Tech-Manager träumen von Europas KI-Revolution - „Maschinen, die besser sind als wir“
Europa will bei Künstlicher Intelligenz aufholen – doch die großen Player sitzen in den USA und Asien. Wie viel Eigenständigkeit bleibt der EU im KI-Zeitalter?
Paris/München – Was bedeutet es, Mensch zu sein, wenn Intelligenz nicht länger ein Privileg ist, sondern zur allgegenwärtigen Ressource wird? In einer Welt, in der künstliche Intelligenz nicht mehr Zukunftsversprechen, sondern Realität ist, stellt sich weniger die Frage, was sie leisten kann – sondern vielmehr, wie wir lernen, mit ihr zu leben, sie zu gestalten und zu regulieren.
Diese philosophisch-politische Grundspannung zog sich durch mehrere Diskussionen auf Europas größter Start-up- und Tech-Messe, der VivaTech 2025 in Paris. Ein besonderer Programmpunkt lenkte die Aufmerksamkeit auf das europäische KI-Ökosystem: Der französische Präsident Emmanuel Macron, Nvidia-CEO Jensen Huang und der Gründer des französischen KI-Unternehmens Mistral AI, diskutierten Europas Tauglichkeit im globalen KI-Wettlauf.
KI in Europa: Technologische Souveränität? “Müssen das System kontrollieren”
Vor dem Hintergrund wachsender Investitionen amerikanischer Tech-Konzerne in Europa und zunehmender geopolitischer Spannungen rückte das Panel zentrale Herausforderungen in den Fokus: Wie kann Europa eigene KI-Systeme entwickeln? Wie lässt sich technologische Souveränität erreichen, ohne sich wirtschaftlich abzuschotten?
Arthur Mensch, Mitgründer des KI-Spezialisten Mistral AI, betonte: „Drei Faktoren erfordern, dass Europa seine eigene KI entwickelt: Der erste ist kultureller Natur, denn sie generiert Inhalte und prägt unsere Denkweise. Deshalb müssen wir das System kontrollieren und anpassen. Der zweite ist strategischer Natur. Wir können nicht zulassen, dass ausländische Unternehmen die schlüsselfertige Version eines Systems besitzen, das wir für kritische Infrastrukturen einsetzen. Das gilt für die Verteidigung, für die Energieversorgung und für alle staatlichen Dienste.“

Auch den Bereich Rüstungsgüter treibt Mistral voran – u. a. mit einem deutschen Startup, das KI-Drohnen produziert.
Nvidia baut Cloud-Plattform – Anwendungen für BMW, Mercedes und Co.
Eine zentrale Rolle in der Debatte spielt Nvidia – jenes Unternehmen, das mit seinen Chips das aktuelle KI-Zeitalter entscheidend mitgestaltet. CEO Jensen Huang kündigte in Paris mitunter an, in Deutschland seine erste europäische KI-Cloud mit Fokus auf industrielle Anwendungen aufzubauen. Die Deutsche Telekom stellt dafür Infrastruktur, Rechenzentren, Sicherheit und Betrieb bereit.
„In nur zwei Jahren werden wir die KI-Rechenkapazität in Europa um den Faktor 10 erhöhen“, erklärte der taiwanische Nvidia-Chef auf der Bühne. Insgesamt sollen 20 neue KI-Werke in Europa entstehen, das deutsche Projekt soll auch Robotik und industrielle Anwendungen verbinden – etwa bei deutschen Autobauern.
Doch so reizvoll diese Investitionen auch sind: Nvidia bleibt ein US-amerikanischer Konzern – mit Sitz in Kalifornien und unterliegendem US-Recht. Die angestrebte Souveränität Europas könnte dadurch in eine weitere Abhängigkeit von ausländischen Technologien geraten, die sich im geopolitischen Kontext als Bumerang erweist.
KI-Investitionen: Digitale Zwillinge und das Rennen um Rechenleistung
Die technologischen Visionen, die Jensen Huang präsentierte, sind ambitioniert. „Wir können alles in einen digitalen Zwilling verwandeln”, frohlockte der Nvidia-CEO und sprach über die KI-Cloud, die Mistral AI mithilfe des Chipherstellers umsetzt. “(...) Alles Physische wird digital gebaut”, führte der 62-jährige Manager aus. Zu den ersten Kunden zählen nach Handelsblatt-Angeben das deutsche KI-Start-up Black Forest Labs, die französische Großbank BNP Paribas sowie der Rüstungskonzern Thales.

Europa soll nicht bloß zum Absatzmarkt für KI-Produkte werden, sondern zum Mitgestalter. Passend dazu wurde gerade bekannt, dass der Supercomputer „Jupiter“ im Forschungszentrum Jülich – bestückt mit Nvidia-Hardware – den vierten Platz weltweit erreicht hat. Parallel zur VivaTech kündigte die EU Investitionen in Höhe von 20 Milliarden Euro für den KI-Sektor an – als Reaktion auf milliardenschwere Cloud-Offensiven US-amerikanischer Tech-Giganten.
Digitale Souveränität beginnt beim Menschen – und bei der Cloud
Dass viele Unternehmen dieser Entwicklung mit Skepsis begegnen, zeigt eine aktuelle Umfrage des Digitalverbands Bitkom: Die Mehrheit deutscher Firmen möchte sich bei der Cloud-Nutzung unabhängiger von US-Anbietern aufstellen. Ein Wunsch, der durch neue Plattformprojekte zwar adressiert, aber bislang nicht vollständig erfüllt wird.
Einen dazu passenden Impuls brachte Yann LeCun, KI-Chef von Meta, in die Diskussion ein – mit einem Plädoyer für menschzentrierte Technologie. Es gehe nicht darum, den Menschen zu ersetzen, sondern ihn sinnvoll zu ergänzen: „Daran sollten wir arbeiten: an Maschinen, die bestimmte Aufgaben, für die wir nicht besonders gut sind, besser bewältigen können als wir, nicht wahr? Das ist der beste Weg, Menschen mit Computern zu unterstützen.“
In einer zunehmend vernetzten Welt wird die Frage nach der Kontrolle über digitale Infrastrukturen auch zur Frage nach der Rolle des Menschen in der KI-Ära.
KI im Fokus: Europa muss jetzt Weichen für digitale Zukunft stellen
Die Diskussionen auf der jüngsten VivaTech-Messe verdeutlichen: Europa befindet sich an einem Wendepunkt. Technologische Abhängigkeiten – etwa von Nvidia oder US-Cloud-Anbietern – sind weiterhin Realität. Doch das Bewusstsein wächst, dass digitale Infrastruktur, KI-Modelle und Plattformen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch strategische und kulturelle Fragen aufwerfen.
Mit Investitionen, gezielten Partnerschaften und einer aktiveren Industriepolitik beginnt Europa, seinen digitalen Handlungsspielraum neu zu definieren. Der Wettbewerb mit den USA und Asien ist dabei nicht nur ein Rennen um Geschwindigkeit, sondern auch um Werte, Gestaltungshoheit und gesellschaftliche Akzeptanz. (PF)