Der Fall der obdachlosen Petra M. beschäftigte viele Menschen. Sie ist kein Einzelfall: Die Obdachlosenbeauftragte erklärte im Stadtrat, wie groß das Problem ist.
Wolfratshausen – Die Fremde tauchte plötzlich auf, und auf einmal sprach jeder über das, was Ines Lobenstein seit Jahren predigt. Lobenstein ist Obdachlosenbeauftragte in Wolfratshausen. Für die Caritas kümmert sie sich um viele Fälle. Einer erreichte kollektive Aufmerksamkeit – Die psychisch kranke Petra Müller (Name geändert) lebte monatelang auf der Straße in der Loisachstadt. „Der Fall ist mir nahe gegangen“, sagt Lobenstein. Nicht, weil er sich so unterschieden hätte von ihren täglichen Aufgaben. Sondern „die Aufmerksamkeit für das Thema und meine Arbeit war neu“, erklärte die Caritas-Obdachlosenbeauftragte im Ausschuss für Soziales des Stadtrats. Dort legte Lobenstein einen Bericht vor, der zeigte, dass Petra Müller nur eine von vielen Fällen ist. „Das, was wir alle mit dieser Frau erlebt haben, erlebe ich täglich mit vielen anderen.“
Als Lobenstein ihre Aufgabe übernahm, hatte sie vor allem mit alleinstehenden Männern zu tun. „Das Spektrum hat sich total gewandelt.“ Von einem Leben auf der Straße seien viel mehr Menschen bedroht: „Es geht auch um Senioren, alleinstehende Frauen, Familien.“ Seit Jahren mahnt Lobenstein: Es werde mehr Wohnungslose geben. Die Zahlen in den Obdachlosenunterkünften in Wolfratshausen bestätigen das: 41 Männer und Frauen wohnten im vergangenen Jahr zumindest eine Zeit lang in einer der Einrichtungen.
132 Haushalte nutzten 2023 das Beratungsangebot der Caritas. Manche kamen direkt aus Justizvollzugsanstalten und mussten untergebracht werden. Andere Klienten waren Familien, die ihre Mietwohnung wegen einer Eigenbedarfskündigung verlassen mussten. Lobenstein: „Die kann ich nicht zusammen in eine Obdachlosenunterkunft stecken.“
Problem könnte sich noch zuspitzen: Kriege in Europa bringen Großfamilien nach Wolfratshausen
Ein Ende der Wohnungsnot sei nicht in Sicht. Lobenstein vermutet, dass sie sich eher zuspitzt. Unter anderem wegen Großfamilien, die etwa aus der Ukraine in die Region gekommen sind. „Wir brauchen es nicht zu beschönigen: Es gibt Zuzug von Familien mit sechs oder sieben Kindern, die noch als Fehlbeleger in den Unterkünften sind“ – also eigentlich eine Wohnung auf dem freien Mietmarkt suchen sollten. „Was wir mit diesen Familien machen sollen, weiß ich nicht. Da fällt mir nicht viel ein.“ Vielleicht könnte es „irgendwie“ gelingen, für eine solche Großfamilie eine Bleibe zu finden, „aber danach steht direkt die nächste da“, so Lobenstein im Fachausschuss.
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In der Hochpreisregion im Süden Münchens sei es kaum möglich, der Wohnungsnot etwas entgegen zu setzen. „Es ist wahnsinnig schwierig. Sozialer Wohnungsbau wäre eine Hilfe, ja. Aber wir sind an einem Punkt, wo wir nicht mehr hinterherkommen“, sagte die Obdachlosenbeauftragte. Es scheitere an den Finanzen: „Der Baugrund ist so teuer, man kann fast nicht günstig bauen. Ich sehe die Zwangslage für Eigentümer ja auch.“
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Obdachlos in Wolfratshausen: „Wer über geringes Einkommen verfügt, hat fast keine Chance“
In ihrem schriftlichen Bericht fasste sie die Lage so zusammen: „Im Landkreis stehen wohnungslose Menschen vor beinahe unüberwindlichen Hürden. Auf dem Wohnungsmarkt herrscht ein Mangel an verfügbarem und bezahlbarem Wohnraum, es gibt viel zu wenige Sozialwohnungen, dazu kommt, dass immer mehr Wohnungen aus der Sozialbindung fallen.“ Wer über ein geringes Einkommen verfüge, habe fast keine Chance.
Dr. Patrick Lechner (FDP) fand es „erschreckend, dass so eine Situation in einem wohlhabenden Land wie Deutschland möglich ist“. Dr. Manfred Fleischer (Wolfratshauser Liste) lobte das Engagement der Obdachlosenbeauftragten. Lobenstein kümmere sich um ein Problem, dass sich auf absehbare Zeit allerdings nicht lösen lasse.
In der Flößerstadt gebe es relativ viele Notfallplätze, bilanzierte Lobenstein. Allerdings mache ihr der Zustand der Unterkunft am Steghiaslweg Sorgen, sie sei baufällig, „es sind dort ziemlich viele Leute drin“. Die Situation sei vergleichbar mit der in anderen Unterkünften: „Manche Personen sind für zwei Monate drin und finden dann etwas neues. Andere leben da seit Jahren, weil sie auf dem freien Wohnungsmarkt keine Chance mehr haben.“