Namensgebung für Grundschule in Kempten: AfD-Antrag erntet heftigen Widerspruch und Antisemitismusvorwurf

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Noch nicht einmal ganz fertig, aber auf einmal ungewollt im Fokus von Diskussionen: Soll die (zehnte) Grundschule am Aybühlweg nach Sigmund Ullmann oder Emmi Hauser-Fischl benannt werden oder ist es besser abzuwarten, bis die Schulgemeinschaft eine demokratische Entscheidung trifft? AfD-Stadtrat Walter Freudling bringt jetzt antisemitische und rassistische Töne in die Debatte. © Fischer

Nach dem Antrag des Kemptener AfD-Stadtrats Walter Freudling zur Namensgebung für die Zehnte Grundschule werden Rassismusvorwürfe laut. Dem Antrag lag ein anonymes Schreiben bei.

Kempten – Die Geschichte des aktuellen Antrags des AfD-Stadtrats Walter Freudling verfügt über einen Modellcharakter, deswegen stellt der ­Kreisbote den bisherigen Ablauf möglichst genau vor.

Kempten – Am 1. April stellte Walter Freudling einen Antrag an Oberbürgermeister Thomas Kiechle. Er schlägt vor, die Zehnte Grundschule nach einem Gründer des Deutschen Alpenvereins zu benennen und verweist auf das benachbarte Alpinzentrum. Er fordert zur „größtmöglichen Neutralität“ bei der Namensgebung auf und warnt davor, dass sonst für „Vandalismus, Graffiti oder Brände“ bei dem Holzbau ein „gewisses Restrisiko“ entstehen könnte. Eine der angehängten Anlagen ist ein Zeitungsbericht über Schmierereien, die offensichtlich mit dem Konflikt zwischen Erdogan und der PKK in der Türkei in Zusammenhang stehen.

Namensgebung für Kemptener Grundschule: Ein anonymes Schreiben im Anhang zum Antrag von AfD-Stadtrat Walter Freundling

Freudling weist auf die zweite Anlage hin: „ein Schreiben an mich, dessen Inhalt für viel kontroverse Debatten geeignet ist“. Der Autor dieses Word-Dokuments wird nicht genannt, eine Anrede („Verehrte Stadträte“) gibt es erst im letzten Satz, als Einleitung zu einem abschließenden Aufruf. Im Text sind einige Stellen mit Rot markiert, möglicherweise Hinweise auf eine Überarbeitung. Der Text wurde zuletzt von Walter Freudling am 1. April geändert, erfährt man aus den Dokumenteigenschaften.

Der Autor beschreibt, dass der erneut gestellte Antrag von Annette Hauser-Felberbaum, die Schule nach Emmi Hauser-Fischl zu benennen (wir berichteten), bei ihm Kopfschütteln ausgelöst habe und bezeichnet die Kulturbeauftragte als „weltabgewandt“ und unterstellt ihr bewusste Provokation. Anschließend schildert er die jetzige dramatische Situation im Gaza-Streifen und weist auf den internationalen Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu hin.

Seiner Meinung nach stoße man „unsere moslemischen Mitbürger“ vor den Kopf, wenn man „durch symbolische Gesten seine tiefe Verbundenheit mit der jüdischen Kultur zum Ausdruck“ bringe. Der Autor verweist darauf, dass es problematisch werden könnte, ein muslimisches Mädchen dazu zu „zwingen“, eine „Emmi Hauser-Fischl“ Grundschule zu besuchen und fordert die Stadträte auf, diesen Kindern das „Recht auf eine möglichst unbeschwerte Kindheit“ zu gewähren.

„Nie wieder was, bitte schön?“, fragt er in Bezug auf den „Slogan“ der deutschen Erinnerungskultur und interpretiert die Umbenennungen von öffentlichen Plätzen als Zementierung politischer Standpunkte. Als Beispiel nennt er die Namensänderung von Hindenburg auf Willy Brandt. Ein pejorativer Unterton bricht nicht nur an dieser Stelle an die Oberfläche. Ein in derartigen Schriften zum Ritual gewordener Seitenhieb auf Robert Habeck darf auch hier nicht fehlen.

Um „einer Politisierung“ seines Antrages „entgegenzuwirken“, habe er den Antrag der Presse nicht zugeschickt, schreibt Freudling in seiner E-Mail an den Oberbürgermeister, an die Stadträte und die Referenten.

Die Debatte erreicht die Öffentlichkeit

Die erste Reaktion kam von Julius Bernhardt (FfK). „Von Ihnen und Ihrer Partei ist man ja nun einiges gewohnt“, schreibt er und weist darauf hin, dass die AfD die „Täter-Opfer-Umkehr“ gut beherrsche und sich selbst gerne in der Opferrolle sehe. Dann wird er eindeutig: „Einer 103-jährigen Überlebenden der Shoa, die übrigens US-Bürgerin ist und mit dem Staate Israel nichts zu tun hat, eine indirekte Mitschuld an den Ereignissen im Nahen Osten anzudichten, ist eine bodenlose Unverschämtheit und grenzt an Antisemitismus. Das auch noch als Anstoß für einen Antrag zu nehmen, ist umso verachtenswerter. Schämen Sie sich!“

Öffentlich gemacht hat den Vorgang Andreas Kibler (FW), der sein Antwortschreiben auch an die Presse weiterleitete. Er wirft Freudling vor, mit der Verbreitung des anonymen Schreibens „alle Grenzen überschritten“ zu haben, „die ein verantwortungsvoller Umgang als Stadtrat voraussetzt“. Einen Zusammenhang zwischen Hauser-Fischl und dem Handeln des heutigen Staates Israel herzustellen, eine „vollkommen unbeteiligte Person“ aufgrund ihrer Herkunft oder Religionszugehörigkeit „in Sippenhaft zu nehmen“, grenze an Volksverhetzung und besitze eine „perfide Logik“.

Kibler fügt hinzu: „Dass die Leidtragende dieses verqueren Denkens in Ihrem Fall eine 103-jährige, aus der Stadt Kempten durch die NS-Herrschaft vertriebene, heutige US-Amerikanerin ist, finde ich niederträchtig.“ Die „Schwelle des Antisemitismus“ sei auch deshalb überschritten, weil der Autor nach dieser „irren Logik“ Menschen für die Taten der politischen Führungsfiguren ihrer Herkunftsländer ebenfalls angreifen müsste, was weder bei Putin noch Erdogan der Fall ist, es werde also auf Kosten von jüdischen Personen „mit zweierlei Maß“ gemessen.

Kibler stellt auch klar, dass am Anfang des aktuellen Konflikts im Nahen Osten der hinterhältige Überfall am 7. Oktober 2023 stand und somit das größte Pogrom an jüdischen Zivilisten seit 80 Jahren, was in dem Schreiben unerwähnt geblieben ist. Der „Mitteleinsatz“ im Verteidigungskampf des Staaten Israel dürfe natürlich kritisiert werden. Seine E-Mail schließt er mit der Aufforderung: „Ziehen Sie das unsägliche Schreiben zurück und entschuldigen Sie sich für die Verbreitung dieser volksverhetzenden, antisemitischen Auslassungen.“

Freudling: „Ich halte mich aus der Diskussion heraus“

In seiner Antwort auf Kiblers E-Mail nennt Freudling den Verfasser des Textes. „Möge er dazu Stellung nehmen. Wie gesagt. Ich halte mich aus dieser Diskussion heraus.“

Oberbürgermeister und Alpenvereinssektion nehmen Stellung

Oberbürgermeister Kiechle verfasste auf die Anfrage des Kreisboten folgende Stellungnahme: „Das anonyme Schreiben ohne Absender oder formale Kennzeichnung ist unüblich und erschwert sachliche Diskussionen. Eine transparente Kommunikation ist in einer demokratischen Auseinandersetzung unverzichtbar. Die Vermischung der Schulnamens-Debatte mit geopolitischen Konflikten oder einem anderweitigen Rundumgriff führt vom eigentlichen Sachverhalt weg und ist nicht akzeptabel.“

Die DAV-Sektion Allgäu-Kempten distanziert sich in einer Presseerklärung von Freudlings Antrag, dieser wende sich in erster Linie „gegen den bereits über Fraktionsgrenzen hinweg akzeptierten Vorschlag, die Grundschule nach Emmi Hauser-Fischl zu benennen“. „Auch wenn wir direkte Nachbarn der Grundschule sind, leitet sich für uns daraus keinerlei Anspruch ab, dass die Schule nach einem Alpenvereins-Gründervater benannt werden müsste“, fasst Sektionsvorsitzender Klaus-Peter Wildburger die Haltung des Vorstands zusammen. „Wir überlassen die Namensfindung vielmehr den zuständigen, demokratisch gewählten Gremien.“

Kommentar von Lajos Fischer:

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