Experte zu Fall Rebecca: Ermittlungsmethoden lassen brisante Schlüsse zu

  • Im Video oben: Neue Durchsuchung im Fall Rebecca

Seit Februar 2019 fehlt von Rebecca Reusch jede Spur. Die damals 15-Jährige verschwand am Morgen des 18. Februar im Berliner Stadtteil Britz im Bezirk Neukölln. Laut Familie und Polizei hatte sie bei ihrer Schwester übernachtet.

Deren Mann - also Rebeccas Schwager Florian R. - geriet schnell ins Visier der Ermittler. Er wurde zweimal festgenommen, kam jedoch wieder frei. Der 33-Jährige bestritt, etwas mit Rebeccas Verschwinden zu tun zu haben. Das war lange der Status quo. 

Jetzt scheint Bewegung in den Fall zu kommen. Die Berliner Polizei begann am Montag, in Brandenburg nach Beweisen zu suchen. Offenbar gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Florian R. die Schülerin tatsächlich getötet haben könnte.

Professor für Kriminalistik: "Kriminalistisches Denken folgt einer Struktur"

Rebeccas Leiche sowie persönliche Gegenstände könnte er zumindest vorübergehend auf das Grundstück seiner Großeltern in Tauche im Landkreis Oder-Spree gebracht haben. So die Annahme von Polizei und Staatsanwaltschaft. 

Ziel des Einsatzes war es demnach, Gegenstände, mögliche Tatspuren und andere Beweismittel zu finden und zu sichern. Inzwischen durchsuchten die Ermittler ein weiteres Objekt, das sich etwa fünf Autominuten von Tauche und dem Großeltern-Wohnort befindet. Es ist ein alter Bauernhof, auf dem Garagen und ein unbewohntes Gebäude stehen.

Christian Matzdorf, Professor für Kriminalistik mit Schwerpunkt Kriminaltechnik an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR), sieht in den ergriffenen Maßnahmen einen bemerkenswerten Vorgang. "Kriminalistisches Denken und Vorgehen unterliegt einer bestimmten Struktur", sagt er zu FOCUS online. 

"Thesen werden gebildet und geprüft. Die Ermittler sammeln Belege, die ihre Annahmen stützen oder stürzen könnten." Im Fall Rebecca Reusch gilt Florian R. als tatverdächtig. Am Tag, als die 15-Jährige verschwand, soll er in den Morgenstunden von einer Betriebsfeier nach Hause gekommen sein. 

Rebecca Reusch ist seit Februar 2018 verschwunden.
Rebecca Reusch ist seit Februar 2018 verschwunden. RTL / Polizei Berlin

Seine Frau - also Rebeccas Schwester - verließ das gemeinsame Haus offenbar früh, um zur Arbeit zu gehen. Da soll die 15-Jährige noch auf dem Sofa geschlafen haben. In der Schule kam sie jedoch nie an.

Bodenradar, Videotechnik und Spürhunde kamen zum Einsatz

"Ich gehe davon aus, dass entweder neue Umstände dazugekommen sind oder die bisher bekannten Umstände neu bewertet wurden, um Ermittlungsmaßnahmen auf Privatgelände zu rechtfertigen", so Matzdorf. Denn die Hürden dafür sind hoch. 

Eine Hausdurchsuchung darf laut Paragrafen 102 ff. der Strafprozessordnung (StPO) nur angeordnet werden, wenn ein konkreter Verdacht auf eine Straftat besteht und zu erwarten ist, dass in den betroffenen Räumlichkeiten Beweismittel oder der Verdächtige gefunden werden. Wichtig: Es müssen tatsächlich Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen, ein bloßer Anfangsverdacht reicht nicht aus.

"Im Fall Rebecca scheinen die Voraussetzungen erfüllt gewesen zu sein", so Matzdorf. Er begleitet die Ereignisse um das Verschwinden der Schülerin seit dem ersten Tag und war in seinem vorherigen Berufsleben mehr als 30 Jahre lang als Ermittler tätig. Ein Jahrzehnt arbeitete er im Kriminaldauerdienst. 

Matzdorf ist überzeugt, dass die jetzigen Maßnahmen im Zusammenhang mit Erkenntnissen über Florian R. stehen. "Immerhin hat er eine Verbindung zur am Montag durchsuchten Örtlichkeit."

Matzdorf: "Gesamtes Spektrum an Vorgehensweisen"

Interessant sind auch die Geräte, mit denen die Polizei das Gelände durchforstete. Beim Großeinsatz am Montag waren unter anderem ein Bagger sowie Drohnen, Videotechnik und ein Bodenradar im Einsatz. Außerdem durchkämmten Spürhunde das Anwesen von Florian R.s Großeltern. Ähnliche Methoden nutzten die Ermittler am Dienstag.

"Das bildet im Grunde das gesamte Spektrum an Vorgehensweisen ab, einen potenziellen Tatort zu begutachten", sagt Matzdorf, der auch Vorstandsmitglied und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Kriminalistik (DGfK) ist. "Bagger sollen das Gelände umgraben und Dinge ans Licht bringen, die unter der Erde liegen. Videos dienen in der Regel der Dokumentation des Einsatzes."

Das sogenannte Bodenradar hebt der Experte besonders hervor. Mit einem solchen Gerät lässt sich der jeweilige Untergrund zerstörungsfrei untersuchen. Dazu werden hochfrequente elektromagnetische Wellen ausgesendet. In der Baubranche wird ein Bodenradar beispielsweise verwendet, um Hindernisse im Gelände zu lokalisieren.

Wozu die Polizei ein Bodenradar einsetzt

Die Polizei setzt das Gerät unter anderem ein, um vergrabene Beweismittel oder Leichen zu finden. "Mit einem Bodenradar lassen sich Nachverdichtungen oder Neubefüllungen feststellen", sagt Matzdorf. "Wenn Sie einen Familienschatz verbuddelt haben, empfangen Sie andere Signale als auf einer unbearbeiteten Fläche. Auch ein eingegrabener Körper würde mit hoher Wahrscheinlichkeit sichtbar werden."

Dass die Ermittler im Fall Rebecca Reusch nicht mehr damit rechnen, sie lebend zu finden, haben sie mehrfach betont. "Wir suchen hier aktuell keine lebende Person", sagte Polizeisprecher Florian Nath zuletzt.

So waren an beiden Tagen Leichenspürhunde im Einsatz. Die Tiere können menschliche Überreste auch dann riechen, wenn sie tief im Erdreich vergraben sind, sagt Matzdorf. Er kann nicht genau beziffern, wie weit ihre Spürnase reicht. "Fest steht aber, dass für solche Hunde schon wenige Partikel ausreichen, um einen Geruch wahrzunehmen." Das gelte auch für den Fall, dass es sich nur noch um Knochen handelt.

Polizei hat neuen Zeugenaufruf veröffentlicht

Bisher gibt es keine Leiche im Fall Rebecca. Inzwischen hat die Polizei allerdings einen neuen Zeugenaufruf veröffentlicht. Im Mittelpunkt steht das Auto der Familie Reusch. „Wer hat den himbeerfarbenen Renault Twingo rund um den 18. Februar 2019 gesehen? Wer hat etwas Verdächtiges im Zusammenhang mit dem Wagen wahrgenommen?“, heißt es darin.

Am Tag, an dem Rebecca verschwand, wurde der Wagen auf der Autobahn Richtung Polen erfasst, offenbar auch in der Nähe von Tauche. Außer dem Schwager soll niemand Zugriff auf den Twingo gehabt haben. Damals war das Auto mehrfach durchsucht worden.

mit Material der dpa