Ein Jahr nach den Bauernprotesten: Erdings Kreisobmann Jakob Maier zieht Bilanz

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Was hat sich seit den Bauernprotesten getan? „Unsere Anliegen werden ernster genommen, vor allem in Brüssel“, sagt BBV-Kreisobmann Jakob Maier. © Johannes Dziemballa

„Wir werden nicht mehr nur als Verursacher von Problemen gesehen, sondern auch als deren Löser.“ Das sagt der BBV-Kreisobmann im Interview mit der Heimatzeitung.

Erding - Mehr als ein Jahr ist seit den Bauernprotesten vergangen. Was hat sich seitdem getan? Zumindest die Zahlen sind nicht besser. Im Wirtschaftsjahr 2023/24 seien die Einkommen der Landwirte um durchschnittlich 20 Prozent eingebrochen, meldet der Bayerische Bauernverband (BBV). Die Ergebnisse der bayerischen Haupterwerbsbetriebe liegen mit 66 658 Euro um durchschnittlich ein Fünftel unter denen von 2022/23. Bei Ackerbauern haben sich die Ergebnisse laut BBV um rund 13 Prozent verschlechtert, bei Futterbaubetrieben mit Milcherzeugung sind sie um rund 27 Prozent zurückgegangen. Aber es sei nicht alles schlecht, meint Jakob Maier. Der Erdinger BBV-Kreisobmann, der sich auch zur Maul- und Klauenseuche geäußert hat, zieht Bilanz und blickt in die Zukunft.

Herr Maier, haben sich die Bauernproteste rentiert? Fürs Image waren sie ja nicht so toll.

Wie meinen Sie das?

Die Klimakleber kleben sich auf die Straßen, die Bauern versperren sie mit Traktoren. Wo ist der Unterschied?

Der Unterschied ist ganz einfach: Unsere Aktionen waren angemeldet und in sehr guter Zusammenarbeit mit der Polizei und den Verwaltungsbehörden. Wir waren mit den Behörden immer im Gespräch. Eine Ausnahme war die erste Veranstaltung in Altenerding. Die war extrem spontan, weil wir sie innerhalb von zwei Tagen organisiert haben und überrannt worden sind. Da habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie groß der Unmut der Bauern ist. Aber ansonsten war alles angemeldet, Polizei und Ordnungskräfte haben sich darauf einstellen können. Auch bei den Sternfahrten, die wir gemacht haben. Natürlich gab es auch Stimmen von Leuten, die etwas wütender vorgehen wollten. Aber da haben wir von Beginn an klar gemacht, dass wir solche Leute und Aktionen nicht gebrauchen können.

Klingt nach viel Arbeit. Nochmal: Hat sich‘s gelohnt?

Unsere Anliegen werden ernster genommen, vor allem in Brüssel. Der Blick auf die Landwirtschaft hat sich geändert. Wir werden nicht mehr nur als Verursacher von Problemen gesehen, sondern auch als deren Löser. Natürlich hätten wir uns mehr Bewegung in Richtung unserer Forderungen gewünscht, etwa beim Bürokratieabbau.

Aber gab es nicht auch Erleichterungen?

Bei den Konditionen für die Ausgleichszahlungen, die wir für die Einhaltung der Auflagen in Sachen Natur-, Boden- und Wasserschutz erhalten – da hat sich etwas geändert. Einzelne Punkte wurden erleichtert.

Zum Beispiel?

Die vierprozentige verpflichtende Flächenstilllegung ist abgeschafft worden. Mehr Biodiversität zu fordern, aber nichts dafür bezahlen zu wollen, war uns immer ein Dorn im Auge. Stattdessen gibt es nun eine freiwillige Maßnahme und 1350 Euro pro Hektar. Das nehmen die Landwirte supergern an. Jeder hat eine Fläche, die ackerbaulich nicht so wertvoll ist und die auch einen Mehrwert für Flora und Fauna bietet. Diese Veränderung war eine Folge der Bauernproteste.

...die insbesondere durch die Streichung der Steuererleichterungen beim Agrardiesel ausgelöst wurden. Da gab es einen Teilerfolg.

Sie wurde nicht komplett gestrichen, sondern in drei Stufen. Und durch die neue Situation im Bund stehen uns verschiedene Parteien im Wort. Michaela Kaniber hat bei unserer Landesversammlung gesagt: „Der Agrardiesel wird, wenn wir wieder Regierungsbeteiligung haben, wiederkommen.“ Aber gleichzeitig ist etwas anderes wichtig.

Was denn?

Die Steuerbefreiung für Kraftstoffe auf Basis heimischer Pflanzen. Es muss einfach wieder wettbewerbsfähig sein, das eigene Rapsöl im eigenen Traktor zu verwenden. Wir sehen die Notwendigkeit, von fossiler Energie wegzukommen, aber man braucht dann auch Alternativen.

Und da gab es bisher keine Steuerbefreiungen?

Die wurden zurückgenommen. Zwischen 2004 und 2008 hatten viele Fuhrunternehmer ihre Fahrzeuge auf Rapsöl umgestellt, weil es energiesteuerbefreit und konkurrenzfähig zum Diesel war. Das wurde gestrichen, noch unter CDU/CSU – vermutlich auf Druck der Mineralölindustrie. Eine Vielzahl von Genossenschaften sind über Nacht weggefallen. Seitdem braucht man auch den Bauern nicht mehr mit Rapsöl zu kommen. Aber darauf zu bestehen, ist mir wichtig. Nur zu sagen, Agrardiesel muss bleiben, ist aus meiner Sicht nicht zukunftsfähig.

Da ziehen Ihre Kollegen mit, wenn ihnen das Rapsöl ohnehin nicht wichtig ist?

Das ist für mich ein ganz wichtiger Punkt, weil wir mit heimischem Raps unsere ganzen Fahrzeuge bewegen könnten und zusätzlich heimisches Eiweißfutter erzeugen. Sechs bis sieben Prozent der Ackerfläche sind mit Raps bebaut, das würde reichen. Die Bauern machen aber nur mit, wenn nicht die nächste Regierung die Steuererleichterung wieder einkassiert.

Stichwort Verlässlichkeit der Politik.

Nicht nur in Sachen Energie, auch in der Tierhaltung. Gerade die Erdinger Landwirtschaft macht ihre Wertschöpfung immer noch zu 70 Prozent über Tierhaltung. Da brauchen wir Planungssicherheit. Wenn ich die Anbindehaltung verbiete und auch die Kombinationshaltung, die wir als Alternative angeboten haben, nicht akzeptiere, dann bricht uns da wieder etwas weg.

Aber das neue Tierschutzgesetz kommt ja eh nicht.

Nein, das kommt nicht, da brennt es jetzt nicht. Es gibt einen wunderbaren Entwurf von der Zukunftskommission Landwirtschaft in Sachen Tierhaltung mit den verschiedenen Organisationen – Naturschutz, Tierschutz, verschiedene Bauernverbände. Da hat die Vorgängerregierung ein Programm verabschiedet nach dem Motto: „Wenn schon der Verbraucher nicht bereit ist, an der Theke das zu zahlen, was es wirklich kostet, dann müssen wir das unterstützen, damit uns die Tierhaltung nicht verloren geht.“

Also staatlicherseits unterstützen.

Leider hat Cem Özdemir dieses Programm nie aufgegriffen, übrigens auch nicht seine Vorgängerin Julia Klöckner (CDU), sondern wollte die Regelungen verschärfen. Dabei haben wir bei der Stallhaltung den höchsten Standard weltweit. Aber das hat alles seine Konsequenzen. Die Schweinebestände gehen massiv zurück, auch im Landkreis Erding. Bei den Milchviehhaltern ist es dasselbe. Von denjenigen, die jetzt eine Anbindehaltung haben, und das sind noch 50 Prozent, werden die meisten aufhören.

Klingt fast so, als würde jeder Landwirt nur wegen der Politik aufhören.

Natürlich hat dies verschiedene Gründe. Manchmal fehlt auch die Hofnachfolge. Die Molkereien merken es jetzt schon. Der Butterpreis geht nicht mehr zurück, weil die Menge, die wir verlieren, nicht mehr kompensiert werden kann. Die Tierzahlen gehen nach unten.

Was auch am veränderten Essverhalten liegen dürfte.

Der Fleischkonsum geht zurück. Richtig. Sowohl beim Rindfleisch als auch beim Schweinefleisch. Auf der anderen Seite geht es beim Geflügelfleisch steil nach oben.

Dabei hat Geflügel zumindest gefühlt das schlechteste Image.

Auch so eine Sache: Wir haben die Käfighaltung verboten. Wirklich toll. Aber dafür sind zum Beispiel in den baltischen Ländern große Kapazitäten aufgebaut worden. Beim Frischei ist die Tierhaltung super, die Hennen können raus, können scharren. Aber die Eier für verarbeitete Produkte kommen nach wie vor aus dieser Tierhaltung, die wir eigentlich nicht haben wollen. Das wird importiert, und da schaut keiner drauf. Eigentlich ist das scheinheilig: Ich verbiete das im eigenen Land, aber importiere aus Ländern mit niedrigen Standards. Dasselbe gilt für das Mercosur-Abkommen.

Sie meinen den Vertrag der EU mit Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay.

Während in Südamerika der Regenwald brennt und man auf Pflanzenschutzmittel oder Medikamente setzt, die bei uns seit Jahrzehnten verboten sind, will die EU ernsthaft ein Handelsabkommen unter Dach und Fach bringen, wo all das gar keine Rolle spielt? Das ist Handelspolitik zulasten von unseren Bauernfamilien und allen Verbrauchern, wie unser BBV-Generalsekretär Carl von Butler gesagt hat. 

Zurück zum EU-Binnenmarkt.

Wir haben hier einen gemeinsamen europäischen Markt. Darf man sich da nicht wünschen, dass jeder die gleichen Regeln befolgen muss? In Spanien wurden Schweineställe gebaut, weil es dort einfacher geht. Bau mal bei uns eine Güllegrube, da könnte man meinen, es geht um das Atommüllendlager.

Wettbewerbsnachteile?

Gleicher Markt, gleiche Regeln – das ist die Kernforderung. Und das betrifft alles, was in den Markt kommt. Der Kunde ist nun mal nicht bereit, mehr zu zahlen, nur weil es bei uns strengere Regeln gibt.

Auch nicht, wenn jetzt ein staatliches Tierschutzlabel eingeführt wird?

Da muss man aufpassen, was es wirklich bringt. Es gibt so viele Labels, in Wirklichkeit sind das Marken des Lebensmitteleinzelhandels. Die setzen jetzt schon die Standards. Das ist nicht mehr der Gesetzgeber, sondern mittlerweile der Einzelhandel mit seiner enormen Marktmacht. Da haben wir auch keine gleichen Waffen. Es gibt zwar Erzeugergemeinschaften, aber die dürfen eine gewisse Größe nicht überschreiten, weil sonst das Bundeskartellamt einschreitet.

Dann muss der Bauernverband seine Muskeln spielen lassen.

Es ist eine Illusion zu glauben, wenn der Bauernverband etwas fordert, dann kommt das. Es gibt andere Interessengruppen, die auch in der Politik mitspielen. Da muss man auch ein bisschen realistisch auf das Wählerpotenzial schauen, das die Landwirtschaft hat.

Hand aufs Herz: Klingt das jetzt nicht alles viel zu negativ?

Das stimmt. In Brüssel hat man schon erkannt, dass man die Landwirtschaft nicht nach dem Terminkalender organisieren kann. Ich kann nicht sagen: Düngung nur bis zum 15. September. Ich weiß nicht, wie sich das Wetter entwickelt. Man muss den Landwirten wieder mehr vertrauen und die landwirtschaftliche Expertise Eingang in das Regelwerk finden. Natürlich gibt es weiterhin Vorbehalte, zum Beispiel beim Bund Naturschutz, wenn es um Pflanzenschutz, Düngung oder Wildtiermanagement geht. Ich will nicht sagen, dass das alles Unsinn ist, aber manchmal ein bisschen realitätsfern.

Vielen gilt der Bund Naturschutz als wichtiges Korrektiv.

Eigentlich sehe ich uns als natürliche Verbündete. Bei vielen Dingen gehen sie mit uns mit, vor allem bei einer angemessenen Bezahlung. Aber als Realist sage ich: Ich kann nicht einfach immer noch mehr Geld verlangen. Uns würde es schon genügen, wenn man uns ein bisschen von diesen Vorgaben befreien und mehr Eigenverantwortung zutrauen würde.

Die Forderung nach mehr Biodiversität…

Wenn ich das will, muss ich manche Flächen anders bewirtschaften. Da kann ich dann kein Geld mehr verdienen. Da muss man auch die Möglichkeit schaffen, dass ich für fünf Prozent meiner Fläche für Naturschutz Geld verdienen kann. Das sieht man an dieser freiwilligen Flächenstilllegung. Wenn man Geld dafür bekommt, dann macht man es ja auch. 

Die Bauernproteste – wie sie auch in Erding stattfanden – haben polarisiert .
Die Bauernproteste – wie sie auch in Erding stattfanden – haben polarisiert. © ham

Und wenn die Hilfen nicht kommen?

Dann wackelt unsere landwirtschaftliche Struktur, denn dann werden wir in 20 Jahren in Deutschland nicht mehr 600 000 Landwirtschaftsbetriebe haben, sondern nur noch 300 000. Die sind dann dementsprechend größer, was nicht gern gesehen wird, weil wir in Deutschland den Familienbetrieb haben wollen. Das widerspricht sich halt alles.

Von welchen Betriebsgrößen reden wir?

Im Landkreis liegt die Durchschnittsgröße im Haupterwerb bei knapp 40 Hektar. Das ist noch nicht wirklich groß, und selbst da wird schon gejammert über zu viel Mais draußen oder sonst irgendwas.

Dann ist die Zukunft der 200-Hektar-Bauer?

Die haben wir jetzt auch schon. Es gibt ja auch die, die sagen, ich will besser und größer werden. Wobei sie an Grenzen stoßen, weil die Pachtpreise hochgehen durch andere Nutzungen wie die Freiflächen-Photovoltaikanlage. (Blickt auf ein Foto der Erdinger Innenstadt) Weil ich gerade das Rathaus dieser wunderbaren Stadt sehe: Wie viele PV-Anlagen sind da drauf, wie viel Photovoltaik sieht man da?  

Keine?

Ich kann nicht verstehen, warum das so ist. Der Stadtrat und der Denkmalschutz wollen das nicht. Ganz ehrlich, ich kann vielleicht ein Kerngebiet herausnehmen, aber wir müssen auch die Dachflächen in den Städten belegen und selbst dafür was tun und nicht unbedingt draußen die Ackerflächen aus der landwirtschaftlichen Nutzung nehmen.

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