Einst erschlossen Siedler das unwirtliche Land: Peißenberg-Wörth und seine Geschichte
Wo es früher eine Auenlandschaft gab, befindet sich heute der Ortsteil Wörth. Ein Ausflug in die Peißenberger Geschichte:
Um 1900 wandelte sich Peißenberg rasant. Aus dem ganzen Land strömten junge Menschen an den Fuß des Hohen Peißenbergs. Der Kohlebergbau lockte mit Arbeitsplätzen. Auf der Suche nach einer neuen Heimstätte erschlossen die Neuankömmlinge immer größere Flächen, bis schließlich auch eine unwirtliche Gegend besiedelt wurde. Es ist der Beginn des Ortsteils Wörth.
Der Markt Peißenberg besteht heute aus einer ganzen Reihe von kleineren Weilern und Einöden, vom Schlag bis St. Nikolaus. Im Allgemeinen trennt man die Gemeinde jedoch in die beiden Ortsteile Dorf und Wörth: Auf beiden Seiten der Berghalde beziehungsweise des Guggenberges liegt im Norden und Osten das Dorf, während sich Wörth im Süden und Westen von Peißenberg erstreckt.
In Größe und Bevölkerungszahl unterscheiden sich die beiden Ortsteile dabei wenig, im Dorf haben knapp 6000 Menschen ihren Wohnsitz, während es in Wörth gut 7600 Personen sind. Wirft man jedoch einen Blick in die Vergangenheit, dann bietet sich ein gänzlich anderes Bild: Vor etwas mehr als 100 Jahren nämlich stand das Dorf in seinen Grundzügen bereits, Wörth jedoch existierte noch nicht einmal. Die Ammerhöfe lagen bereits auf den umliegenden Hügeln und an der heutigen Schongauer Straße bildeten zwei Höfe den Ortsteil Stadl.
In der ausgestreckten Ebene zwischen Ammer und dem heutigen Guggenberg aber lebte praktisch niemand. Das Wörther Feld, wie diese Gegend hieß, war damals eine Auenlandschaft, durchzogen von kleinen Bächen und moorigem Boden.
Die ersten Wörther Siedler
Erst Ende des 19. Jahrhunderts, genauer gesagt in den Jahren 1896 und 1897, sollte sich das ändern. Im Peißenberger Grundbuch finden sich für diese Jahre die ersten Wörther Siedler. Wörth Nummer eins bis sieben: Sieben Höfe waren es, die in diesen beiden Jahren errichtet wurden und von denen einige heute noch stehen.
In Eigenregie errichteten die Menschen erste Wohn- und Bauernhäuser und gemeinsam machten sie sich an die Arbeit, das unwirtliche Land zu bewirtschaften. Zunächst musste dafür der Moorboden trockengelegt, das Torf gestochen und das Land bewaldet werden. Das ehemalige Torfwerk Scheithauf jenseits der Ammer zeugt bis heute von diesem frühen Stadium der Wörther Geschichte.
Einfach wurde es den ersten Siedlern dabei nicht gemacht: Die Ammer floss noch nach ihrem natürlichen Lauf und ergoss sich von der Ammerschlucht in das beginnende Flachland. Bei Hochwasser setzte der Wildfluss noch regelmäßig sein Umland unter Wasser.
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Im Jahr 1910 etwa wurde nach heftigen Regenfällen an der Ammer ein Pegelstand von 400 cm gemessen. Zum Vergleich: Der reguläre Pegelstand der Ammer liegt heute bei etwa 70 cm, während Hochwassergefahr bereits ab einer Pegelhöhe von 230 cm besteht.
Es sollte Jahrzehnte dauern, bis die Anwohner durch Dämme und Flussregulierung vor den regelmäßigen Überschwemmungen geschützt werden konnten, bis dahin blieb die Ammer der bestimmende Umweltfaktor. Nicht umsonst wird die Gegend Wörth genannt, ist das doch schließlich nichts anderes als ein alter Begriff für eine Insel oder eine Uferlandschaft.
Bergmann und Landwirt zugleich
Die ersten „Wörther“ konnten sich trotz dieser Bedingungen behaupten. Es sind Namen wie Benedikt Franz, Johann Baudrexl oder Karl Mayer, die in den Gemeindebüchern dieser Zeit auftauchen. Die Lebensläufe dieser Menschen lesen sich in etwa so: Josef Eisenschmied, ein Wörther der ersten Generation, zog als junger Mann von 26 Jahren von Zuhause los. Wie sein Cousin stammte er von Gut Rechetsberg, doch während dieser nach Amerika auswanderte, um dort ein besseres Leben zu finden, suchte Josef sein Glück im deutlich näheren Peißenberg.
Im Jahr 1897 gründete er auf dem Wörther Feld einen Hof und bald dazu eine Familie. Wie viele seiner Kameraden schuftete er in den Gruben des Bergwerks, Bergmann war er tagsüber, abends und am Wochenende jedoch kehrte er aus den Stollen zurück, um auf dem eigenen Hof weiterzuarbeiten. Das Vieh musste versorgt und das Land beackert werden.

Der Erwerb des Landes und der Aufbau eines eigenen Hofes hatten viel Geld gekostet, so viel, dass Josef Eisenschmied noch am Ende seines Lebens einen hohen Schuldenberg zu tragen hatte. Ob das Geld aus der Arbeit zu wenig Gewinn abgeworfen hatte oder ob die Verschuldung irgendeinen anderen Grund hatte, das ist aus heutiger Sicht natürlich nicht mehr eindeutig feststellbar.
Um bestehen zu können, gab es so oder so nur eine Möglichkeit: Die ersten Siedler mussten unablässig weiterarbeiten. Auch die Frauen und Kinder mussten helfen, nur in der Gemeinschaft konnten die zahlreichen Aufgaben bewältigt werden.
1920 hatte Wörth 155 Einwohner
Mit der Zeit sollte sich die harte Arbeit jedoch bezahlt machen. Das ehemalige Wörther Feld wurde urbar und die kleine Gemeinschaft begann zu wachsen. Im Jahr 1920 zählte man in Wörth bereits gut 20 Haushalte, in denen insgesamt 155 Einwohnern lebten. Wörth an der Ammer, wie es ab 1912 auch offiziell hieß, wurde zu einem Peißenberger Ortsteil mit eigenen sozialen Bindungen.
Ein neuer Ortsteil begann sich herauszubilden, Schwerpunkt der Peißenberger Entwicklung blieb jedoch für lange Zeit das Dorf. Während in Wörth nämlich noch Torf gestochen und Bäche begradigt wurden, bewegte man sich im heutigen Dorf bereits auf einer ganz anderen Stufe. Dort standen schon seit dem späten 19. Jahrhundert ein Bahnhof und ein eigenes Krankenhaus. 1908 beziehungsweise 1909 erhielt man elektrische Beleuchtungen und auch Wasserleitungen für die stetig wachsende Zahl der privaten Haushalte.
Gerade das Dorf begann gemeinsam mit der Expansion des Bergbaus, massiv zu wachsen. Alleine in den Jahren von 1895 bis 1915 verdreifachte sich die Bevölkerungszahl auf knapp 5000 Einwohner. Noch vor dem Ersten Weltkrieg wurden ein Kleinkindergarten, eine Apotheke und eine erste Weißbierbrauerei errichtet, die sogenannte „Blüte“, ein Vorläufer der späteren Plötz-Brauerei. Auch die St.-Johann-Schule wurde im Dorf erbaut, 50 Jahre, bevor ähnliche Bauten, etwa die heutige Josef-Zerhoch-Schule in Wörth errichtet wurden.
Die Siedlung, die wir heute kennen
Peißenberg war auf dem Weg zu Bayerns größtem Bergbaudorf. Der Ortsteil Wörth hingegen, sollte noch lange unterentwickelt bleiben. Erst Jahrzehnte später – in kleinem Umfang vor dem Zweiten Weltkrieg in den 1930er Jahren und dann im großen Maßstab nach dem Zweiten Weltkrieg – wurde Wörth schließlich zu jener Siedlung ausgebaut, die wir heute kennen.
Die langgezogenen Bergbausiedlungen, die St.-Barbara Kirche, der Sportplatz mit der Eishalle, das ehemalige Naturfreibad und der heutige Campingplatz sowie die „Rigi-Rutsch’n“: Eine Vielzahl von Peißenbergs wichtigen Gebäuden und Besonderheiten befindet sich heute im Ortsteil Wörth.
Das Wörther Feld ist Geschichte
Peißenberg ist geprägt vom Kohlebergbau. Die Industrie hat die Gemeinde in nur etwa einem Jahrhundert radikal verändert, unter Tage, genauso wie oberirdisch. An kaum einem anderen Ort wird diese Entwicklung dabei deutlich sichtbarer als in dem Gebiet zwischen Ammer und Guggenberg. Durch die Arbeit der Benedikts, Baudrexls und Eisenschmieds ist das einstige Wörther Feld nur noch ein Teil der Geschichte. Verschwunden ist das moorartige und von der Ammer überflutete Land, an seiner Stelle steht nun die Heimat vieler tausend Menschen: das moderne Wörth. Willi Naß
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