Frauenpower in der Kläranlage: Peitingerin räumt mit Geschlechterklischees auf

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Kennt sich in der Peitinger Kläranlage bereits bestens aus: Lina Wiedemann absolviert seit 2022 eine Ausbildung zur Fachkraft für Abwassertechnik. © Hans-Helmut Herold

Was macht man eigentlich als Mitarbeiter in einem Klärwerk? Davon hatte auch Lina Wiedemann keine Ahnung – bis sie ein Schulpraktikum in der Peitinger Anlage machte. Heute ist sie die erste Frau, die bei der Gemeinde eine Ausbildung zur Fachkraft für Abwassertechnik absolviert.

Peiting – Eigentlich hatte Lina Wiedemann eine ganz andere Vorstellung von dem, was sie später einmal werden wollte. Als die heute 18-Jährige 2022 ihren Schulabschluss an der Mittelschule in Peiting macht, steht der Berufswunsch Friseurin ganz oben auf ihrer Liste. Mit der Peitinger Kläranlage hat Wiedemann bis dato eher weniger am Hut. „Ich wusste gar nicht, dass es die gibt“, erzählt die Peitingerin und lacht.

Das ändert sich erst durch ein Schulpraktikum. Wiedemann bekommt Einblick in die Arbeit der Mitarbeiter in der Kläranlage. Vor allem die Aufgaben im Labor machen der Peitingerin Spaß. „Chemie und Bio haben mich schon immer interessiert.“ Als sie den Entschluss fasst, sich für eine Ausbildung zur Fachkraft für Abwassertechnik zu bewerben, rennt die Peitingerin bei der Gemeinde offene Türen ein. Die hatte bis dahin wiederholt vergeblich versucht, die Stelle zu besetzen und mangels Bewerbern die Suche nach einem geeigneten Kandidaten damals zwischenzeitlich sogar ad acta gelegt, wie Geschäftsleiter Stefan Kort erklärt.

Es ist ein Phänomen, mit dem der Markt auch an anderer Stelle zunehmend kämpft. Ausbildungsplätze im öffentlichen Dienst und speziell im handwerklichen Bereich zu besetzen, werde immer schwieriger, sagt Kort. Die Gründe dafür seien vielfältig. Das Angebot an möglichen Berufswegen sei groß und damit auch die Konkurrenz, der Fachkräftemangel zwinge zudem alle Branchen, nach Möglichkeit selbst auszubilden.

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„Früher gab es zum Beispiel im Verwaltungsbereich so viele gute, geeignete Bewerbungen, dass man ein kleines Auswahlverfahren durchführen musste, um einen Bewerber für die Ausbildung auszuwählen. Heute ist man nahezu bereits froh, wenn sich überhaupt jemand auf eine Ausbildungsstelle bewirbt, besonders im handwerklichen Bereich. Die Zeugnisse beziehungsweise Noten sind da fast schon zweitrangig“, schildert Kort die schwierige Lage.

Und wenn man endlich jemanden gefunden hat, kann es so laufen wie in diesem Jahr. Da sagte der angehende Straßenwärter-Lehrling kurz vor Beginn der Ausbildung ab, weil er sich doch für einen anderen Berufsweg entschieden hatte.

„Praktika sind sehr wichtig“

Erschwert wird die Suche nach Nachwuchskräften für die Gemeinde laut dem Geschäftsleiter auch dadurch, dass sich viele Jugendliche unter der Arbeit im Bauhof oder in der Kläranlage nichts Konkretes vorstellen können. Das seien oft keine Berufsbilder, die einem einfallen, wenn man an eine Ausbildung denke. „Deshalb sind Praktika sehr wichtig, um einen Einblick zu bekommen.“

Lina Wiedemann ist da das beste Beispiel. Mittlerweile hat die angehende Fachkraft für Abwassertechnik die ersten beiden Lehrjahre hinter sich, im kommenden Jahr wird sie ihre Abschlussprüfung machen. Wasserproben nehmen und überprüfen, die technischen Anlagen im Auge behalten und warten, damit alles reibungslos läuft: Für die 18-Jährige gibt es täglich viel zu tun. „Das Aufgabengebiet ist sehr breit gefächert.“ Auch das sei ein Grund, warum ihr die Arbeit nach wie vor viel Spaß mache, sagt Wiedemann.

Ausbilden gegen den Fachkräftemangel?

Aktuell beschäftigt der Markt Peiting drei Auszubildende in unterschiedlichen Bereichen. Künftig mehr eigenes Personal auszubilden, könnte in Zeiten des Fachkräftemangels eine Lösung sein, weiß man auch in der Verwaltung. Das Problem: Wer ausbildet, braucht Ausbilder, die die entsprechende Zeit dafür aufwenden können. Die Aufgabe sei nicht nebenbei zu stemmen, sagt Geschäftsleiter Stefan Kort. Eine Ausbildung sei zudem kein Garant dafür, dass damit offene Stellen langfristig besetzt werden können. Jugendliche würden heute den Ausbildungsbetrieb teils schnell wieder verlassen, etwa, wenn woanders höhere Verdienstmöglichkeiten lockten. So könne es sein, dass man viel Herzblut in die Ausbildung eines Mitarbeiters stecke, am Ende aber dennoch mit leeren Händen dastehe, so Kort. „Deshalb nicht mehr auszubilden, ist aber auch kein Weg.“

Mit ihren vier Kollegen kommt die 18-Jährige gut zurecht – auch wenn man sich im 1970 erbauten Klärwerk erst einmal auf die erste Auszubildende einstellen musste. So fehlte es etwa an einer Toilette für Frauen. Dass der Beruf noch immer sehr männerdominiert ist, zeigt sich auch an der eineinhalb Stunden entfernten Berufsschule in Lauingen, wo der Blockunterricht für ihre Ausbildungsrichtung stattfindet. Unter den 30 Mitschülern ist die Peitingerin eine von drei Frauen.

Wiedemann ficht das nicht an. Sie mag ihren Job und die Verantwortung, die er mit sich bringt. Die Chancen, dass sie am Ende ihre Ausbildung übernommen wird, stehen gut. Bleiben wolle sie auf alle Fälle, vielleicht in Zukunft auch ihren Meister machen, blickt die 18-Jährige voraus. Eine Meisterin in der Peitinger Kläranlage – auch das wäre ein Novum.

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