Ausstellung „Gesichtslos“ in Kempten dokumentiert den Alltag von Frauen in der Prostitution
Im Foyer des Theater Kempten ist eine Ausstellung zu sehen, die schockiert und betroffen macht. In kühlen eindringlichen Schwarz-Weiß-Bildern hat der Fotograf Hyp Yerlinkaya den Alltag von Frauen in der Prostitution dokumentiert.
Kempten – „Gesichtslos“ heißt die Fotosammlung, weil alle Portraitierten eine neutrale Maske tragen – ein Kunstgriff, der die Frauen vor voyeuristischen Blicken schützt, ihre Identität verbirgt und ihre Würde wahrt. Vor Romantisierung und Verharmlosung der Prostitution sind wohl alle gefeit, die die 40 Bilder betrachtet und die Texte – es sind Zitate der Frauen – gelesen haben.
Die Kemptener Initiative „unbezahlbar“ engagiert sich bereits seit zehn Jahren gegen Ausbeutung, Menschenhandel – sprich Frauenhandel – und Prostitution. Die Mitglieder klären auf, besuchen die Frauen vor Ort, bieten Kontakte, Wertschätzung und Begleitung.
Ausstellung „Gesichtslos“ in Kempten thematisiert Prostitution: Frauen leben in Armut
In der Einführung räumte Katharina Simon, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt und Koordinatorin des Runden Tischs gegen geschlechtsspezifische Gewalt, mit den gängigen Mythen bzw. Lügen über Prostitution auf: Selbstbestimmte Arbeit? Eine Arbeit wie jede andere? Gut bezahlt und freiwillig? Ein notwendiges Ventil für die armen Männer, sonst gäbe es viel mehr Vergewaltigungen? Alles Schutzbehauptungen, längst wissenschaftlich widerlegt.
Tatsächlich lebt die Mehrzahl der Prostituierten in Armut, Angst und Abhängigkeit. Sie werden von Sexkäufern erniedrigt, von Anwerbern getäuscht und Zuhältern ausgebeutet. Posttraumatische Belastungsstörungen, wie bei Folteropfern, sind oft die Folgen.
Deutschland ist zum Bordell Europas geworden
Christina Kösl ist eine der Ehrenamtlichen, die den „Blick in die Abgründe der Menschheit“ wagt und bei der Ausstellungseröffnung von ihren Begegnungen mit Frauen in der Prostitution berichtete. Von Freiwilligkeit könne meist nicht die Rede sein, die Regel sei Armuts- und Elendsprostitution. Viele seien von Gewalt vorgeprägt. Sie befinden sich in tückischer emotionaler Abhängigkeit durch die „Loverboy-Methode“, kommen überwiegend aus osteuropäischen Ländern, haben spärliche Sprachkenntnisse und kaum Kontakte nach außen.
Derzeit gibt es in Kempten sieben Bordelle, wo die Frauen gegen eine Tagesmiete von ca. 150 Euro legal und einigermaßen geschützt die „Ware Liebe“ anbieten können. Die Zahl der Prostituierten im Dunkelfeld, die in der billigsten und gefährlichsten Form des Straßenstrichs arbeiten, gilt als sehr hoch. Auch Airbnb werde zur illegalen Prostitution genutzt. In den letzten drei Jahrzehnten, seit der Liberalisierung von Prostitution, sei Deutschland zum Bordell Europas geworden, so Kösl. Ein System, mit dem pro Jahr ca. 21 Millionen Euro umgesetzt werden.
Forderung der Aktivistinnen
Eine Forderung der Aktivistinnen von „unbezahlbar“: Das z. B. in Schweden praktizierte „nordische Modell“ sollte auch für Deutschland gelten. Es gibt inzwischen ein Bündnis, das sich politisch dafür einsetzt und dem Vernehmen nach parteiübergreifend auf offene Ohren stößt. Frauen in der Prostitution sollen komplett straffrei gestellt werden, deren Kunden sind in die Verantwortung zu nehmen. Beratungsstellen müssen bereitgestellt und bekannt gemacht werden, damit Ausstiegswillige dem Teufelskreis entkommen und eine andere Lebensperspektive entwickeln können.
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Dass „Lystistrata“, laut der künstlerischen Direktorin Silvia Armbruster „das erste pazifistische feministische Theaterstück“, zeitgleich mit der Fotoausstellung im Foyer auf dem Spielplan steht, trifft sich gut. Tragik und Komik prallen aufeinander.
Die Ausstellung ist noch bis 25. Mai zu TiK-Vorstellungszeiten im Foyer des Stadttheaters zu sehen.
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