„Gezielt“ geleakt? Drei Gründe, warum Putin die Taurus-Abhör-Affäre jetzt nutzt
Taurus-Leak bei der Bundeswehr: Der Zeitpunkt der Veröffentlichung durch Russland lässt rätseln. Drei mögliche Erklärungen.
Berlin – Er wollte die Bundeswehr wieder kriegstüchtig machen. Jetzt steht Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius aber unerwartet vor einem völlig anderen Problem. Seit Freitag (01. März) geht eine brisante Ton-Aufnahme herum, die aus dem Kreml veröffentlicht wurde. Darin diskutieren Offiziere der deutschen Luftwaffe den Einsatz von Taurus-Marschflugkörpern im Ukraine-Krieg. Daneben, wie Russland überhaupt an die Aufnahme kam, schwebt über allem auch die Frage: Warum kommt der Leak ausgerechnet jetzt?
Die Fehleranalyse läuft bereits, das Verteidigungsministerium verweist gegenüber der Bild auf „Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet wurde“. Im Verdacht steht, dass das genutzte Kommunikationssystem „grundlegende Sicherheitsmängel“ aufweise. Unklar ist derweil, ob weitere Gespräche abgehört wurden. Stimmen aus der Politik fürchten bereits, die Veröffentlichung könne lediglich die Spitze des Eisbergs gewesen sein.
Skandal erschüttert Bundeswehr – warum wurde die Aufnahme genau jetzt geleakt?
Rätseln lässt indes der Zeitpunkt der Veröffentlichung. Der 38 Minuten lange Ausschnitt, den die Chefredakteurin des russischen Staatssenders RT, Margarita Simonjan, via Telegram veröffentlichte, soll angeblich aus einem Gespräch vom 19. Februar stammen. Der Leak erfolgte erst knapp zwei Wochen später. Wieso wartete man in Russland bis hierhin? Immerhin fordert die Ukraine bereits seit dem Frühjahr 2023 die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern aus Deutschland. Drei mögliche Erklärungsgründe tun sich auf.
Als ersten möglichen Grund rückt der Taurus-Marschflugkörper an sich ins Zentrum. Der gilt besonders durch seine Schlagkräftigkeit als „Bunkerbrecher“ als möglicher „Gamechanger“ für die Ukraine. Allerdings verweigerte Deutschland – und insbesondere Kanzler Olaf Scholz – bisher die Lieferung der Waffe. Auch ein Antrag der Unionsfraktion im Bundestag, in dem explizit die Lieferung des Taurus enthalten war, wurde kürzlich abgelehnt. Stattdessen stimmte man lediglich einem Antrag zu, der die Lieferung „weitreichender Waffen“ an die Ukraine festhielt.

Leak „ganz gezielt zum jetzigen Zeitpunkt“ – um Taurus-Kehrtwende zu verhindern?
Spannend daran: Der Antrag scheiterte am 22. Februar – erst drei Tage zuvor soll das geleakte Gespräch angeblich stattgefunden haben. Allerdings machten Bundestagsabgeordnete wie Grünen-Politiker Anton Hofreiter damals bereits klar, dass der Hauptgrund von Scholz, man wolle Taurus nicht liefern, da dies eine Entsendung von Bundeswehr-Soldaten in die Ukraine zur Ausbildung bedeuten würde, nicht statthaft sei.
Auch die Offiziere in der Aufnahme, darunter Luftwaffen-Generalinspekteur Ingo Gerhartz, sprachen davon, dass „keiner so richtig weiß“, warum der Kanzler hier blocke. Scholz‘ Aussagen hätten zu „abenteuerlichsten Gerüchten“ rund um die Taurus geführt. Ebenfalls hätte man falsche Aussagen über die Marschflugkörper gegenüber Journalisten zuletzt richtigstellen müssen.
Ebenfalls brisant ist, dass bereits spekuliert wird, dass das abgehörte Treffen als Vorbereitungs-Meeting gedient haben soll, um Verteidigungsminister Pistorius in der Causa Taurus zu briefen. Details, die als eine Anspielung auf Scholz‘ nicht ganz stichhafte Begründung für sein Nein zu deuten sind – und gar den Gedanken zulassen, ob der Kanzler seine Taurus-Absage früher oder später revidieren könnte.
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Das Gespräch sei deshalb „ganz gezielt durch Russland zum jetzigen Zeitpunkt“ geleakt worden, sagt CDU-Außenexperte Roderich Kiesewetter, nämlich um eine Taurus-Lieferung durch Deutschland zu verhindern. Kiesewetter ging davon aus, dass „noch etliche andere Gespräche abgehört“ wurden und zu späteren Zeitpunkten im Sinne Russlands geleakt werden könnten.
Leak widerspricht Scholz‘ Begründung für Taurus-Absage an die Ukraine
So sieht das auch die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die sich bei den Anträgen zur Waffenlieferung an die Ukraine kürzlich sogar gegen die Ampel gestellt und für den Taurus-Antrag der Union gestimmt hatte. Sie sagte, der Grund für den Zeitpunkt der Veröffentlichung liege auf der Hand: „Nachdem der Kanzler in der letzten Woche die Lieferung ausgeschlossen hat, die Gründe für seine Ablehnung aber binnen 24 Stunden von Fachleuten widerlegt worden sind, möchte man ihn offensichtlich davon abschrecken, doch noch grünes Licht zu geben“, sagte sie den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND).
Mit diesem ganzen Komplex einher geht derweil noch ein weiterer möglicher Grund für den Veröffentlichungszeitpunkt – die Diskreditierung von Kanzler Scholz. Der SPD-Politiker steht nach dem Leak in einem schlechten Licht dar. Das Gespräch – sofern der Inhalt nicht manipuliert wurde – zeigt ganz klar, dass eben nicht nur militärnahe Politiker, sondern gar die Luftwaffe selbst Scholz‘ Begründung für die Taurus-Absage für nicht angemessen halten.
Bundeswehr-Affäre um Taurus-Aufnahme kommt in kritischer Phase – und Putin profitiert
Die Taktik, Scholz zu blamieren, scheint relativ gut aufzugehen. Jedenfalls werden bereits Forderungen zur lückenlosen Aufklärung des Vorfalls laut – auch von Scholz‘ Koalitionspartnern aus der FDP und von den Grünen. Die Union geht gar noch weiter und droht dem Kanzler bereits mit einem Untersuchungsausschuss. Sogar Scholz‘ Vertrauenswürdigkeit wird infrage gestellt.
Eine mögliche Taurus-Kehrtwende verhindern und gleichzeitig den Kanzler des wichtigsten europäischen Unterstützers der Ukraine diskreditieren? Ein gefundenes Fressen für die russische Propaganda-Maschinerie um Wladimir Putin, der auch gleich selber von der ganzen Aufregung profitiert. Und das in einer kritischen Phase.
Der Tod von Alexej Nawalny, Putins schärfstem Kritiker, hat den Westen erneut aufgerüttelt und die Berichterstattung über Russland bestimmt. Zugleich verbreiteten sich Bilder von trauernden Menschen, die sich gleichzeitig öffentlich in Russland gegen den Krieg und das System Putin aussprachen. Der Kreml-Chef steht allerdings nur wenige Tage vor der Wiederwahl, hielt zu diesem Anlass kürzlich seine Rede zur Lage der Nation. Gegenstimmen aus dem eigenen Land kann Putin nicht gebrauchen. In seiner Rede ebenfalls enthalten: Klare Ansagen gen Westen, der in Person von Frankreichs Ministerpräsident Emmanuel Macron kürzlich den Schritt, Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden, nicht mehr ausgeschlossen hatte.
„Lässt die Muskeln spielen“: Warum Bundeswehr-Leak auch Putin persönlich nützt
Der jetzige Leak zeigt diesbezüglich aus Sicht von Putin gegen den Westen: Wir haben euch unter Beobachtung, wir wissen, was ihr plant. Und schürt die Sorge davor, dass russische Geheimdienste vielleicht noch viel mehr Informationen in der Hinterhand haben. Gleichzeitig treibt Putin nun auch wieder mehr das Narrativ des gefährlichen und unberechenbaren Russlands in die europäische Berichterstattung.
„Putin lässt die Muskeln spielen“, schätzt etwa auch ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Diana Zimmermann im „heute journal“ den Zeitpunkt des Leaks ein. Der Kreml-Despot sage mit diesem Vorgang „seht her, die Deutschen wollen uns wieder einmal angreifen und das passt ihm jetzt kurz vor den Präsidentschaftswahlen gut in den Kram“, führt Zimmermann weiter aus.
Auch Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz unterstützt diese Sicht, wertet gegenüber der ARD den Schritt als Zeichen, dass Russland „hier in der Bundesrepublik aktive Maßnahmen gegen die Verbündeten der Ukraine fährt“. Es sei ein Versuch, „zu spalten, Desinformationen zu verbreiten, Zweifel zu säen“ – inwieweit der Versuch gelingt, bleibt abzuwarten.