„Özdemir muss seinen Job machen“: Agrarexperten rügen verpasste Kehrtwende für Bauern

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Die Bauern protestieren gegen Kürzungen beim Agrardiesel. Doch liegen die Probleme nicht viel tiefer? Experten und Politiker fordern einen massiven Wandel.

Berlin – Dass die Ampel-Regierung den Rotstift ausgerechnet beim Agrardiesel ansetzen will, treibt die Bauern derzeit auf die Barrikaden. Zu Recht, sagen die einen: die Streichung von Subventionen treffe die Landwirte unverhältnismäßig hart. Andere halten die Proteste der Bauern für übertrieben: wegen der Streichung von Dieselsubventionen gehe kein Betrieb zugrunde, so ihr Argument.

Für Agrarwissenschaftler Alois Heißenhuber, Professor der Technischen Universität München im Ruhestand, sind die geplanten Subventionskürzungen der Ampel-Regierung der „berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“. Die Landwirte würden im Prinzip schon seit Jahrzehnten auf eine „vernünftige Lösung“ ihrer Probleme warten, so der Agrarökonom gegenüber Merkur.de von IPPEN.MEDIA.

Das „Tragische“ daran ist seiner Meinung nach: Konzepte und Lösungen lägen schon seit langem in der Schublade. Nur: Die Politik setze sie nicht um. „Und man muss befürchten, dass dieser Regierung, die ja ziemlich zerstritten zu sein scheint, das auch nicht mehr gelingt.“

Wo bleiben Reformen in der Landwirtschaft? Landwirtschaftsminister Cem Özdemir ist angesichts der Bauernproteste zum Handeln aufgerufen. © Imago/Laszlo Pinter/dpa (Montage)

Lösungen für erboste Bauern längst in Schublade? „Nie umgesetzt“

Heißenhuber bezieht sich dabei auf ein über 150 Seiten starkes Papier mit dem Titel „Zukunft Landwirtschaft“. 40 gesellschaftliche Gruppen aus den Bereichen Landwirtschaft, Wirtschaft, Umwelt-, Natur-, Tier- und Verbraucherschutz haben darin Empfehlungen für die Schaffung einer nachhaltigen Landwirtschaft vorgelegt.

In dem Bericht heißt es beispielsweise, Landwirte müssten künftig unternehmerisches Interesse daran haben, schädliche Effekte zu vermeiden. Dies müsse die Politik anhand von Gesetzen und finanzieller Förderung ermöglichen. Die Kosten für den Wandel müssten von der Gesellschaft insgesamt und nicht nur von den Landwirten getragen werden. Lebensmittelpreise müssen die Produktionskosten wieder besser abbilden, für Einkommensschwächere müsse es einen Ausgleich geben.

Ideen für die Landwirtschaft wären da – doch der Politik kam viel dazwischen

Die verschiedenen Gruppen verabschiedeten diese Vorschläge an die Politik im August 2021, und zwar einstimmig. Landwirte, Tier- und Naturschützer – alle waren dafür. „Da sind sehr gute Ansätze drin“, so Heißenhuber. „Was mich bedrückt ist aber, dass sie nie umgesetzt wurden.“

Den Politikern sei einiges dazwischen gekommen, das wichtiger schien als die Bauern-Probleme: Erst der Bundestagswahlkampf, dann die neue Regierung, dann der Ukraine-Krieg und schließlich weitere weltweite Krisen.

Ein konkreter Punkt, der sich ändern müsse, ist laut Heißenhuber, dass die Fläche eines landwirtschaftlichen Betriebs nicht mehr das Kriterium sein dürfe, mach denen die Direktzahlungen der EU verteilt werden – was auch eine Empfehlung der Zukunftskommission war.

Subventionen pro Hektar – das kritisiert auch Greenpeace. Die Umweltorganisation fordert in einer Pressemitteilung eine radikale Abkehr vom jetzigen System in der Agrarpolitik: „Cem Özdemir muss endlich seinen Job machen, Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft fördern und umweltschädliche Subventionen entschlossen abbauen.“

Greenpeace fordert Wende bei der Mehrwertsteuer auf landwirtschaftliche Produkte

Die Organisation verweist auf eine selbst in Auftrag gegebene Studie, laut der jährlich sechs Milliarden Euro an umweltschädlichen Subventionen in die Landwirtschaft fließen. Um das zu ändern fordert Greenpeace: Der Staat solle die Mehrwertsteuer für „klimaschädliche Fleisch- und Milchprodukte“ nicht weiter subventionieren, dafür den Mehrwertsteuersatz für pflanzliche Produkte auf null setzen und diejenigen Bauern unterstützen, die „in mehr Tierwohl oder Alternativen zu Fleisch investieren“.

Agrarexperte Heißenhuber hält das Thema der Besteuerung von Lebensmitteln zwar ebenfalls für ein „Aufregerthema“, den Vorschlag von Greenpeace aber für nicht umsetzbar. Doch eine Neuausrichtung der Agrarpolitik – faire Lieferketten, mehr Tierwohl, gesamtgesellschaftliches Tragen der Kosten, so wie von der Zukunftskommission vorgeschlagen, – hält auch er für unumgänglich.

„Problem in aktueller Regierung zu sehen, ist zu kurz gedacht“

„Das Problem nur in der aktuellen Regierung zu sehen, ist zu kurz gedacht“, betont der Agrarökonom der TU München aber auch. „In den vergangenen 40 Jahren war das Landwirtschaftsministerium schließlich großteils in Händen von CDU- und CSU-Leuten.“

Und auch zu CDU-Regierungszeiten gab es schon große Protestaktionen der Landwirte. Heißenhuber erinnert an die Bauernproteste im Jahr 2019, während der Regierung von Angela Merkel. Zehntausende Landwirte stellten damals grüne Kreuze auf, um gegen das Agrarpaket von CDU-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner zu protestieren. Klöckner wollte Direktzahlungen an Landwirte umschichten, was Ängste bei den Bauern weckte, dass es ihnen finanziell an den Kragen geht.

Agrardiesel-Streit „,kleiner Stein des Anstoßes“ – doch Wut der Bauern sei nachvollziehbar

Angesichts der Herausforderungen, vor denen die Landwirtschaft insgesamt stehe, seien die jetzt so heiß diskutierten Agrardiesel-Streichungen nur „ein kleiner Stein des Anstoßes“, so Heißenhuber. Trotzdem versteht er, dass sich die Wut der Landwirte aktuell daran entlädt. „Genauso wie zum Beispiel die zu komplizierte Düngeverordnung ist es ein weiterer Nadelstich.“ Durch andere umstrittene Pläne der Ampel-Koalition – Heizungsgesetz, CO₂-Preis-Erhöhung, steigende Energiepreise – habe sich insgesamt viel Ärger auf die Politik angestaut.

Grundlegende Veränderungen in der Subventionspolitik fordern angesichts der Bauernproteste mittlerweile auch Bundestagsabgeordnete von Grünen und FDP. Die Landwirtschaft sei seit Jahrzehnten in der Krise, sagte die frühere Landwirtschaftsministerin Renate Künast (Grüne) den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Es müsse sich „etwas grundlegend verändern.“ Nötig sei ein „Transformationspfad und keine vollendeten Tatsachen ohne Alternativen“. Künast fordert, „die Subvention stufenweise abzubauen und das Gespräch mit der Branche zu suchen“.

FDP kritisiert „billigen Kuhhandel“ der Politik mit den Bauern

Die stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Carina Konrad sagte, sie halte den Frust über die Agrarpolitik der vergangenen Jahre für „absolut nachvollziehbar“. Es sei „ein billiger Kuhhandel“ praktiziert worden: „Zusätzliche Auflagen für Landwirte wurden gegen mehr finanzielle Unterstützung getauscht“, sagte Konrad.

Es sei nun an der Zeit, mit diesen Praktiken aufzuräumen. „Unsere Landwirtschaftspolitik muss sich wieder konsequent an sachlichen Notwendigkeiten und langfristigen Zielen orientieren, um einen echten, positiven Wandel herbeizuführen“, sagte die FDP-Politikerin.

Union lehnt Debatte um Subventionen in Landwirtschaft ab

Die Unionsfraktion im Bundestag lehnt eine Debatte um Reformen bei den Finanzhilfen für die Landwirtschaft hingegen ab. Die Subventionen seien zeitgemäß, weil es sich um Ausgleichszahlungen für öffentliche Güter wie Versorgungssicherung und Landschaftspflege handele, sagte der Vize-Fraktionsvorsitzende Steffen Bilger den Funke-Zeitungen. „Sie entsprechen der besonderen Rolle der Landwirtschaft, die eine verlässliche Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen, gesunden und bezahlbaren Lebensmitteln aus unseren heimischen Regionen sicherstellt.“ (smu)

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