Bürgermeister Müller: „Stadtrat muss nicht immer Kuschel-Arena sein“

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Endlich fertig ist die Neue Mitte. Für Bürgermeister Michael Müller ein herausforderndes, aber auch auch herausragendes und zukunftsweisendes Projekt. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Großes wurde in Geretsried in diesem Jahr zum Abschluss gebracht. Im Interview mit unser Zeitung spricht Bürgermeister Michael Müller spricht über Herausforderndes und Herausragendes im Jahr 2023.

Geretsried – Großes wurde in Geretsried in diesem Jahr zum Abschluss gebracht: Der Verkehr fließt nach vier Jahren wieder durch die Neue Mitte, und der Karl-Lederer-Platz hat sich in eine Fußgängerzone verwandelt. Im Interview mit unserer Zeitung zieht Bürgermeister Michael Müller Bilanz über ein intensives, wortreiches und überraschendes Jahr.

Herr Müller, fassen Sie das Jahr 2023 bitte in drei Worte für uns.

Ich empfand es als intensiv, wortreich und überraschend.

Wir sind gespannt auf Ihre Erklärung.

Arbeit und Aufgabenvolumen waren intensiv. Trotz aller Beteuerung zur Entbürokratisierung haben wir einen Trend zur Verrechtlichung. Und wir haben eine immer höher werdende Erwartungshaltung, was eine Kommune alles zu erfüllen hat. Wir leben in einer Amazon-Prime-Zeit: Es muss jetzt, hier und sofort erledigt sein. Wortreich war das Jahr für mich, weil ich viel erklären, reden und überzeugen musste. Aber das gehört nun mal zu den Aufgaben eines Bürgermeisters.

Überrascht hat Sie...

...dass wir nicht im totalen Chaos nach Corona versunken sind. Und dass wir noch so leistungsfähig und so gut aufgestellt sind, dass wir die Herausforderungen, vor denen wir stehen, meistern können.

Was empfanden Sie als herausfordernd?

Städtebaulich die Fertigstellung der Neuen Mitte und die Einrichtung der Fußgängerzone Mitte des Jahres. Das war nicht nur herausfordernd, sondern auch herausragend. Wir haben Geretsried in diesem Bereich schon massiv verändert, aber auch zukunftsfähig gemacht. Die Stadt wird weiter wachsen und der Anschluss ans S-Bahnnetz große Veränderungen mit sich bringen. Jetzt an dem konsequent weiterarbeiten, was da ist, bevor wir das Nächste anfangen.

Besonders genossen haben Sie 2023...

...interessanterweise das Waldsommerfest. Menschen wieder völlig unverkrampft und ohne Maske begegnen zu können und gemeinschaftlich zu feiern, das war sehr schön. Mir bietet das Fest die Gelegenheit, entspannt und ohne viel Dienstliches drumherum mit vielen Leuten in Kontakt zu kommen. Der persönliche Austausch ist etwas, was so viel Wert ist.

Waren Sie jeden Tag am Festplatz?

Tatsächlich ja. Nach einem ereignisreichen Sommer ist für mich das Waldsommmerfest der Übergang in die Urlaubszeit.

Seit fast einem halben Jahr hat Geretsried eine Fußgängerzone. Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Mit der Fußgängerzone wurde etwas realisiert, worüber die Stadt Jahrzehnte diskutiert hat. Das ist uns jetzt gelungen. Es ist fast schade, dass der Stadtrat nicht den Mut hatte, sich von Anfang an für eine Fußgängerzone zu entscheiden. Natürlich fährt noch der ein oder andere Autofahrer durch. Aber die Geschäftswelt muss ja auch erschlossen werden.

Ihre Bilanz fällt also positiv aus?

In der jetzigen Konstellation lassen sich die einzelnen Verkehrsmittel gut nebeneinander ordnen, und der zentrale Platz ist eine Fußgängerzone. Im Sommer kommen Familien teilweise mit ihren Badematten und Handtüchern. Sie setzen sich unter die Bäume, die Kinder planschen am Wasserlauf. So was hätten wir uns bei der Planung der Neuen Mitte nicht erträumen können. Da ziehe ich eine positive Bilanz.

Die Eigentümer der Tiefgarage und wünschen sich eine bessere Auslastung. Was kann die Stadt da tun?

Es spricht nichts gegen oberirdische Kurzzeitparkplätze. Aber aus meiner Sicht bieten wir noch zu viele oberirdische Stellflächen an. Die logische Konsequenz: Man sucht erst mal oben, bevor man in die Tiefgarage fährt. Wir müssen die Parkmöglichkeiten in der Innenstadt konzentrieren und die Anbindung der Neuen Mitte, von der Raiffeisenbank bis zur Einmündung Elbestraße, optimieren und städtebaulich besser gestalten.

Welchen Beitrag kann die Stadt dazu leisten?

Die Tiefgarage ist hell und modern. Manche Händler bieten eine Rückvergütung an. Auf diese Vorteile müssen wir verweisen. Man könnte zusammen mit dem Handel eine Werbekampagne starten und gemeinschaftliche Aktionen machen.

Apropos Tiefgarage: Gibt es eine Lösung für die aufgrund von Vandalismus geschlossenen öffentlichen WCs?

Man kann schwerlich eine Videoüberwachung installieren. Aber man muss mit dem Stadtrat diskutieren, ob eine Gebührenpflicht eine gewisse Hemmschwelle darstellt. Mit dem Euroschließzylinder haben wir jetzt zumindest die Möglichkeit, dass Menschen mit Behinderungen die öffentliche Toilette weiterhin nutzen können.

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Anfang Dezember viel im Oberland reichlich Schnee - und verhinderte mutmaßlich die Pflanzung der langersehnten Bäume an der Egerlandstraße. Wann wird es dort grün?

Gerade in diesem Fall schmerzt es mich sehr, dass sich so viel verzögert hat. Ursprünglich hätten die Bäume im Oktober gepflanzt werden sollen. Sie sind da und eingelagert. Aber die Lieferung der Einfassungen war das Thema. Und dann kam der Schnee. Jetzt werden die Bäume im Frühjahr gepflanzt.

Was muss aus Ihrer Sicht in der Neuen Mitte noch verbessert werden?

In der Neuen Mitte gibt es unterschiedliche Nutzerinteressen, auf die die Stadt adäquat reagieren muss. Das bedeutet für die eine Gruppe, es vielleicht nicht so wild zu treiben, und für die andere, ein bisschen toleranter zu sein. Wir müssen den Fokus noch mehr auf eine sozial ausgewogene Stadtentwicklung legen. Da setze ich auf Kommunikation und Ausgleich durch aufsuchende Sozialarbeit.

In Form der neuen Stelle im Bereich Sozialarbeit, die im Rathaus angesiedelt werden soll?

Beispielsweise. Ich kann mich immer mehr mit der Idee von Herrn Leipold anfreunden. Der Jugendreferent des Stadtrats hat gute Arbeit geleistet. So können das Bauamt und das Amt für Familie eng zusammenarbeiten.

Sie haben das Thema Verkehr bereits angeschnitten. An welchen Stellschrauben wollen Sie noch drehen?

Wir arbeiten am Thema Carsharing, auch das Thema Leihräder wollen wir angehen. Auf dem Karl-Lederer-Platz kann sicherlich noch die Aufenthaltsqualität verbessert werden. Optimiert werden muss die Einfahrtssituation an der B11. Weil das eine Bundesstraße ist, haben wir da allerdings nur bedingt Einfluss. An der Egerlandstraße müssen wir uns die Einmündungssituationen am Anfang und am Ende der Neuen Mitte anschauen – darin schließe ich die Diskussion um den Kreisel am Fasanenweg ein. Beim Übergang von alter zu neuer Bebauung gibt es städtebauliche Brüche. Das gut zu gestalten und auch die anderen Teile einzubinden, ist eine Herausforderung, die wir im Jahr 2024 angehen wollen.

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„Heuer wird’s wieder nichts“ schrieb unsere Zeitung im September über einen Artikel zur S7-Verlängerung nach Geretsried. Wie enttäuscht sind Sie, dass das Planfeststellungsverfahren immer noch nicht abgeschlossen ist?

Man muss festhalten, dass wir bei solchen Großprojekten zwischenzeitlich in einer Komplexität des Verfahrens sind, die den handelnden Personen vermutlich gar keinen Spielraum mehr lässt. Trotz aller Unkenrufe muss man sagen: Wir sind in einem geregelten Verfahren. Das ist positiv. Der Besuch von Verkehrsminister Bernreiter in diesem Jahr war insofern hilfreich, als dass es eine klare Aussage des Ministers gab, dass die Staatsregierung auch weiterhin zum S-Bahnbau steht. Sie hat damit eine gewisse Bringschuld. Die Herausforderung ist nach wie vor die Frage der Finanzierung. Da müssen wir dran bleiben.

Sie meinen die Finanzierungsvereinbarung zwischen dem Freistaat Bayern und der Deutschen Bahn, die immer noch nicht in trockenen Tüchern ist. Und da wäre ja auch noch die neue Nutzen-Kosten-Untersuchung.

Wir brauchen einen positiven Nutzen-Kosten-Faktor, der beweist, dass diese S-Bahn auch einen volkswirtschaftlichen Nutzen bringt. Wenn dieser Faktor auf dem Tisch liegt, wird man sehen, ob die Staatsregierung zu ihrem Bekenntnis steht, das Thema wirklich voranzubringen.

Was kann die Stadt dazu beitragen?

Steter Tropfen höhlt den Stein, dran bleiben und weiter dicke Bretter bohren. Und an einem bestimmten Punkt den notwendigen Druck aufbauen, wenn es darum geht, eine politische Entscheidung zu bekommen.

Auch mit einem Planfeststellungsbeschluss wird in den nächsten zehn Jahren sicher keine S-Bahn bis nach Geretsried rollen.

Das stimmt zwar. Aber der Zeitraum von zehn Jahren ab dem Planfeststellungsbeschluss ist durchaus realistisch. Mit der S-Bahn werden wir so fundamentale Veränderungen haben, dass wir diese Zeit auch brauchen werden, um Geretsried dafür fit zu machen. Im Hinblick auf unsere Entwicklung müssen wir uns mit der Frage beschäftigen: Wer sind wir als Stadt? Wohin wollen wir?

Ist die Verwaltung dazu in der Lage?

Nicht mit dem Werkzeugkasten, der uns dafür bisher zur Verfügung stand. Es ist notwendig, die Verwaltung so auszubauen und auszurichten, dass wir in der Lage sind, diese Veränderungen zu stemmen. Das sehen wir auch an einem weiteren Großprojekt, das ähnlich tief eingreifend wird: die Geothermie und den Ausbau des Fernwärmenetzes. Da reden wir von einer Millioneninvestition.

Als Interimslösung brachte Andreas Wagner, der kürzlich zur SPD wechselte, einen Schnellbus ins Spiel, der die Geretsrieder auf direktem Weg nach München bringt. Warum halten Sie von diesem Vorschlag nicht viel?

Bei solchen Diskussionen sollte man eine gewisse Sach- und Fachkenntnis haben und mit realistischen Vorschlägen kommen. Der straßenbezogene ÖPNV ist Aufgabe des Landkreises und nicht der Kommune. So ein Bus würde, ohne anzuhalten, durch drei Landkreise fahren. Wer bezahlt das am Ende? Fraglich ist auch, ob es eine Konzession für eine Buslinie gibt, die parallel zur Bahn fährt. Sorry, das geht nicht.

Als Bürgermeister leiten Sie die Sitzungen des Stadtrats und seiner Ausschüsse. Wie läuft die Zusammenarbeit? Zuletzt gab es ja ein paar Unstimmigkeiten.

Diese Unstimmigkeiten würde ich als Sturm im Wasserglas bezeichnen. Ein Stadtrat muss nicht immer eine Kuschel-Arena sein. Demokratie lebt vom politischen Disput, das Ringen um die bessere Meinung schadet nicht. Und wir haben viele wichtige Entscheidungen vorangebracht.

Noch beschäftigen muss sich das Gremium mit dem alten Hallenbad. Ist der Standort für eine dritte Grundschule geeignet?

Fakt ist, wir müssen das Areal überplanen. Aber der Stadtrat hat noch keine Entscheidung getroffen. Die dritte Grundschule ist eine der Optionen. Gleichzeitig sollen die Sportstätten dort bleiben und ertüchtigt werden.

Seit ein paar Jahren gibt es ein neues Format für die Bürgerversammlung in Geretsried. Trotzdem kamen zuletzt nur 13 Bürgerinnen und Bürger. Empfanden Sie das als frustrierend?

Im ersten Moment mag man das so wahrnehmen. Aber dann arbeiten wir mit denen, die da sind, intensiver. Gleichzeitig darf nicht vergessen: Durch die neuen Medien gibt es viele verschiede Informationskanäle. Wir bieten Digitalbefragungen und Online-Foren an. Dort können sich die Leute mit ihren Anliegen einbringen. So haben wir hunderte Kontakte im Jahr, die auf dieser Ebene stattfinden. Das Format der Bürgerversammlung sieht die Gemeindeordnung so vor. Sie ist ein Organ der Stadt und stammt aus den späten 1940er-Jahren. Da war die Möglichkeit des Austausches eine andere als heute. Vielleicht muss man darüber nachdenken, wie weit sich eine Bürgerversammlung auch digital abbilden lässt.

Welche persönlichen Pläne haben Sie für das Jahr 2024?

Viel Zeit mit meiner Frau zu verbringen und den Freundeskreis nicht aus dem Auge zu verlieren. Und in unserem neuen Reihenhaus endlich mal die Werkbank im Keller einrichten.

Sind Sie handwerklich geschickt?

(lacht) Nein, das ist mein Problem. Auch in diesem Bereich gilt: Man wächst mit seinen Aufgaben.

nej

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