Merkel, Möbel, Mimik – und ein „gründliches Missverständnis“: Drei Auffälligkeiten beim „Miosga“-Auftakt
Eine neue Talk-Ära im Ersten soll beginnen. Mit Friedrich Merz – und einem neuen Möbel. Hat Caren Miosga alles im Griff? Eine Kritik zur Startausgabe.
Berlin/München – Da geht noch eine Konstante aus der langen Ära Merkel/Löw: „Anne Will“ ist als Flaggschiff-Talk der ARD Geschichte. Nach guten 16 Jahren, unterbrochen von ein bisschen „Günther Jauch“ hat am Sonntagabend (21. Januar) Caren Miosga das Zepter übernommen. Und doch, ein wenig anders war schon alles.
Angefangen bei der Gäste-Auswahl: Schluss wohl mit den quer durcheinanderquasselnden Sechser-Runden. Miosga hat sich mit CDU-Chef Friedrich Merz, dazu den auch politisch durchaus streitbaren Soziologen Armin Nassehi und die Zeit-Ostexpertin Anne Hähnig ins Studio geholt. Letztere beide hatten jeweils eine prägnante Hauptthese parat – womöglich wird das System haben.
Die Gäste zum Auftakt von „Caren Miosga“
Friedrich Merz – CDU-Chef, Unionsfraktions-Vorsitzender und Oppositionsführer
Armin Nassehi – Soziologe der LMU München
Anne Hänig – Zeit-Journalistin
Als durchaus hilfreich erweist sich ein neues Möbelstück. Aber ein altes Problem bleibt. So ganz auf den Kern der Sache kommen Miosga und ihre Runde im verbalen Ringen um Erklärungen und Lösungen zum Erstarken der AfD nicht. Auch Merz bleibt lange im Wohlfühlmodus, die wohl schmerzhafteste Kritik bleibt fast überhört. Drei Auffälligkeiten und Lehren zum Premieren-Talk:
Miosgas neues Möbel: Es weht ein Hauch von Gespräch durch den Talk
Im Kreis und auf Sesseln: So führte schon Sabine Christiansen – übrigens auch einst „Tagesthemen“-Moderatorin – bis 2007 ihre Gäste durch den Talk. Miosga probiert etwas Neues. Ein Tisch steht da im Studio, ein massives Exemplar. Daran sitzen zunächst nur Merz und Miosga. Den Oppositionsführer einzuladen, erscheint als legitimer Schachzug: Anne Will musste sich bisweilen Vorwürfe der Regierungsnähe anhören. Und auch der hölzerne Vierbeiner deutet Vorzüge an. Jedenfalls vom Grundsatz her.
Denn die Talkerin und der Gast lehnen sich vor und unterhalten sich. Im Wortsinne. Anders als bei „Will“ wird nicht mit stoischen Mienen deklamiert. Merz packt sogar Mimik aus; lächelt, grinst, runzelt die Stirn. Das Problem: Merz hat viel zu lächeln und wenig Anlass zum Stirnrunzeln. Bisweilen schmeckt der Talk eher nach „Reinhold Beckmann“ als nach den jedenfalls Kontroversen auslösenden Fragen im „Bericht aus Berlin“.
Ha! Schwarze Lampe!
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Eher nebulös bleibt auch der Auftritt einer Lampe: Einen Schreibtischleuchter „Kaiser (idell)“ aus dem Sauerland packt Miosga aus. „Die kenn ich aus der Amtsstube meines Vaters“, sagt Merz. Und dass er lieber die zu lesenden Dokumente beleuchtet als den ganzen Raum. Gut. Wieder was gelernt. Mehr als ein kleines Referat zu bekannten Konservativismus-Definitionen der CDU entlockt Miosga dem Gast mit dem Verweis auf das sprichwörtlich „tiefschwarze“ und beleuchtungsbedürftige Sauerland aber auch nicht.

Merkel, Thüringen-Dilemmata und „kleine Paschas“: Merz bleibt (fast) Herr der Lage am Grill
Und damit zum Kern des Talk-Problems: Nicht nur die Ampel, auch Friedrich Merz musste sich zuletzt Kritik an der politischen Arbeit anhören. Steilvorlagen für kritische Fragen hätte der CDU-Chef im vergangenen Jahr ausreichend geliefert. Von „kleinen Paschas“ über den „Brandmauer“-Eklat und Eiertänze bei der Unions-Kanzlerkandidatur bis zur Frage, warum eigentlich vor allem die AfD von der Schwäche der Ampel-Koalition profitiert.
Miosga spricht viel davon an – und bekommt wenig Erhellendes zu hören. Am meisten lehnt sich Merz noch beim vielleicht zwischenmenschlich pikantesten, aber auch politisch irrelevantesten Thema aus dem Fenster: Seiner Beziehung zur einstigen innerparteilichen Widersacherin Angela Merkel. Unter den alten Streitigkeiten sei „ein Haken“, behauptet er. Erzählt aber auch: Merkel habe viele CDU-Veranstaltungen abgesagt. Beim Wahlkampf sei sie „selbstverständlich eingeladen, meine Vermutung ist: Sie will nicht.“
„Natürlich gibt es da richtige Nationalsozialisten. Aber deshalb sind nicht alle Wählerinnen und Wähler dieser Partei Nazis. Und wenn wir die zurückgewinnen wollen, dürfen wir sie nicht beschimpfen.“
Ansonsten windet sich Merz stets, bevor der Versuch des journalistischen Grillens so richtig greift. Um AfD-Wähler ringen, während rechtsextremistische Umtriebe zu brandmarken sind? „Für uns alle ein Dilemma.“ Was über Weihnachten aus den Gesprächen mit der Familie über eine Kanzlerkandidatur geworden ist? Darüber habe man wegen Wolfgang Schäubles Tod nicht gesprochen. Ist der Ruf nach der „Option Atomenergie“ nicht aktuell ein reiner PR-Stunt? „Das heißt nicht, dass wir sie morgen bauen, aber wir wollen nicht abschließend ausschließen, dass wir sie bauen.“ Und wer wird nun Kanzlerkandidat? „Das entscheiden wir im Spätsommer 2024“, heißt die Antwort – mehrfach.
Immerhin: Dann und wann greift Merz zum Mittel des strategischen Entgegenkommens. Dass die Atomkraft in der aktuellen Transformation nicht helfe, sei „wahr“. Ob wirklich nur die bislang bekannten Personen aus CDU-Kreisen am Potsdamer Rechtsextremisten-Treffen teilgenommen haben, wisse er nicht. „Ich sage nur ganz klar, wer sich an so etwas beteiligt, hat in der CDU nichts zu suchen.“
Miosga mit Merz im Ersten: Experten benennen zwei AfD-Schmerzpunkte – der Talk läuft gegen die Wand
Bleibt der inhaltliche Kern des Talks. Was tun gegen die Höhenflüge der AfD? Hähnig und Nassehi präsentieren nicht das übliche Sperrfeuer an Expertenthesen. Sondern, plus-minus, jeweils eine These.
Nicht die wirtschaftlich Abgehängten wählten die AfD, schildert Hähnig ihren Eindruck – es gehe vielmehr um einen „sehr politischen Akt“. Dass die anderen Parteien teils den Kurs der AfD aufgriffen, gefalle deren Wählern durchaus gut. Sie glaubten aber „nicht daran, dass die Parteien die Macht haben, diese Vorschläge durchzusetzen“. Es gehe bei den Rechtspopulisten doch meist darum, sich „abzuschotten“. Darauf müsse auch die CDU eine Antwort finden.
Nassehi knüpft an. Abschottung sei attraktiv als „Idee von Kontrolle“. „Das heißt nicht, dass es keine Kontrolle gibt“, betont er. Eine „Inkompetenzunterstellung“ sei aber Kernbestandteil der „Geschichte“ – also Erzählung – von rechtsaußen. Soziologisch lasse sich beobachten, dass die Leute mit ihrer privaten Lebenssituation zufrieden seien – dennoch heiße es „das Ganze ist schlecht“. Und dieses Spiel finde bisweilen Mitspieler.
Das wäre eine gute Grundlage für eine lösungsorientierte Debatte gewesen. Miosga aber lenkt schnell den Fokus auf die Brandmauer-Debatte des Sommers. Und Merz geht direkt in die Defensive. Ein „gründliches Missverständnis“ sei der Aufruhr um „Zusammenarbeit“ mit der AfD gewesen. Ob man Anträge zurücknehmen solle, weil die AfD mitstimme, fragt er. „Nö, das finde ich nicht“, sagt Hähnig. Und wie die CDU in Thüringen agieren würde, wenn es wieder keine Parlamentsmehrheiten jenseits von AfD und Linke gäbe? „Wir werden nicht mit Was-wäre-wenn-Fragen in diese Wahl gehen“, sagt Merz. Haken drunter? Inhaltlich wohl kaum – in Thüringen ist das Problem längst virulenter. Der Talk läuft aber erstmal gegen die Wand.
„Caren Miosga“ startet kaum „affizierbar“ im Ersten: „Ich darf mich begrüßen“
Ein paar Klippen darf Merz noch umschiffen – die einzigen, die der CDU-Chef nicht schnell wegmoderiert, sind aber die durchaus bemerkenswerten, aber soziologisch verklausulierten Vorwürfe Nassehis. Und ein Seitenhieb von Hähnig. Auf ein eingespieltes „Best Of“ der Verbal-Querschläge Merz‘ hin präsentiert Miosga eine lexikalische Definition von „Jähzorn“. Das bringt Merz aber gar nicht zum Kochen: „Das sind keine Affekte, das ist Engagement“, lächelt Merz den Anwurf weg. Aus dem Publikum gibt es sogar zustimmenden Applaus für den Zusammenschnitt.
Das sind keine Affekte, das ist Engagement. Ich bin in diesen Fragen nun mal wirklich engagiert.
Hähnig gibt denn auch einen Teil-Passierschein: Zuspitzen sei schon mal erlaubt. Sie frage sich allerdings, bei welchem Zahnarzt Merz sei – dort einen Termin zu bekommen, sei gar nicht so schwierig. Da nimmt das Applaus-Level nochmal zu. Zugleich gelte es, nicht ganze Bevölkerungsgruppen zu diskreditieren; die „kleinen Paschas“ seien insofern schon „grenzwertig“ gewesen.
Nassehi packt eine kleine, aber sehr unauffällige Populismusspitze aus. Einige Themen seien „leicht affizierbar und dazu gehört auch das Migrationsthema“, sagt er. Und fügt hinzu, die affektive Reaktion bei konservativen und AfD-Wählern sei durchaus unterschiedlich, auch wenn sich die Semantik ähnele. Das Wählerpotenzial von CDU und AfD unterscheide sich doch deutlich. Mit anderen Worten: Merz spiele politisch mit Emotionen. Und greife zwar ein legitimes Thema auf, heize damit aber womöglich eher das AfD-Lager auf, als konservativen Wählern direkt aus der Seele zu sprechen.
Nach einem Merz-Bekenntnis zur Zusammenarbeit zwischen Regierung und Opposition (und dem Eingeständnis, dass die aktuell nicht gelinge) ist der „Miosga“-Start dann auch überstanden. Es bleibt die abgewandelte Erkenntnis eines anderen Soziologen: dass das Befragen von Politikern dem Bohren dicker Bretter gleichkommt. Und Miosga packen nach der Kurzschalte zu den „Tagesthemen“ vielleicht nochmal die Emotionen. „Ich darf mich begrüßen“, sagt die neue Talkerin zum Abschluss. (Florian Naumann)