Abseits des Aktien-Crashs bahnt sich eine noch größere Gefahr an

Rund zwölf Prozent hat der Dax verloren, seit US-Präsident Donald Trump ankündigte, praktisch die ganze Welt mit Zöllen zu belegen. Fast 14 Prozent sind es beim S&P 500. Die Kursveränderungen auf dem Anleihenmarkt erscheinen im Vergleich dazu deutlich kleiner - aber womöglich sind sie noch gefährlicher.

Wie haben die Anleihenmärkte auf den Zollhammer reagiert?

Die Verschiebungen am Bondmarkt sind heftig: Die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen stieg am Mittwoch auf 4,111 Prozent nach 3,990 Prozent am Freitag. Damit lag sie auf dem höchsten Niveau seit Ende Februar. Auch die Renditen 30-jähriger US-Anleihen legten um fast 60 Basispunkte innerhalb von drei Tagen zu – dabei handelt es sich um den stärksten Anstieg seit 1981. Der Grund: Wenn Anleger Anleihen in großem Stil verkaufen, fallen deren Preise - und die implizierten Renditen steigen.

„Wir sehen einen ,Fire Sale‘ bei US-Staatsanleihen“, berichtet Calvin Yeoh, Portfolio-Manager bei Blue Edge Advisors Pte. „Das ist wie eine Eisskulptur bei einem Waldbrand: Was eben noch gut aussah ist eine Sekunde später weg.“

Im Vergleich dazu rentierten zehnjährige Bundesanleihen am Mittwoch mit 2,639 Prozent nur leicht über dem Niveau vom Vortag. Auch die Renditen japanischer Staatsanleihen blieben weitgehend stabil.

Warum ist das ungewöhnlich?

In Krisenzeiten gelten die Anleihen von Ländern mit hoher Bonität eigentlich als „sicherer Hafen“. Das heißt, sie werden von den Investoren stark nachgefragt. Die Käufe führen zu steigenden Kursen, das heißt, die Renditen sinken. Besonders US-Staatsanleihen waren in solchen Szenarien bisher immer gefragt. Denn sie werden als extrem sicher angesehen. Dass in der Zollkrise nun auch diese Papiere verkauft werden, ist deshalb sehr ungewöhnlich. „Der Ausverkauf könnte ein Hinweis sein, dass US-Treasuries nicht mehr als sicherer Hafen im globalen Rentenmarkt gelten“, sagte Ben Wiltshire, Stratege beim Finanzdienstleister Citigroup.

Wer könnte hinter den Verkäufen stehen?

Marktbeobachter rätseln, woher die Verkäufe kommen. Es könnten Investoren sein, die sich von den Papieren trennen, weil sie Liquidität brauchen. Diese Verkaufswelle wird an den Märkten „dash for cash“ genannt. Besonders spezielle Hedgefonds stehen unter Druck. Sie hatten mit geliehenem Geld auf minimale Preisunterschiede zwischen Anleihen und den dazugehörigen Terminkontrakten spekuliert – ein beliebter, aber riskanter Strategieansatz, der „Basis-Trade“ genannt wird. Als Reaktion auf die starken Kursschwankungen verlangen Kreditgeber nun zusätzliche Sicherheiten – Banken fordern einen Nachschuss. Wer diese Sicherheiten nicht schnell genug bereitstellen kann, ist gezwungen zu verkaufen, um die Schulden zu begleichen. Genau das passiert jetzt. 

Ein zweiter Verkaufsgrund könnte sein, dass Investoren in den USA mit einer steigenden Inflation infolge der Zölle rechnen. Eine höhere Inflation frisst die mit einer Anleihe verbundenen Zinserträge teilweise oder sogar ganz auf und macht die Papiere dadurch unattraktiver. 

Ein anderer Verdacht fällt auf Japan und insbesondere China. Beide Länder halten große Bestände an US-Staatsanleihen - und beide sind von den hohen Einfuhrzöllen stark betroffen. Die These: Mit den Verkäufen soll eine Warnung Richtung Washington geschickt werden. Allerdings baut China schon seit Jahren seine Bestände ab und die Verkäufe würde auch nicht dazu passen, dass die chinesische Währung Renminbi abwertet, wie gerade zu sehen ist. Als Gegenreaktion auf die Zölle lässt Peking gerade bewusst zu, dass die eigene Währung gegenüber dem Dollar an Wert verliert. Diese Schwächung soll einen Teil der Zölle kompensieren, weil dadurch exportierte chinesische Waren für US-Käufer günstiger werden.

Warum ist der Renditeanstieg für die USA gefährlich?

Die Bewegung am Anleihemarkt kann weitreichende Folgen haben: Die USA müssen laufend neue Staatsanleihen begeben, um ihre Schulden zu refinanzieren. Steigen die Renditen, steigen auch die Kosten für die Refinanzierung. Das Schuldenproblem verschärft sich damit. Bereits heute stehen die USA mit mehr als 36 Billionen Dollar in der Kreide. Außerdem müssen auch die amerikanischen Privathaushalte und die Unternehmen höhere Zinsen für ihre Kredite zahlen. Das erhöht die Gefahr, dass die USA in eine Rezession rutschen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die weitere Entwicklung ist schwer vorherzusehen. Hält die Verkaufswelle an, muss höchstwahrscheinlich die US-Notenbank Fed eingreifen und mit Käufen von US-Staatsanleihen ihrerseits versuchen, die Lage zu stabilisieren. Zusätzlich könnte sie die Zinsen senken, um damit die Refinanzierung für Unternehmen billiger zu machen. Allerdings birgt das die Gefahr eines zweiten Inflationsschubs. Denn eigentlich müsste die Fed eine restriktive Geldpolitik verfolgen, da die Zölle zu einem Preisanstieg in den USA führen dürften.

Weitreichender dürften die langfristigen Folgen sein: US-Staatsanleihen verlieren gerade ihren Status als sicherer Hafen. Das kann zu gravierenden Verschiebungen im internationalen Finanzsystem führen. Nicht nur, dass Unternehmen, Anleger und Staaten dann ihre Investitionen überdenken müssten. Da US-Staatsanleihen bisher als risikolos galten, waren sie der Fixpunkt für jegliche Renditeberechnungen. Damit wäre es dann vorbei und das System müsste sich neu kalibrieren – mit entsprechenden Turbulenzen. Was das bedeuten kann, hat man in den Tagen nach Ausbuch der Finanzkrise 2008 gesehen.

"Sell America"-Moment rückt näher

Stephen Innes von SPI Asset Management sieht in der aktuellen Entwicklung zudem ein Risiko für die Rolle des US-Dollar als Weltleitwährung. „Wenn die Staatsanleihen weiter bluten, während der Aktienmarkt hässlich bleibt, dann tritt die wahre Gefahr ein“, schreibt er in einem Kommentar. „Das ist das erste Rauchzeichen für einen 'Sell America'-Moment, der die Dominanz des Dollars schnell und schmutzig aufhebt.“