Alle Optionen offen: Südkorea kann ebenfalls in den Kampf gegen Putin eingreifen
Südkorea fürchtet, Kims Armee könnte in Kursk Kampferfahrung sammeln. Seoul lockert daher seine Zurückhaltung und will helfen – zunächst mit Material.
Seoul – „Die militärische Unterstützung aus Südkorea könnte von logistischer Unterstützung wie Kommunikationsausrüstung, Flugzeugteilen, Zelten, Lebensmitteln, Lastwagen und allem Mechanischen bis hin zu tödlichen Waffen wie Kleinwaffen, Panzerabwehrwaffen und Langstreckenraketen reichen“, sagt Seth Krummrich. Der britische Independent hat den ehemaligen Oberst der US-Armee zitiert, weil offenbar Südkorea seine Zurückhaltung gegenüber Wladimir Putin aufgeben beziehungsweise zumindest überdenken will. Laut dem Blatt lägen aktuell alle Optionen auf dem Tisch.
Nun sei klar, dass Russland seinen Partner „auf der Halbinsel gewählt hat“, schreibt dazu Henry Haggard. Für den ehemaligen Berater in der US-Botschaft in Seoul sei jetzt höchste Zeit, dass Südkorea diese Tatsache akzeptiere und sich unmissverständlich an die Seite des ukrainischen Volkes, der Vereinigten Staaten und Europas stelle, fordert Haggard für den US-Thinktank Center for Strategic and International Studies (CSIS).
Südkorea in Angst: Verbrüderung mit Wolodymyr Selenskyjs Volk eher zweitrangig
Allerdings legt der Independent nahe, dass Südkorea eher von eigenen Ängsten getrieben scheint, denn von der Verbrüderung mit dem Volk des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Südkorea sei besorgt darüber, dass Tausende nordkoreanische Soldaten auf einem Kriegsschauplatz Kampferfahrung sammelten und die erworbenen Fähigkeiten nach ihrer Rückkehr möglicherweise gegen Südkorea einsetzen könnten, wie Indpendent-Autor Arpan Rai nahelegt. Möglicherweise hat diese Befürchtung ihre Berechtigung. Das vermeintlich in Kursk eingesetzte 11. Korps Nordkoreas, auch Sturmkorps genannt, soll individuell kampfstarke Soldaten umfassen.
„Pjöngjang hofft wahrscheinlich, dass das nordkoreanische Militärpersonal Kampferfahrung unter den Bedingungen eines gegenwärtigen Krieges sammelt – Erfahrung, die es möglicherweise in zukünftigen Konflikten anwenden kann. Die Zusammenarbeit zwischen Nordkorea und Russland birgt die deutliche Möglichkeit, die langfristige Stabilität der koreanischen Halbinsel und der weiteren asiatisch-pazifischen Region zu gefährden“
Allerdings mögen sie für den vorgesehenen Zweck wenig geeignet sein, mutmaßt Lee Woong-gil gegenüber der Korea Daily. Den 43-Jährigen stellt das Blatt vor als ehemaligen hochrangigen Offizier dieser Spezialeinheit, der schließlich in den Westen übergelaufen ist. „Die Hauptaufgabe des Sturmkorps besteht in der schnellen Infiltration hinter die feindlichen Linien für Missionen wie Attentate und Sabotage von Einrichtungen“, erklärt Lee aktuell und bezweifelt, dass gerade diese Soldaten geeignet seien, „an den Frontlinien des Russland-Ukraine-Konflikts bedeutende Schlachtfelderfolge zu erzielen“, wie ihn Korea Daily zitiert.
Anfang November hatte auch der täglich über den Ukraine-Krieg berichtende US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) gemutmaßt, dass der Beistandspakt zwischen Russland und Nordkorea die militärische Balance auch auf der koreanischen Halbinsel erschüttern könnte. „Pjöngjang hofft wahrscheinlich, dass das nordkoreanische Militärpersonal Kampferfahrung unter den Bedingungen eines gegenwärtigen Krieges sammelt – Erfahrung, die es möglicherweise in zukünftigen Konflikten anwenden kann. Die Zusammenarbeit zwischen Nordkorea und Russland birgt die deutliche Möglichkeit, die langfristige Stabilität der koreanischen Halbinsel und der weiteren asiatisch-pazifischen Region zu gefährden“, schreiben deren Autoren.
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Waffenhilfe für die USA: Für Seoul hilfreich für rasanten wirtschaftlichen Aufstieg des Landes
Tatsächlich erinnert die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) daran, dass zwar Pjöngjang noch nie Truppen ins Ausland entsandt hätte, aber Seoul durchaus schon Erfahrung damit gesammelt habe. Während des Vietnamkriegs habe der Militärdiktator Park Chung Hee rund 320.000 Soldaten an die USA verliehen. „In den neun Kriegsjahren soll das Land durch seine Söldner fast eine Milliarde US-Dollar verdient haben, außerdem erhielten südkoreanische Firmen besonderen Zugang zum amerikanischen Markt. Jene Auslandsmission spielte eine wesentliche Rolle beim rasanten wirtschaftlichen Aufstieg des Landes“, schreibt NZZ-Autor Fabian Kretschmer.
Seoul spekuliert jetzt erneut, inwieweit sie die Ukraine unterstützen könne, um sich selbst zu helfen – beispielsweise hat der deutsche CDU-Vorsitzende Friedrich Merz jüngst in der Sendung Maischberger klargemacht, aus einem aktuellen Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj habe er erfahren, die Ukraine sei bis 2026 „durchfinanziert“, wie er sich ausdrückte; sie bräuchte aber dringend Material. Laut dem Independent könne Südkorea MIM-23-Boden-Luft-Raketen liefern, 105-mm-Haubitzen KH178 und Artilleriemunition sowie Maschinen- und Sturmgewehre beziehungsweise auch zivile Lastwagen.
Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit. „Wir haben die Situation, dass die Ukraine gerade versucht, händeringend noch einmal 160.000 Mann zu mobilisieren“, hat vor kurzem Markus Reisner gesagt. Der Oberst des Österreichischen Bundesheeres hatte im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr eine Lagebeurteilung abgeben; die fiel desaströs aus. Die 160.000 Soldaten, von denen er sprach, fehlen an den Fronten der Ostukraine; diese personellen Lücken werden durch die offensiven Aktionen der Ukraine bei Kursk nochmals verstärkt.
Ernsthafter Gegner Putins: Südkorea gilt als fünftgrößte militärische Streitmacht der Welt
Reisner weist hin auf die demografische Delle an Menschen im Alter von knapp über 20 Jahren. Der Militärhistoriker sagt, die Ukraine würde sich schwertun, diese Männer für den Militärdienst zu ziehen, weil das die Menschen seien, die das Land wieder aufbauen sollten. Insofern stellt sich wieder die Frage, ob jeder Soldat, der in Kursk für einen Fußbreit russischen Bodens sein Leben riskiert, gut investiert ist von der ukrainischen Führung. „Wenn die Humanressource faktisch nicht mehr da ist – wie soll‘s dann weitergehen?“, fragt Reisner. „Auch die Ukraine hat inzwischen die Grenzen ihres Handelns erkannt.“
Obwohl von der Entsendung von Truppen oder lediglich von militärischen Beratern noch keine ernsthafte Rede ist, wird Südkorea zugetraut, die womöglich kommende Lücke der USA zu schließen. Heute seien südkoreanische Unternehmen weltweit führend in der Herstellung von Militärfahrzeugen, Munition, automatisierter Artillerie und vielem, was der Ukraine im Krieg helfen würde, schreibt CSIS-Analyst Haggard. Der Global Firepower-Index (GFP) verzeichnet Südkorea als fünftgrößte militärische Streitmacht der Welt hinter den USA, Russland, China und Indien.
Der GFP summiert das aktive militärische Personal des 52 Millionen umfassenden Volkes auf 600.000 Kräfte plus dreieinhalb Millionen mobilisierbarer Reserven. Lauft dem GFP verfügten die Landstreitkräfte über fast 67.000 Fahrzeuge, davon allein etwas mehr als 2.500 Kampfpanzer und rund 10.000 artilleristische Einheiten verschiedenen Zuschnitts. Die größte Stärke der südkoreanischen Streitkräfte scheint aber zu sein, dass sie ihre Waffen prinzipiell selbst produzieren – gerade hat der Nato-Partner Polen beschlossen, seine künftigen Panzerkräfte mit dem südkoreanischen K2 Black Panther auszurüsten und sich gegen die klassischen Nato-Lieferanten beispielsweise aus Deutschland zu positionieren.
Ukraine-Krieg als Sprungbrett: Südkorea strebt nach mehr Autonomie im internationalen Umfeld
Aufgrund der wiederholten Raketentests durch Nordkorea und den unverhohlenen Drohungen dessen Staatschefs Kim Jong-un, sein Atomwaffen-Arsenal von derzeit geschätzten 50 atomaren Sprengköpfen auszubauen, konzentriert sich Südkorea auf die Entwicklung einer ausgefeilten Luftabwehr. Laut Sarah Jeong investiert das Land in eine dem israelischen Iron Dome ähnliche Luftverteidigung. Im Hinblick auf Deutschlands kommende Verpflichtungen, für die eigene Sicherheit mehr zu investieren, erinnert die Autorin des Thinktank Wilson Center daran, dass Südkorea diesen Schritt schon hinter sich hat.
Sie weist darauf hin, dass der Korea-Krieg noch kein offizielles Ende gefunden hat und Südkorea offenbar wenig Vertrauen fasst in die weiter bestehende Selbstverpflichtung der USA, Südkorea zu verteidigen. „Selbst angesichts des Zorns Chinas hat die südkoreanische Regierung die Anzahl und Leistungsfähigkeit ihrer militärischen Waffensysteme kontinuierlich erhöht“, schreibt Jeong. Beispielsweise könnte die südkoreanische 105-mm-Kanone als ein aus dem Korea-Krieg übernommenes Kaliber für schnell zu bewegende Verbände wie Luftlandetruppen das Artillerie-Geschütz der Zukunft sein, berichtet aktuell das französische Magazin Meta-Defense.
Diese Situation hat das Land auch zu ökonomisieren versucht und nicht nur zwei Drittel seiner Waffen im Inland produziert, sondern auch die Produktion von Halbleitern forciert, wie Hunter Slingbaum und Kaitlyn König schreiben. Die beiden Autoren des US-Thinktank Stimson Center rechnen aktuell damit, dass sich Südkorea als Waffen-Exporteur auf dem globalen Markt positionieren will und in der Ukraine auch einen ersten Angriffspunkt sieht, wie sie schreiben: „Es ist durchaus möglich, dass Südkorea angesichts seiner vertieften Beziehungen zu anderen Ländern durch von den USA nicht vermittelte Waffenverkäufe ein wenig mehr Autonomie im internationalen Umfeld erlangt.“