Aberkennung der Staatsbürgerschaft - Pass weg für Kriminelle: CDU legt nach – lässt aber entscheidende Fragen offen
Jetzt also doch: Die CDU will den Umgang mit Straftätern mit doppelter Staatsbürgerschaft zum Wahlkampfthema machen. Die Partei will, dass manchen Verbrechern der deutsche Pass aberkannt werden soll. Das geht aus dem Entwurf eines Vorstandspapiers hervor, das am Wochenende beschlossen werden soll und FOCUS online vorliegt.
Ursprünglich hatte Parteichef und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz die Forderung in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ erhoben. Es folgte Empörung über einen „Tabubruch“ und ein zwischenzeitliches Zurückrudern der CDU. In der Partei wurden die Merz-Aussagen als theoretisches Gedankenspiel abgetan, man wolle derartige Ausbürgerungen nicht ins Wahlprogramm schreiben.
Vier Tage später ist klar: Die Forderung wird aller Voraussicht nach doch zur Parteiposition. In dem Vorstandsentwurf heißt es jetzt: „Wenn Personen schwere Straftaten begehen und wir erkennen, dass wir bei der Einbürgerung einen Fehler gemacht haben, muss bei Doppelstaatlern eine Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit möglich sein.“
Verschärfte Formulierung – aber was ist gemeint?
Das könnte man sogar als Verschärfung im Vergleich zur ursprünglichen Forderung sehen. Im „Welt“-Interview bezog sich Merz nämlich auf Fälle wie die des Attentäters von Magdeburg, allerdings ohne das konkret zu sagen. In der Partei hieß es später, man wolle damit nicht Hunderte in den Blick nehmen, es gehe um eine deutlich kleinere Zahl von Fällen.
Zwar steht nun im CDU-Papier, dass die Regelung insbesondere bei extremistischen und terroristischen Taten gelten soll. Aber die Erwähnung „schwerer Straftaten“ fasst einen wesentlich größeren Rahmen. Welche Fälle neben Terrorismus gemeint sind, lässt das Dokument – möglicherweise bewusst – im Unklaren. Als schwere Straftaten werden häufig zum Beispiel Mord oder organisierte Kriminalität verstanden. Die Zahl der Staatsbürgerschaft-Aberkennungen könnte dann sehr schnell in die Höhe schießen.
Söder-Unterstützung für nicht ganz neue Idee
Dass die CDU nach dem Zurückrudern nun wieder einen Vorstoß unternimmt, hat offenbar mit dem Zuspruch zu tun, denn Merz innerhalb der Union für die Idee bekommen hat. Unter anderem hatte sich CSU-Chef Markus Söder nach einer Klausurtagung in Seeon, bei der Merz als Gast war, unterstützend geäußert.
Überraschend ist das nicht, schließlich hat Söders Innenminister Joachim Herrmann ähnliches schon 2023 gefordert. Auch sonst ist die Idee nicht ganz neu: In der Union weist man genüsslich darauf hin, dass die sich nun entsetzt zeigende SPD ebenfalls schon solche Gedankenspiele hatte.
SPD-Vorschlag weist entscheidende Unterschiede auf
Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Dirk Wiese hatte im November 2023 gefordert, Antisemiten den Pass entziehen zu können. Anders als die CDU jetzt machte er einen konkreten Vorschlag für eine Gesetzesänderung: Den Pass sollte man demnach wegnehmen dürfen, wenn die Staatsbürgerschaft „durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung oder durch vorsätzlich unrichtige oder unvollständige Angaben“ erlangt wurde. Unter eine solche Täuschung wollte Wiese auch „ein falsches Bekenntnis zur freiheitlich demokratischen Grundordnung“ zählen – und damit eben Antisemiten treffen.
Ein weiterer Unterschied der Ideen von SPD und CDU: Die Sozialdemokraten wollten diese Möglichkeit auf zehn Jahre nach der Einbürgerung begrenzen. Im CDU-Vorschlag liest man zu einer zeitlichen Begrenzung nichts. Das bringt der Partei den Vorwurf ein, eingebürgerte Menschen ein Leben lang als Staatsbürger zweiter Klasse zu behandeln.
Feiner Unterschied: CDU fordert „Aberkennung“, Söder eine „Entziehung“
In der Union wird noch viel zu besprechen sein, sollte die Forderung tatsächlich Wahlkampfthema werden und womöglich in einer neuen Regierung in die Umsetzung gehen. Unter anderem geht es um juristische Feinheiten. In der CDU pocht man darauf, dass von einer „Aberkennung“ der Staatsbürgerschaft die Rede ist. Söder hingegen – möglicherweise unbedacht – sprach von einer „Entziehung“.
Eine Entziehung allerdings verbietet das Grundgesetz in Artikel 16 – und zwar ausnahmslos. Denn sie geschieht laut Definition, ohne dass der Betroffene sie beeinflussen kann. Eine Aberkennung hingegen ist möglich, wenn der Betroffene Bedingungen erfüllt, die er beeinflussen kann. Solche Bedingungen lassen sich im Staatsangehörigkeitsrecht beschreiben: zum Beispiel Terrorismus oder eben auch andere schwere Straftaten.
Juristen zweifeln Rechtmäßigkeit der Merz-Forderung
Ob das dann einer möglichen Überprüfung des Verfassungsgerichts standhält und internationalen Abkommen entspricht, würde sich dann zeigen. Das Bundesinnenministerium von SPD-Politikerin Nancy Faeser hält den Vorschlag für rechtlich fragwürdig. „Ein Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit allein aufgrund des Verstoßes gegen Strafvorschriften wäre mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben“ nicht vereinbar, erklärte ein Sprecher in dieser Woche.
Die bisherige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zeigt, dass eine Aberkennung der Staatsbürgerschaft nur möglich ist, wenn der Betroffene sich von der Bundesrepublik abgewendet hat. Ein klassischer Fall wäre zum Beispiel der Eintritt in die Armee eines fremden Staates. Dass ein "normaler" Mord als Abwendung zu interpretieren ist, bezweifeln Juristen. Allgemein ist die rechtswissenschaftliche Diskussion zu dem Thema aber nicht eindeutig. Denn eigentlich ist das Staatsangehörigkeitsrecht aus juristischer Perspektive gar kein Sanktionsinstrument – das wäre stattdessen das Strafrecht.
Papier listet auch Linnemann-Ideen auf
Das Vorgehen der CDU im Fall der Pass-Aberkennung folgt einem Muster, das sich für die Partei offenbar bewährt hat: Ein Spitzenpolitiker erhebt in einem Interview eine Forderung, testet die Reaktionen aus – und schließlich übernimmt die Partei die Position in passender Form.
Im Entwurf des Papiers „Für einen Politikwechsel bei der Inneren Sicherheit“ finden sich weitere Beispiele. Eine neue Gefährderkategorie für psychisch Kranke soll eingeführt werden, es war ursprünglich von Generalsekretär Carsten Linnemann im Deutschlandfunk vorgeschlagen worden. Die Ausweisung von Ausländern nach zwei vorsätzlichen Straftaten: ebenfalls von Linnemann im Deutschlandfunk aufgebracht. Und die Pass-Aberkennung: eben eine Idee von Merz im „Welt“-Interview.
Oppositionspapier statt Anleitung zum Regieren?
Das CDU-Dokument versammelt eine Reihe weiterer Forderungen, die bereits so oder so ähnlich bekannt sind. Die Sicherheitsbehörden sollen mehr Personal bekommen. Wer zum Beispiel die Polizei angreift, soll künftig härter bestraft werden. Außerdem sollen Sicherheits- und Ausländerbehörden ihre Erkenntnisse einfacher teilen können. „Datenschutz darf nicht Täterschutz sein“, heißt es im Papier.
Geht es nach der CDU, soll die elektronische Gesichtserkennung vermehrt eingesetzt werden, „auch zum Videoschutz in Echtzeit an besonders kriminalitätsbelasteten Orten wie Bahnhöfen und Flughäfen.“ Die Nutzung von KI, wie sie zum Beispiel Polizeigewerkschafter Manuel Ostermann immer wieder fordert, soll ebenfalls erlaubt werden.
Kommt es dennoch zu Straftaten, will die CDU die „Regelungen zur Ausreise nachschärfen“ und „die Hürden senken“. Konkreter wird das Papier an dieser und vielen anderen Stellen nicht. Damit liest es sich eher wie ein Zusammenschrieb der Oppositionsarbeit der vergangenen Jahre – nicht unbedingt wie eine genaue Anleitung zum Regieren für Friedrich Merz.