X-Chat mit Elon Musk - Flüchtlinge, Steuern, Meinungsfreiheit: Weidels Aussagen im Faktencheck

Für Experten wie den Politikwissenschaftler Thomas Jäger besteht kein Zweifel: AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel habe die Chance in ihrem X-Chat nicht wahrgenommen, die AfD als Partei für eine „gute Zukunft Deutschlands“ dazustellen. „Sie eierte und schwankte, fand keinen roten Faden. Man hatte den Eindruck, sie war null vorbereitet“, so Jäger.

Doch wie sieht es mit Weidels Behauptungen aus, die sie in dem 73 Minuten dauernden Gespräch mit dem reichsten Menschen der Welt erhob?

FOCUS online unterzog sechs Aussagen einem Faktencheck.

Weidels Uni-Bashing geht nicht auf

Erste Behauptung: Weidel sagte, Deutschland trüge die höchste Steuerlast unter allen 38 Mitgliedsländern der „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“ (OECD).

Fakten: Die Aussage ist falsch. Laut OECD-Studie 2023 lag Belgien mit 52,7 Prozent (Singles) und 37,3 Prozent bei Ehepaaren mit zwei Kindern auf Platz 1. Deutschland liegt dahinter auf Platz 2 mit 47,9 Prozent bei Singles und 33,1 Prozent bei Ehepaaren mit zwei Kindern.

Zweite Behauptung: Weidel behauptet, junge Menschen würden in Deutschland „nichts an Schulen und Universitäten lernen“ - nur „wokes, linkes Gender-Zeug“. Vor ein paar Jahren seien die Werte an den Schulen noch „ganz okay“ gewesen, inzwischen seien sie abgestürzt. Musk reagierte verblüfft und fragte: „Ist das dein Ernst? Ich hatte den Eindruck, dass Deutschland ein rigoroses Schulsystem hat, mit Gymnasium und diesen Sachen.“

Fakten: Was die Pisa-Studien zur Schul-Bildung angeht, hat Weidel von der Tendenz her recht. Die jüngste Studie aus dem Jahr 2022 ergab, dass in Deutschland die Leistungen in Lesen und Mathematik auf einen historischen Tiefstand gefallen sind, und auch bei den Naturwissenschaften sieht es nicht gut aus. Allerdings ist dies ein Trend, der von der Tendenz her auch für den Durchschnitt der 81 Länder gilt, die an der Studie teilnahmen. Insgesamt lag Deutschland 2022 auf Platz 22.

Was die einseitige Pauschalkritik an Universitäten betrifft, bleibt Weidel Belege schuldig. Dass die Lage kaum so schlecht sein kann, wie die AfD-Kanzlerkandidatin sie darstellt, darauf weist aber zum Beispiel die Liste der international beliebtesten Studienländer hin. Im Wintersemester 2023 gab es einen neuen Rekord: Mit 370.000 Personen studierten nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdiensts DAAD so viele ausländische Studenten in unserem Land wie nie zuvor. Auf der internationalen Rangliste liegt die Bundesrepublik auf Platz 3.

AfD-Chefin bleibt Beweise für „Zensur“ schuldig

Dritte Behauptung: „Freie Meinungsäußerung ist die Voraussetzung für Demokratie“, sagte Weidel. Dass 150 „EU-Bürokraten“ ihr Gespräch mit Musk verfolgten, sei nichts anderes als eine „Zensur der freien Rede“, befand die AfD-Kanzlerkandidatin gegenüber Musk.

Fakten: Beweise, dass irgendetwas irgendwo „zensiert“ wurde, bleibt die AfD-Chefin nach ihrer Behauptung schuldig. Nach Informationen des US-Mediums „Politico“ hörten EU-Mitarbeiter bei dem Gespräch zu, um zu prüfen, ob Musk über seine Plattform „X“ Algorithmen beeinflusse, die darüber entscheiden, was an politischen Inhalten den Nutzern ausgespielt werde und ob dabei möglicherweise der politischen Konkurrenz weniger Aufmerksamkeit eingeräumt werde, als der „Digital Services Act“ (DSA) vorsehe. Plattformbetreiber sind in der EU nach dem DSA dazu verpflichtet, Algorithmen offenzulegen.

Vierte Behauptung: Weidel sagte zu Musk: „Weißt du, was die erste Sache war, die Hitler tat? Er schaltete die freie Rede aus, kontrollierte die Medien. Ohne das wäre er nie erfolgreich gewesen.“

Fakten: Es blieb unklar, worauf die AfD-Kanzlerkandidatin diese Aussage bezog. Sie sagte dies jedoch im Kontext in der Diskussion um freie Meinungsäußerung im Deutschland der Gegenwart. Es könnte also eine Anspielung auf angebliche Maßnahmen von Landes- und Bundesregierungen sein. Dafür blieb sie Beweise schuldig.

Gleichwohl regelt das Strafgesetzbuch (StGB) durchaus Einschränkungen bei der Meinungsfreiheit, etwa bei einer Verwendung von verfassungsfeindlichen Symbolen.

So legt zum Beispiel Paragraph 86a fest, dass die Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Symbole oder Parolen aus der Nazi-Zeit mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft wird.

Dies widerfuhr zum Beispiel dem thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke zuletzt im Juni 2024, als er wegen seines NS-Ausspruchs „Alles für Deutschland“ zu einer Geldstrafe von 16.900 Euro verurteilt wurde.

Behauptung, Merkel habe die Grenzen geöffnet, ist falsch

Fünfte Behauptung: Weidel sprach gegenüber Musk davon, dass Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU) 2015 die Grenzen von Deutschland geöffnet und so der illegalen Einwanderung den Weg geebnet habe. Seit 2015 seien so sieben Millionen Menschen nach Deutschland gekommen.

Fakten: Wen genau die AfD-Chefin mit den sieben Millionen Menschen meint, ist unklar, denn sie erläutert diese Zahl nicht. Laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wurden zwischen 2015 und 2024 knapp drei Millionen Asylanträge gestellt.

Die Behauptung der AfD-Chefin, Merkel habe die Grenzen geöffnet, ist falsch. Denn die Binnengrenzen des so genannten Schengenraums wurden für Deutschland und sechs weitere Länder bereits 1995 und danach sukzessive für weitere 18 von insgesamt 27 Mitgliedsstaaten des Schengen-Abkommens abgeschafft. Grenzen, die es nicht mehr gibt, kann man auch nicht öffnen.

Die AfD ist eine in Teilen rechtsextreme Partei

Sechste Behauptung: Weidel beschrieb die AfD Musk gegenüber als eine „libertäre, konservative“ Partei.

Fakten: Die Behauptung ist falsch. Die Partei gilt in Teilen als rechtsextrem, seit die Verfassungsschutzämter von Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt die dortigen AfD-Landesverbände als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft haben. Zudem beobachtet der Verfassungsschutz auf Bundesebene die AfD bereits seit Jahren als „rechtsextremistischen Verdachtsfall“.

Gastbeitrag von Rainer Zitelmann - Weidel nennt Hitler „Sozialist“ und „Kommunist“: Wo die AfD-Chefin recht hat und wo nicht