das einzige Manko: Wegen des großen Andrangs kann die Passkontrolle auf dem Rückweg in die Türkei Stunden dauern.

Hintergrund: Aktuelle Inflationslage in der Türkei (Reuters)

  • Jährliche Rate: Die Inflationsrate lag im Oktober bei 32,87 Prozent (im Jahresvergleich).
  • Lebensmittelpreise: Die Lebensmittelinflation betrug im Jahresvergleich 34,9 Prozent.
  • Wohnkosten: Die Inflation bei Wohnen/Mieten überstieg im Jahresvergleich sogar 50 Prozent.
  • Prognose: Das türkische Finanzministerium hält es für schwierig, das für Ende 2025 prognostizierte Inflationsziel von 25 bis 29 Prozent zu erreichen.