„Nie trainiert“: Fehler in der Kindheit macht Menschen zu unselbstständigen Erwachsenen

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„Bewältigungsstrategie“: Ein Psychologe, der sich auf Kindheitsaufarbeitung spezialisiert hat, verrät, womit Eltern ihre Kinder das „ganze Leben prägen“.

Liegt es an der Kindheit, wenn man als Erwachsener nicht Nein sagen kann? Oder prokrastiniert? Oder zu perfektionistisch ist? „Ja“, sagt der klinische Psychologe Ramón Schlemmbach. Er ist seit 2017 auf Social Media als „Coach“ unterwegs, bringt Menschen online bei, wie sie sich „vom Kindheitsschmerz lösen“. Über 290.000 Menschen folgen dem zweifachen Vater aus Schwerin auf TikTok.

Nach seinem Masterabschluss in klinischer Psychologie war er anfangs als Paartherapeut tätig, habe aber gemerkt, dass Menschen bei denselben Themen völlig unterschiedlich reagierten – je nachdem, wie sie erzogen wurden. „Das hat mich wahnsinnig gemacht“, sagt er BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA. Die Erkenntnis führte dazu, dass er sich heute auf Kindheitsaufarbeitung – und damit auch Erziehung spezialisiert hat.

Kleiner Junge weint
Nur indem Eltern Kinder eigene Fehler machen lassen, lernen sie Selbstwirksamkeit, sagt ein Psychologe. (Symbolbild) © IMAGO/YAY Images

Psychologe verrät, wie Eltern ihre Kinder ein „ganzes Leben prägen“

„Alles, was Eltern mit ihren Kindern machen, wird für die Kinder zu ihrer Normalität“, sagt Schlemmbach im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland. Wenn Eltern ihrem Kind vermitteln, dass es liebenswert sei, dann werde sich das Kind auch als erwachsene Person liebenswert fühlen. „Wenn das Kind aber ständig hört: ‚Du kannst nichts richtig machen‘ oder ‚deinetwegen streiten Mama und Papa‘, dann wird das seine Realität – und prägt sein ganzes Leben.“

Wenn Eltern ihrem Kind alles abnehmen würden, beispielsweise. „Ein Kind braucht die Möglichkeit, die eigenen Fähigkeiten zu testen und auch mal Fehler zu machen. Nur so lernt es Selbstwirksamkeit und entwickelt es die Überzeugung: ‚Ich kann das.‘“ Eltern, die aus Liebe sagen würden: „Ach Schatzi, ich mache das für dich“ oder „Lass mal, du bist noch zu klein‘“ würden ihre Kinder zu unselbständigen Erwachsenen erziehen.

Auch Prokrastination, also das bewusste Aufschieben von Tätigkeiten, könne auf die Kindheit zurückgeführt werden. „Wenn Eltern ihrem Kind nie klare Deadlines für Hausaufgaben oder Zimmer aufräumen setzen, dann wird der ‚Disziplin-Muskel‘ nie trainiert. Und das führt dazu, dass es als Erwachsener schwerfällt, Dinge anzupacken“, sagt der Psychologe. Manchmal steck hinter Prokrastination aber auch die „Angst zu scheitern oder sogar Angst davor, dass es klappt“, was ein Hinweis darauf sein könne, dass sie aus der Kindheit den Glaubenssatz „Ich bin nicht gut genug“ mitgenommen hätten.

„Kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine Bewältigungsstrategie“ aus der Kindheit

Ein geringes Selbstwertgefühl äußere sich später auch in starkem „Perfektionismus“. Der sei „kein Persönlichkeitsmerkmal, sondern eine Bewältigungsstrategie“, erklärt Schlemmbach. „Menschen geben 150 Prozent, weil sie Angst haben, nicht gut genug zu sein. Es ist ein Schutzmechanismus, um Anerkennung zu bekommen.“ Damit einher gehe das sogenannte „Overthinking“. Hier versuche die Psyche durch „ständiges Nachdenken alle Eventualitäten abzusichern, um Fehler zu vermeiden“. Dahinter stecke „ein tiefer liegendes Problem, nämlich die Überzeugung ‚Ich bin nicht okay, so wie ich bin.‘“

„Elternsein ist eine große Verantwortung“, sagt der Social-Media-Coach. „Aber ich möchte keine Angst verbreiten. Keiner von uns kann alles richtig machen. Ich weiß, dass ich, obwohl ich Psychologe bin und mich mit Kindheitsprägungen beschäftige, irgendwann mal ein 22- oder 25-jähriges Kind haben werde, das zu mir sagt: ‚Papa, das und das war nicht in Ordnung.‘“

Deswegen sei er da auch „entspannt“, meint er im Gespräch mit BuzzFeed News Deutschland. Er versuche seine Kinder, basierend auf psychologischen Daten und Annahmen zu erziehen und zu prägen (beispielsweise mit einem besonderen Einschlafritual). Aber: „Letztlich wird dann abgerechnet, wenn meine Kinder erwachsen sind. Erst dann sehen wir, wie es ihnen wirklich geht.“

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