Schmerz, Hoffnung und ein kleines Wunder: „Ich bin wieder ein freier Mensch“

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Vor seiner Behandlung unvorstellbar: Seit der Karlsfelder vor zehn Jahren an Parkinson erkrankte, kämpfte er mit den kleinen Dingen des Lebens. In diesem Jahr hat er sich selbst ein wundervolles Geschenk gemacht: Er kann seinen Alltag wieder selbstständig meistern. © hab

Karl Walter hat Parkinson. Doch der 80-Jährige gibt nicht auf. Er geht das Risiko ein, nimmt an einer neu entwickelten Therapie teil und erlebt ein Wunder.

Karlsfeld – Karl Walter hat in diesem Jahr ein Wunder erlebt. Der 80-Jährige kann zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder Plätzchen backen, ohne Schmerzen beim Teig kneten zu haben. Er kann zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder die Kerzen auf seinem Adventskranz entzünden, ohne Angst zu haben, dass die Zweige Feuer fangen. Er kann zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder das Weihnachtsessen genießen, ohne auf die festlich gedeckte Tafel zu kleckern. „Ich kann meinen Alltag wieder leben“, sagt er überglücklich.

Selbstbewusst und überglücklich zündet Karl Walter die Kerzen auf seinem Adventskranz mit einem Streichholz an.
Selbstbewusst und überglücklich zündet Karl Walter die Kerzen auf seinem Adventskranz mit einem Streichholz an. © vm

Diagnose Parkinson: Karl Walter kämpft mit den kleinen Dingen des Alltags

Das war lange Zeit undenkbar. Denn Karl Walters rechte Hand zitterte ständig. Unentwegt. Und so stark, dass zum Teil sein ganzer Körper bebte, als würde ihn eine unsichtbare Hand durchrütteln. Der Karlsfelder hat Parkinson. Das Zittern, in der Fachsprache Tremor genannt, ist eine typische Begleiterscheinung.

Doch seit diesem Jahr erlebt der Rentner etwas, wovon er viele Jahre nur träumen konnte. Er ist aus dem Käfig, in den ihn seine Krankheit sperrte, ausgebrochen. „Ich bin wieder ein freier Mensch“, sagt er.

Zehn Jahre lang kämpfte Karl Walter, der Rechtshänder ist, mit den kleinen Dingen des Alltags, die für die meisten selbstverständlich sind. Schuhe schnüren, Krawatte binden, Hemden zuknöpfen. Fünf Jahre nach seiner Diagnose stellte sich bei Karl Walter eine Therapieresistenz ein. „Der Tremor verschlechterte sich dramatisch“, erinnert sich Karl Walter. „Ein normales Leben zu führen, wurde für mich immer schwieriger.“

Lichtblick für Parkinson-Patienten

Doch Karl Walter ist ein Kämpfer. 2018 gründete er die Selbsthilfegruppe Parkinson-Treff-Karlsfeld-Dachau, hält seitdem viele Vorträge, vernetzt sich, bildet sich fort. Er beschäftigte sich intensiv mit möglichen Behandlungsmethoden, um das Tremor-Zittern abzuschwächen.

Dabei stieß er auf etwas, das ihm Hoffnung machte: die MRgFUS-Therapie. Dabei handelt es sich um eine neue Technologie, die einen Eingriff ohne Operation am Gehirn ermöglicht (siehe Kasten). Trotz gewisser Risiken beschließt Karl Walter, die in Deutschland noch wenig etablierte Behandlung vornehmen zu lassen.

MRgFUS-Therapie: Hoffnung für ältere Menschen mit Parkinson-Tremor

Magnetresonanz(MR)-gesteuerter hoch fokussierter Ultraschall-Subthalamotomie (MRgFUS) ist ein neu entwickeltes Verfahren, um Parkinson-Tremor zu behandeln.

Es gilt als effektiv und risikoarm und ist nach einer Sitzung abgeschlossen. Gebündelte Ultraschallwellen werden unter MRT-Kontrolle auf einen Zielpunkt in der Tiefe des Gehirns fokussiert. Die Schallenergie wird dort in thermische Energie umgewandelt und schaltet beschädigte Gehirnzellen aus, die das Zittern verursachen.

Das Verfahren ist bislang nur für die Behandlung einer Tremor-Seite zugelassen. In Europa ist die Behandlung zugelassen. Laut der Deutschen Hirnstiftung handelt es sich um eine „experimentelle Therapie“. In Deutschland gibt es bislang zwei Kliniken, die dein Eingriff durchführen: Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel und das Universitätsklinikum Bonn. Die Behandlung kann auch bei älteren Patienten angewendet werden. vm

Bevor Karl Walter ein Wunder erlebt, muss er 30 schmerzvolle Sekunden aushalten

An den Moment im März, der sein Leben komplett veränderte, kann sich Karl Walter auch ein dreiviertel Jahr später noch minutiös erinnern.

Sein neues Leben beginnt für ihn im blauen OP-Kittel und mit glatt rasiertem Schädel. Er liegt in einem MRT in der Universitätsklinik in Kiel. Auf dem Kopf trägt er eine Strahlenkrone. Ultraschallwellen schießen in sein Gehirn. Immer wieder schieben ihn die Ärzte aus der Röhre. Er muss Rechen- und Denkaufgaben lösen, Motorikübungen machen. Dann kommt er wieder ins MRT. Sechs Mal geht das so. Zwei Stunden lang.

Vor der letzten Lektion warnen ihn die Ärzte. „Sie sagten, dass der letzte Eingriff mit Schmerzen verbunden sei. Und dass sie dann ihr Bestmögliches getan hätten“, erzählt Karl Walter.

Als er ein letztes Mal in das MRT geschoben wird, schlägt sein Herz bis zum Hals. Er hört ein schrilles Piepen, spürt einen heißen, drückenden Schmerz. „Ich dachte, mein Schädel zerreißt.“ Doch er hat keine Angst, keine Sorgen, erzählt er. „Ich habe zu mir gesagt, du hältst das jetzt durch!“ 30 qualvolle Sekunden, die seine ganze Hoffnung auf ein besseres Leben sind.

Hoffnung auf ein besseres Leben mit Parkinson

Als ihn die Neurologen aus dem MRT schieben, merkt er sofort, dass etwas anders ist: die Stille in seinem Körper. Seine rechte Hand, die seit zehn Jahren unaufhörlich zitterte, liegt auf einmal ruhig neben seinem Körper. „Ich hätte weinen können“, erzählt er heute mit brüchiger Stimme. „Als der Schmerz nachgelassen hat, hätte ich abheben können. Ich hatte das Gefühl, ich bin ein neuer Mensch.“

Das fühlt sich an, wie in einen Sonnenaufgang zu gehen.

Wenn Karl Walter von seinem neuen Leben spricht, wirkt er ganz aufgeregt. „Das fühlt sich an, wie in einen Sonnenaufgang zu gehen.“ Dass er immer noch krank ist und seine Hand in manchen Momenten noch immer flattert, scheint ihm nichts auszumachen. Er weiß: Parkinson ist unheilbar, Gleichgewichtsprobleme und Bewegungsstörungen bleiben.

Hoffnung und Glück: Mit 80 Jahren beginnt für ihn ein neues Leben

Doch er weiß auch: Er kann nun wieder seinen Alltag selbstständig meistern. Briefe schreiben, kochen – und sein Leben wieder zum Leuchten bringen, so wie an Heiligabend alle Kerzen auf seinem Adventskranz. „Mein Leben hat jetzt eine andere Qualität“, sagt er. „Es gibt Phasen, da denke ich, mir fehlt gar nichts.“

In der einen Hand hält Karl Walter eine Kanne, in der anderen eine Porzellantasse. „Das sind die Feinheiten, die das Leben ausmachen“, sagt er und grinst. Dann gießt er grünen Tee in die Tasse. In einem geraden Strahl. Ohne zu wackeln. Ohne zu kleckern.

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