Angst vor städtebaulicher Eiszeit

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Städtebauliches Sorgenkind ist dieser historisch gewachsene Mix aus Wohnhäusern, Fabrikhallen und Gewerbebetrieben. Das Bild zeigt unten den Rennweg, die Firma Huber Technik in der Mitte sowie links das Mercedes-Autohaus Nagel und den Erdinger Weißbräu. © Günter Herkner

Im Erdinger Rathaus blickt man bangen Blickes auf die Münchner Justiz. Im Nordwesten der Stadt droht ein gesamtes Viertel städtebaulich eingefroren zu werden. Das könnte fatale Folgen haben.

Erding – Alte (Bau-)Sünden wiegen mitunter so schwer, dass sie selbst groß angelegte Rettungsaktionen auf tönerne Füße stellen. So verhält es sich gerade im Erdinger Nordwesten, wo die Stadt nur Gutes im Sinn hatte, als sie über das Gebiet zwischen Sigwolfstaße, Anton-Bruckner-Straße, Siglfinger Straße und Rennweg einen neuen Bebauungsplan legen wollte.

Der Vorgänger ist 60 Jahre alt, er sah ein Industriegebiet vor. Doch in dem sind seit 1964 auch Wohnhäuser und alle möglichen anderen Betriebsstätten entstanden – ohne Rücksicht auf Lärm und Gerüche, welche die industrielle Fertigung nun einmal hervorruft. Damals hat man das alles etwas lockerer gesehen. Nicht zuletzt stößt man dort auf eine laut Vorlage nie genehmigte Container-Wohnanlage.

Die Überplanung sollte städtebaulich Ordnung schaffen – in Form eines Mischgebiets mit Wohnen und Arbeiten am Rennweg und entlang der Siglfinger Straße sowie eines Gewerbegebiets. Dieser Bebauungsplan, an dem sieben Jahre lang getüftelt worden war, trat im März 2020 in Kraft.

Aufgestellt hatte ihn die Stadt nicht zuletzt, um traditionsreichen Großbetrieben, zumal gute Gewerbesteuerzahler, alle Entwicklungsmöglichen zu wahren – Erdinger Weißbräu und Huber Technik, die Gummierzeugnisse herstellt und Maschinen baut. Als Dritter möchte das Mercedes-Autohaus Nagel erweitern.

Doch einer der Grundeigentümer, ein Gewerbetreibender, erhob Klage. Seine Sorge: Einschränkungen durch künftige Bauvorhaben in dem Geviert. Mit seinem Eilantrag an das Oberverwaltungsgericht München war der Kläger im Februar 2024 gescheitert. Doch am 30. April kommt es zur Hauptverhandlung. Experten halten eine Niederlage für die Stadt Erding für gar nicht so unwahrscheinlich.

Die hätte weitreichende Folgen, dann wäre der gesamte Plan nichtig. Künftig müssten Bauvorhaben als Einzelprojekte nach Paragraf 34 Baugesetzbuch bewertet werden. Und das wiederum könnte für Erweiterungswillige gefährlich werden. Denn wenn die etwa neue Fertigungshallen bauen wollen, muss die Stadt als Genehmigungsbehörde prüfen, ob sich das Vorhaben in die Umgebung einfügt. Und erwartbarer Lärm und Geruch vertragen sich nicht mit Wohnhäusern in unmittelbarer Nachbarschaft. Von denen gibt es in dem Geviert einige. Auch neue Wohnbebauung dürfte dann passé sein. Insbesondere bei dem Gummifertiger ist die Angst groß, sich nicht mehr entwickeln zu können, was die Eigentümer aber wohl vorhaben.

Diese Angst sprang nun auf die Stadtpolitik über. Denn im Planungs- und Bauausschuss warnten mehrere Redner davor, dass Betriebe deswegen abwandern könnten – und mit ihnen hunderte Arbeitsplätze und hohe Gewerbesteuerzahlungen.

In der Sitzung ging es um ein Ergänzungsverfahren zu dem Bebauungsplan für ein Misch- beziehungsweise Gewerbegebiet, das die Stadt infolge der Klage auf den Weg gebracht hatte. Insbesondere aus der Stellungnahme der Unteren Immissionsschutzbehörde am Landratsamt konnte man freilich herauslesen, welch toxische Mischung in dem Areal seit den 60er Jahren gewachsen ist – und was das für künftige Nutzungen bedeutet.

Die Behörde geht bei einer Teilfläche, auf welcher der Bestand zugunsten Neubauten abgerissen werden soll, davon aus, dass aufgrund der Geruchsausbreitung „keine gesunden Wohnverhältnisse bewahrt werden können“, wie es in der Stellungnahme heißt. Daher sei hier ein Wohnungserrichtungsverbot angezeigt. Für die Bauten an der Robert-Bosch-Straße geht das Amt sogar von einer Gesundheitsgefahr durch Lärm aus. Nicht einmal aktive Schallschutzmaßnahmen könnten das heilen.

Zur bestehenden Wohnbebauung an Rennweg und Siglfinger Straße stellt die Kreisverwaltung fest, dass diese früher lediglich an einem Übergang in ein Industriegebiet lag, aber noch Innenbereich darstellte. Deswegen galten höhere Grenzwerte. Nach der vorgesehenen Umwidmung in ein Mischgebiet dürften dafür teils erheblich zu hohe Werte erzielt werden. Es wurden sogar großflächig Bereiche ermittelt, in denen eine Neubebauung selbst von reinem Gewerbe nicht mehr zulässig wäre – wegen zu hoher Geruchsbelästigung.

Mehrheitlich beschloss der Ausschuss den Bebauungsplan nach dem Ergänzungsverfahren erneut. Wie viel dieses Votum wert ist, wird man erst nach dem 30. April wissen. Im schlimmsten Fall sind die wilden Verhältnisse in dem Bereich auf unabsehbare Zeit eingefroren. ham

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