Wo die wilden Tiere wohnen: Wildschweine und Rotwild im Ebersberger Forst beobachten
Der Ebersberger Forst bietet mehr als Ruhe und Frischluft. Wer die richtigen Stellen kennt, findet sich zu mancher Zeit Aug in Aug mit Wildschwein und Co. - von der sicheren Schaukanzel aus.
Landkreis – Verlassen und vergessen liegen die beiden Kaffeebecher auf der Picknickdecke, die Monika und Emil Halas auf den Sitzstufen der Schaukanzel ausgebreitet haben. Das Paar aus Aschheim lehnt an der Holzbrüstung und schaut dem graubraunen, quiekenden Gewusel aus Schnauzen, Borsten und Pürzeln zu, das sich gut 150 Meter entfernt auf dem Waldweg tummelt. „Die da beobachtet uns genau!“, sagt Monika Halas über eine Bache, die am Rande der gut 30-köpfigen Rotte immer wieder den Kopf in Richtung der Wildschaukanzel tief im Ebersberger Forst hebt. Es ist ein gegenseitiges Beäugen zwischen den Wildschweinen und ihren menschlichen Besuchern.
Das Ehepaar aus Aschheim (Kreis München) ist glücklich. Während über der Wildruhezone im Ebersberger Forst die Dämmerung hereinbricht, sind die Wildschweine voll auf den ausgestreuten Futtermais angesprungen. Die Bachen, die Frischlinge und sogar einige alte männliche Leittiere, die sonst eher ihre Ruhe schätzen. „Wenn’s ums Futter geht, dann kommt der Keiler auch dorthin, wo es ihm sonst zu laut ist“, sagt Heinz Utschig und schmunzelt unter seinem grünkrempigen Filzhut hervor. Utschig, 64, ist der Chef der Bayerischen Staatsforsten in Wasserburg, und damit so etwas wie der Hausherr im Ebersberger Forst.

An diesem Tag in der Schaukanzel, keine halbe Stunde Fußmarsch vom nächsten ausgewiesenen Parkplatz am Forsthaus St. Hubertus entfernt, erweisen sich die Halas als wissbegierige Zufallsbekanntschaft. Was mit verstorbenen Schweinen, Aas, passiert, wollen sie wissen (wird bei Auffinden entsorgt) – und ob das Wildschweinfleisch 37 Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl immer noch erhöhte Radioaktivität enthält (es kommt darauf an, ob die Tiere zu viele Eicheln, Bucheckern oder Hirschtrüffel fressen, jedes erlegte Tier wird getestet). Dann sagt Monika Halas: „Das ist so ein schöner Wald. Die gute Luft!“ Und ihr Mann Emil ergänzt: „Und es ist Ruhe!“
Das Rentnerpaar, beide 74, kommt seit Jahren aus dem städtisch geprägten Aschheim in den Forst. Frischluft und Natur tanken. Waldbaden, nennen es manche auf Neudeutsch. „Man muss sich erholen“, nennt es Monika Halas.

Die beiden Beobachtungskanzeln in der Wildruhezone sind Attraktion und Geheimtipp zugleich. Das Wild wird dort nicht bejagt, aber gefüttert. Das merken sich die Tiere und tummeln sich. Manche Besucher kommen wie das Ehepaar Halas mit der Picknickdecke. Andere mit naturfilmischem Anspruch und Kamerastativ, gern bei Vollmond. Forsten-Chef Utschig erzählt, wie er mal während der Hirschbrunft mitten in der Nacht ein gutes Dutzend begeisterte Ohrenzeugen angetroffen hat. Das Publikum ist erwünscht, dafür sind die Beobachtungskanzeln und die Schaufütterung da. Am meisten ist um die Dämmerungszeit los, bei Sonnenuntergang oder in der Früh. „Der frühe Vogel erwischt immer was“, sagt Utschig. Die Halas erzählen von einem Wildhasen und von einer Schlange, die sie mal im Gras gesichtet haben.

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Mit dem Licht weicht gemächlich die Farbe aus der Lichtung vor der Schaukanzel. Die hingewürfelten Fichten und Lärchen, die dem Wild ein Gefühl von Deckung vermitteln sollen, wirken nun eher grau als grün. Über den Bäumen zieht krächzend ein Krähenschwarm vorüber, quer über den fahlblauen Himmel malt ein Flieger einen weißen Kondensstreifen. Mit gedämpfter Stimme erklärt Heinz Utschig Familie Halas, wie man am besten einer anstürmenden Wildsau ausweicht („Sie müssen es genau richtig machen: zur Seite springen, aber nicht zu früh und nicht zu spät“).
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Die Tiere haben aber, solange es sich nicht um Bachen mit Frischlingen handelt, üblicherweise viel mehr Angst vor den Menschen als umgekehrt. Das zeigt sich an der Aufregung, die die Rotte packt, wenn jemand aus der Schaukanzel hinaus auf den Weg tritt und gleich die Hälfte der Tiere zwischen die Bäume davonstiebt.

Eigentlich warten aber alle auf den Höhepunkt des Abends. Mit einbrechender Dunkelheit betritt das Rotwild die Lichtung, wenn es sich ungestört fühlt. An diesem Abend hat das Wild mehr Geduld als die Halas, die Kaffeebecher und Picknickdecke einpacken, weil sie heimfahren.
Wenig später wird Heinz Utschig mit dem Nachtsichtgerät die Hirsche, Kälber und Schmaltiere filmen, die sich über die Futtermischung aus Heu, Apfeltrester, Karotte und Maissilage hermachen, die sie über den Winter bringen soll. Die Forstleute bringen es aus einem nahen Stadel auf die Wiese, die mit einem Zaun den Wildschweinen das Eindringen wenn schon nicht verunmöglicht, so doch wenigstens verleidet. „Die sind verträglich miteinander“, sagt Utschig, während sich die frühe Februarnacht über seinen Forst senkt.
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