Wirtschaftliche Vernunft statt Aufrüstung - UN-Experte erklärt, wie Europa Putin wirklich abschrecken kann

Tatsächlich sind Russland und Belarus geographisch Teil Europas. Es ist daher anzunehmen, dass Russland nicht unbedingt das Baltikum oder Polen ins Visier nehmen wird, solange die EU sich nicht in innenpolitische Konflikte weiterer Länder im russischen Kulturkreis wie Belarus, Serbien, Georgien und Moldawien einmischt. Insbesondere Polen, das sein gesamtes Öl aus Russland bezieht, scheint vorerst sicher zu sein. Letztendlich hängt die Realität jedoch von vielen Faktoren ab und kann sich schnell ändern.

Wie kann ein starkes Europa Russland davon überzeugen, dass sich ein Angriff nicht lohnt?

Ein wirtschaftlich starkes Europa kann Russland davon überzeugen, dass sich ein Angriff nicht lohnt, indem es das erfolgreiche Modell der EU - mit dem Euro, Schengen und Niederlassungsfreiheit - auf Russland und die Staaten im russischen Einflussbereich ausdehnt.  Dort warten 180 Millionen Menschen darauf, an Frieden und Wohlstand in Europa teilzunehmen. Die derzeit schwächelnde europäische Wirtschaft könnte von den Märkten und Fachkräften, den Rohstoffen und Touristen dieser Region profitieren. Ein erster Schritt könnte die Beendigung der Sanktionen gegen Belarus und Russland sein. Dies würde von einer politischen Konfrontation zu einem wirtschaftlichen Anreiz führen: Russen und Ukrainer würden es vorziehen, ihre Zeit in einem Hofbräuhaus oder im Oberpollinger zu verbringen, anstatt in einem sinnlosen Krieg ihr Leben zu riskieren.

Wie hat der Ukrainekrieg die militärischen Kapazitäten Russlands beeinflusst und wie könnte dies ihre zukünftigen Aktionen beeinflussen?

Der vom Westen unterstützte Ukrainekrieg hat in Russland fast zu einer Verdopplung der Verteidigungsausgaben geführt. Russland wird seine militärischen Kapazitäten immer der empfundenen Bedrohungslage anpassen. Während der NATO-Osterweiterung ab dem Jahre 2000 erhöhten sie sich. Selbst nach den Angriffen der ukrainischen Armee auf den abtrünnigen Donbass senkte Russland dagegen 2014 sein Verteidigungsbudget. Es wurde erst 2022 und 2023 wieder erhöht.

Da Russland mit einer Staatsverschuldung von nur 13 Prozent des BIP der am niedrigsten verschuldete europäische Staat ist und die militärischen Kapazitäten fast vollständig in Rubel bezahlt werden können. kann eine wirtschaftliche und militärischen Konfrontation mit Russland den Ukrainekrieg nur negativ negativ beeinflussen. 2014 nämlich hat die Ukraine nur die Krim verloren. 2025 etwa 20 Prozent ihres Staatsgebietes.

Welche Maßnahmen sollten von der NATO ergriffen werden, um sich auf mögliche russische Aggressionen vorzubereiten?

Die Frage nach den Maßnahmen, die die NATO ergreifen sollte, um sich auf mögliche russische Aggressionen vorzubereiten, erfordert eine sorgfältige Betrachtung der Fakten. Die weit verbreitete Annahme, dass erhöhte Rüstungsausgaben und eine Ausweitung der NATO zu mehr Sicherheit führen, wird durch OECD-Daten in Frage gestellt.

Vor dem Kriegsbeginn hat die OECD 2021 den Anteil der Militärforschung an den gesamten staatlichen Forschungsausgaben berechnet. Die Ergebnisse zeigten, dass die Sicherheit für alle zehn Länder mit den höchsten Ausgaben für Militärforschung - darunter Israel, Ukraine und Russland, aber auch Taiwan und Nordkorea - seit 2021 abgenommen hat.

Nach dem erfolglosen Krieg in der Ukraine sollte die NATO daher eher auf Abrüstung und diplomatische Maßnahmen setzen. Institutionen wie der NATO-Russland-Rat und die OSZE könnten hierbei eine wichtige Rolle spielen.

Eine über 2000 Kilometer lange Sperrmauer von Finnland bis nach Bulgarien wäre nicht nur politisch problematisch, sondern könnte auch erhebliche wirtschaftliche Schäden für die EU verursachen. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass die Waffenindustrie weitgehend unproduktiv ist, da sie vollständig aus Steuermitteln finanziert wird und häufig zusätzliche Schulden verursacht.

Daher sollte die NATO bestrebt sein, ihre Aufgaben mit geringeren Kosten zu erfüllen. Dies könnte durch eine stärkere Konzentration auf Diplomatie und Abrüstung erreicht werden. Frieden führt nämlich zur Senkung der Opportunitätskosten, die in allen beteiligten Staaten die Haushalte sprengen, in denen die Budgets für Start-Ups, Bildung, Gesundheit und Infrastruktur fehlen.