„Jeder Kirchenaustritt macht mich traurig“
Zum Glauben gehört für ihn untrennbar die Gemeinschaft mit anderen Menschen. Jetzt wird sich der Grafinger Stadtpfarrer Anicet Mutonkole-Muyombi nach fast einem Jahrzehnt seiner Seelsorgertätigkeit in der Stadt anderen Aufgaben zuwenden.
Herr Pfarrer, Sie sind jetzt fast ein Jahrzehnt lang Seelsorger der Grafinger katholischen Kirchengemeinde und werden bald auf eigenen Wunsch neue Aufgaben übernehmen. Was überwiegt dabei? Der Abschied oder die Vorfreude auf einen Neuanfang?
Im Moment überwiegt der Abschied. Ich war gerne Pfarrer der katholischen Pfarrgemeinde hier in Grafing. Fast alle Menschen, denen ich seit meiner Ankündigung meines Weggangs begegne, sagen mir, dass sie betroffen sind. Das bedeutet, dass ich segensreich für Gott und die Menschen hier wirken konnte und dem Auftrag Jesu gerecht geworden bin, das Evangelium zu leben und zu verkünden. Es war eine schöne Zeit, die ich hier verbringen konnte. Ich wurde sehr gut aufgenommen und habe mit den Ehrenamtlichen gut zusammengearbeitet. Freundliche Begegnungen und ein kurzes, nettes Gespräch mit den Mitmenschen haben mich immer sehr gefreut. Wie überall gab es auch Missverständnisse. Aber ich war immer bemüht, Kompromisse zu finden. Andererseits finde ich, dass ein Neuanfang von vornherein nicht schlecht ist. Er bleibt ungewiss, aber ich freue mich darauf, andere Erfahrungen zu machen.
Was wird Ihnen von Grafing am stärksten in Erinnerung bleiben?
Von Grafing bleiben mir sehr viele schöne Ereignisse in Erinnerung. Sie sind unzählig. An einige davon werde ich immer denken wie z. B. das Ende der Renovierungsarbeiten in der Pfarrkirche mit der feierlichen Einweihung des neuen Ambos. Als ich nach Grafing kam, waren alle Heiligenfiguren und Gemälde beim Restaurator, die dann nach und nach wieder an ihren Platz in der Kirche kamen. Nicht nur für mich, sondern auch für die ganze Pfarrei war dieses Fest ein sehr großer Moment. Auch an mein 25. Priesterjubiläum, das wir vor ca. zwei Jahren gefeiert haben, denke ich immer wieder gerne zurück. Eine tolle Geste konnte ich vor dem letzten Weihnachtsfest erleben. Ich hatte einen ökumenischen Weihnachtsgottesdienst mit einer Kollegin, Pfarrerin Dr. Anna Ammon. Nach dem Gottesdienst sind viele Jugendliche in die Sakristei gekommen, um sich von mir zu verabschieden. Sie sagten, dass sie von mir sehr begeistert waren. Am Ende baten sie mich sogar um ein Autogramm.
Sie wollen sich vor Eintritt in eine neue Aufgabe eine Auszeit nehmen. Belasten einen die Sorgen seiner Kirchenmitglieder manchmal?
Jeder, der in einer Leitungsposition steht, spürt den Druck der Verantwortung, auch ein Priester, der für die Gemeinde verantwortlich ist. Wie überall sind besonders an die Kirche die Ansprüche hoch, sei es ein abwechslungsreiches Gemeindeleben mit vielen Angeboten oder auch nur die wöchentliche Predigt. Da wird es schwierig, allen gerecht zu werden. Und natürlich nimmt man die Sorgen der Kirchenmitglieder ernst und möchte auch in schwierigen Situationen den richtigen Rat geben oder helfen.
Sie sind gebürtiger Kongolese. Welche kulturellen Unterschiede haben Sie zwischen dem Kongo und Deutschland festgestellt, besonders in Bezug auf den Glauben?
Die Kirche im Kongo ist noch jung. Die Gottesdienste werden nicht nur in den vier Nationalsprachen und französisch gefeiert, sondern in mehr als 200 Sprachen und sind voller Musik und Bewegung und nicht starr. Außerdem ist jede Pfarrei in viele Basisgemeinden unterteilt. Diese treffen sich wöchentlich. Bei diesen Treffen werden unterschiedliche Themen wie christliches Leben, Vertiefung des Glaubens, Engagement in der Politik etc. besprochen. Natürlich sind die Gottesdienste am Sonntag sehr wichtig, aber das wöchentliche Treffen in den Basisgemeinden ist wie Nahrung, wie die Seele.
Welche Botschaft des Glaubens wollen Sie aufgrund Ihrer Erfahrungen den Menschen in Deutschland besonders nahebringen?
Es stimmt, dass die sonntäglichen Eucharistiefeiern Quelle und Höhe des christlichen Lebens sind. Aber wie viele Menschen prozentual feiern die sonntäglichen Gottesdienste mit? Deshalb kann ich nur sagen, dass die Familien die Orte sind, in denen der Glaube gelernt und gelebt sein soll. Die Kinder sollen schon in den Familien lernen, wie man miteinander umgeht, wie unsere Grundwerte sind und was wir als christliche Feste haben. Denn die Familie bleibt und ist eine „Hauskirche“, „kleine Kirche“ oder „Kirche im Kleinen“.
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Braucht ein Priester manchmal selbst einen Seelsorger?
Ein Priester braucht auch einen Seelsorger, jemanden, mit dem er über seine Belastungen, Herausforderungen, Sorgen, Nöte, Zweifel etc. reden kann. Besser noch braucht er einen geistlichen Begleiter, eine Person, mit der er sich regelmäßig trifft, der er sich total öffnet. Dieser geistliche Begleiter ist wie ein Lebensbegleiter.
Leidet man als katholischer Priester in Deutschland bisweilen darunter, dass sich Gläubige von der Kirche abwenden, etwa durch Kirchenaustritt?
Jeder Kirchenaustritt macht mich traurig und betroffen. Die Motive sind unterschiedlich, ja vielfältig. Leider unterscheiden viele Leute nicht mehr die Institution Kirche vom Gemeindeleben vor Ort. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir mehr Wiedereintritte oder Wiederaufnahmen gehabt hätten.
In jedem Beruf gibt es Routine und Dinge, die man besonders gerne oder auch weniger gerne tut. Was ist für Sie in Ihrem Beruf in Grafing ein besonders schöner Moment gewesen und was ein besonders trauriger? Gibt es so etwas für einen Priester überhaupt?
Für mich als Priester ist die Feier der Eucharistie, die hl. Messe, überhaupt ein besonderer Moment. Diese Begegnung mit dem Herrn Jesus Christus erfüllt mich immer mit Freude und gibt mir Kraft, meinen Glaubensweg zu gehen. Gerne habe ich die Kinder zur Erstkommunion begleitet, weil die Kinder so offen sind für Jesus und die Kirche. Auch die Taufen oder Trauungen bereiten mir viel Freude. Ich hätte auch gerne mehr Hausbesuche und persönliche Begegnungen gehabt. Da ich die letzten Jahre ganz allein als Seelsorger für den ganzen Pfarrverband Grafing-Straußdorf zuständig war, war die Zeit dafür leider zu knapp. Traurige Momente sind auch für mich Beerdigungen. Ein besonders trauriger Moment war der Lockdown, als die Kirchen im März 2020 geschlossen und somit die Gottesdienste zu Ostern abgesagt wurden. Demzufolge war natürlich dann besonders schön, als wir endlich wieder zusammen die Eucharistie feiern durften.
Gibt es zum Abschied noch einen Rat für die Grafinger Kirchengemeinde?
Mein Rat an die Gemeindemitglieder wäre das Festhalten an ihrem Glauben in dieser schwierigen Zeit des Umbruchs. Und natürlich möchte ich der Gemeinde noch den guten Rat mitgeben, meinen Nachfolger offen und herzlich aufzunehmen und „gut zu pflegen“, denn er wird sehr viel zu tun haben.