Lanz provoziert Klingbeil – der moderiert die Probleme der Ampel weg

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Polittalk im ZDF mit Markus Lanz. (Archivbild) © Screenshot ZDF

Angesichts des Kriegs in Nahost wirkt die deutsche Tagespolitik, die Markus Lanz und seine Gäste im Anschluss diskutierten, besonders banal.

Hamburg – Seit über 100 Tagen herrscht im Nahen Osten einmal mehr Krieg, inzwischen schon fast wieder aus den Schlagzeilen verschwunden.

Bei Markus Lanz war aus Israel Michael Bewerunge, ZDF-Korrespondent in Tel Aviv, zugeschaltet. Dort sind jüngst 21 israelische Soldaten unter noch nicht endgültig geklärten Umständen ums Leben gekommen. Die Stimmung in Israel kippt, die Kritik an Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wird lauter, der innenpolitische Druck wächst: „Die Hamas hat eine starke Waffe: Die Geiseln“ erklärte Bewerunge die Lage.

Einerseits soll die Hamas bekämpft und im besten Fall vernichtet, andererseits die noch über 100 Geiseln befreit werden. Und ganz nebenbei wird der Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt. Die Zerstörung ist enorm und wirft die Frage auf, wie es nach dem Ende des Krieges weitergehen wird. Vor einigen Tagen hat sich Netanjahu deutlich gegen eine Zweistaatenlösung ausgesprochen, aber was wäre die Alternative?

Krieg in Nahost bei Markus Lanz: Netanjahu wird nicht freiwillig gehen

Der Druck auf Netanjahu ist enorm, berichtete Bewerunge, doch der Ministerpräsident ist nicht umsonst inzwischen der Politiker, der am längsten die Geschicke Israels führt. Freiwillig und ohne Wiederwehr wird Netanjahu nicht seinen Platz räumen. Auch in Deutschland wächst langsam die – wenn auch sehr vorsichtige – Kritik an der israelischen Kriegsführung.

Lars Klingbeil, SPD-Vorsitzender, betonte zwar die deutsche Solidarität, deutete aber auch sanfte Kritik an Netanjahus Absage an die Zweistaatenlösung an. Wie diese beiden Positionen unter einen Hut gebracht werden könnten, wollte Klingbeil bei Markus Lanz im ZDF allerdings nicht ausführen. Das wäre wohl auch ein zu gefährliches Minenfeld für einen deutschen Politiker.

Obsolet sei die Zweistaatenlösung nicht, meinte der ehemalige Diplomat Andreas Reinicke, der einst als Sonderbeauftragter der EU für den Friedensprozess im Nahen Osten zuständig war. Eine internationale Konferenz sei notwendig, allerdings ohne die beiden Parteien, also Israel und die Palästinenser. Garantiemächte wie die USA, die EU, aber auch zunehmend einflussreiche Golfstaaten wie Saudi-Arabien sollten einen Rahmen finden, innerhalb dessen eine Zweistaatenlösung möglich sein könnte.

Eine momentan vermutlich eher utopische Vision, aber für die Menschen vor Ort, vor allem die Palästinenser, wohl die einzige Hoffnung. Hilfreich wäre sicher, wenn Israel nicht jede Kritik an seiner Politik reflexartig als Antisemitismus bezeichnen würde, so wie unlängst die Anklage auf Völkermord, die Südafrika vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag stellte. Dass manche israelische Politiker Palästinenser als Tiere, die es auszumerzen gilt, bezeichneten, wurde etwa als Beleg für genozidale Absichten angeführt, über die nun Den Haag entscheidet.

Harter Cut bei Markus Lanz: Zurück zur deutschen Tagespolitik

Schwer, nach diesem Thema in die Niederungen der deutschen Tagespolitik zurückzukehren. Zum Beispiel zum am Mittwoch (24. Januar) startenden Bahnstreik, der verspricht, der längste und teuerste in der Geschichte der Bundesrepublik zu werden.

Lars Klingbeil SPD-Vorsitzender
Dorothea Siems Journalistin
Andreas Reinicke Ehemaliger Nahost-Diplomat
Michael Bewerunge Journalist

Dorothea Siems, Journalistin bei der Welt, hatte sich schon vor gut zwei Wochen bei Markus Lanz sehr kritisch über den Streik der Lokführer geäußert. „Wer ist in einem bedauernswerteren Zustand: Die Bahn oder die SPD?“, fragte Lanz den SPD-Chef. „Ich verstehe die Frage nicht“ versuchte Klingbeil zu kontern, der inzwischen durch zahllose Talkshow-Auftritte eine gewisse Souveränität darin entwickelt hat, die offensichtlichen Probleme der SPD und der Ampel-Koalition wegzumoderieren. Probleme gibt es, es gibt viele Krisen, man arbeitet daran, bemüht sich, es wird schon. Phrasen seien das, versuchte Lanz den SPD-Chef zu provozieren, der sich jedoch nicht aus der Reserve locken ließ. Ja, manches sei schlecht kommuniziert oder vorbereitet, aber im Großen und Ganzen macht die Ampel alles richtig.

Harsche Kritik an der Ampel bei Lanz

Das wollte Dorothea Siems so nicht stehen lassen und setzte zu einer schier endlosen Suade gegen die Politik der Regierung an, die keinen Stein auf dem anderen lies. Besonders die Entscheidung, ukrainische Flüchtlinge sofort ins Bürgergeld zu übernehmen, wollte Siens als problematisch darstellen. Klingbeil betonte dagegen bei Markus Lanz im ZDF die humanitäre Komponente, aber auch den Pragmatismus, denn die Flüchtlinge aus der Ukraine wären ohnehin nach Prüfung ihres Status im Bürgergeld gelandet. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern arbeiten in Deutschland nur eine deutlich geringere Anzahl von Flüchtlingen, auch wenn gut zwei Millionen Stellen offen sind, darunter nicht nur solche, für die Fachkräfte benötigt werden.

Der Mythos, dass sich Arbeit nicht lohnt, dass das Bürgergeld verhindert, dass Menschen bestimmte Jobs übernehmen, bleibt groß. Und wird gerade von einer wirtschaftsliberalen Journalistin wie Dorothea Siems gerne erzählt. Aber auch Klingbeil fordert, dass der Druck erhöht wird, dass Dauerverweigerer nicht mehr so leicht durchkommen wie bislang. Doch deren Anzahl ist eher gering, so Klingbeil, viele Bürgergeld-Empfänger haben keinen Schulabschluss und sind daher nur schwer in einen Beruf vermittelbar. Ob das die stetig zunehmende Zahl der AfD-Wähler besänftigen wird, wird sich spätestens bei den Wahlen im Herbst zeigen. (Michael Meyns)

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