Neue NASAMS in der Ukraine: Der Krieg gegen Putin geht in die Verlängerung

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Der mobile Wachtposten: Ein NASAMS-Raketenwerfer am Flughafen Evenes in Nord-Norwegen. Ein ähnliches Bild bietet die Ukraine an verschiedenen Punkten. Die Verteidiger haben ein weiteres System aus Kanada erhalten und verstärken damit das Patt am Himmel gegen die russischen Invasionstruppen (Symbolfoto). © IMAGO/Stian Lysberg Solum

Nachschub für die ukrainische Luftverteidigung. Die Verteidiger verschaffen sich Luft am Himmel; aber neue Batterien führen keine Entscheidung herbei.

Kiew – „Soll das ein Witz sein?“ Die Frage sei gestellt worden von einem Mitarbeiter der ukrainischen Regierung, als der erfahren habe, er müsse auf die Lieferung überlebenswichtiger Luftabwehr-Systeme mindestens vier Jahre warten. Das berichtet Brian Everstine über den Dialog mit einem Raytheon-Mitarbeiter, als Kiew zu Beginn des Ukraine-Krieges gegen Wladimir Putin NASAMS kaufen wollte. Nach mehr als 1000 Tagen Krieg ist die Ukraine jetzt einen Schritt weiter und kann ein zusätzliches System einsetzen – aber immer noch keine Entscheidung herbeiführen.

„Die erste Antwort der USA war, dass es normalerweise zwei Jahre dauert, ein System unter Vertrag zu nehmen, und dann noch zwei weitere, um es zu bauen und auszuliefern – ein Prozess von etwa vier bis fünf Jahren“, so der Autor des Magazins Aviation Week. Am 10. Januar 2023 gab die damalige kanadische Verteidigungsministerin Anita Anand bekannt, dass Kanada ein National Advanced Surface-to-Air Missile System (NASAMS) und die dazugehörige Munition von den Vereinigten Staaten kauft, um es der Ukraine zu spenden.

Vorteil gegen Putin im Ukraine-Krieg: NASAMS verwendet dieselben Raketen wie die Kampfjets der Alliierten

Jetzt berichtet der kanadische Sender CBC, dass die Ukraine mit der Hilfe der kanadischen Regierung das lang ersehnte Raketenabwehr-System amerikanisch-norwegischer Koproduktion auch aus Kanada erhalten habe, wie der aktuelle Verteidigungsminister Bill Blair dem Sender gegenüber erklärt hatte. Laut CBC habe Blair dem Verteidigungsausschuss des Repräsentantenhauses jetzt mitgeteilt, dass sich das NASAMS, für die Ottawa vor fast zwei Jahren etwas mehr als 400 Millionen Euro zugesagt hatte, nun in den Händen der Ukrainer befänden.

„Beide Seiten verfügen über eine tödliche Luftabwehr, die es den gegnerischen Luftstreitkräften unmöglich macht, in ihr Kampfgebiet einzudringen. Das Ergebnis ist ein auf Abnutzung basierender Konflikt, von dem Russland profitiert.“

Am Ende des ersten Kriegsjahres hatte die Ukraine die ersten Systeme erhalten, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet hatte. Geberländer seien wohl Norwegen, Spanien und die USA gewesen; allerdings war schon damals absehbar, dass die Kapazitäten der Luftabwehr der Ukraine zu gering seien. Dieser Umstand hat sich bis heute eher noch verschlimmert.

Angesichts der enormen Bedrohung der Ukraine durch Drohnen und Raketen, sei der Umstand, dass das NASAMS dieselben Raketen verwendet wie die Kampfjets der Alliierten, von entscheidender Bedeutung, hatte bereits Ende des ersten Kriegsjahres Tyler Rogoway behauptet. Der Autor des Magazins The War Zone (TWZ) sieht einen, wie er sagt, entscheidenden Vorteil darin, dass das System bestückt werden kann mit der AIM-120 Advanced Medium-Range Air-to-Air Missile (AMRAAM) – „genau dieselbe Rakete, die weltweit von Kampfflugzeugen für Luft-Luft-Einsätze eingesetzt wird; es sind weder eine spezielle AMRAAM-Variante noch größere Modifikationen an bestehenden Raketen erforderlich: NASAMS nutzt dieselben Raketenbestände wie die Jets“, schreibt er.

Nachteil der Ukraine: „Ergebnis ist ein auf Abnutzung basierender Konflikt, von dem Russland profitiert.“

Damit erscheint das System nicht nur effektiv, sondern auch ressourcenschonend. Für die Ukraine ein ungemein wichtiger Faktor, um Russland noch weiter Paroli bieten zu können. Laut dem Magazin Airforce Technology ist die Rakete fast vier Meter lang, umfasst fast 20 Zentimeter im Durchmesser und bietet eine Flügelspannweite von fast 53 Zentimetern. Das Startgewicht der Rakete betrage demnach etwas mehr als 150 Kilogramm mitsamt einem etwas mehr als 18 Kilogramm schweren Sprengkopf, den die Rakete bis zu 60 Kilometer weit schießen kann.

NASAMS – die weit verstreute Luftabwehr

Das NASAMS ist ausgestattet mit drei Mehrraketenwerfern, die jeweils bis zu sechs schussbereite Raketen in Schutzbehältern tragen. Der Zweck des Mehrraketenwerfers des NASAMS besteht darin, Raketen mit unterschiedlichen Eigenschaften zu transportieren, auszurichten und abzufeuern, die alle auf derselben Startschiene in Schutzbehältern montiert sind. Der NASAMS-Werfer trägt bis zu sechs AIM-120 AMRAAM-Raketen und ist über Funk und/oder Feldkabel mit dem Kommandoposten verbunden. Der mobile Werfer kann bis zu 25 Kilometer vom Kommandoposten entfernt eingesetzt und ferngesteuert werden. Der Werfer kann die sechs AMRAAM in Sekundenschnelle auf sechs verschiedene Ziele abfeuern, was mehrere gleichzeitige Einsätze ermöglicht. In einer Bataillonskonfiguration mit bis zu zwölf Werfern und bis zu 72 geladenen Raketen können alle Raketen in weniger als 15 Sekunden auf einzelne Ziele abgefeuert werden.

Quelle: Army Recognition

Die AMRAAM ist der Exportschlager der USA und wird in weit mehr als 30 Ländern eingesetzt. Die produzierte Gesamtstückzahl liegt bei vielleicht 20.000 Raketen – genaue Zahlen sind unbekannt; der Stückpreis einer Rakete liegt bei etwas mehr als einer Million Euro. Das von den USA und Norwegen um die Rakete herum entwickelte Abschuss-System ist modular aufgebaut und bestehe aus einem Kommandoposten, einem aktiven 3D-Radar Raytheon AN/MPQ-64F1 Sentinel, einem passiven elektrooptischen und Infrarotsensor sowie einer Reihe von Raketenwerfern mit AMRAAM-Raketen. Das erläutert der norwegische Ko-Entwickler Kongsberg. Der Vorteil des Systems ist, dass die kleinen mobilen Einheiten weit voneinander verstreut in Stellung gehen und dadurch die Sicherheit des gesamten Verbands erhöhen.

„Beide Seiten verfügen über eine tödliche Luftabwehr, die es den gegnerischen Luftstreitkräften unmöglich macht, in ihr Kampfgebiet einzudringen. Das Ergebnis ist ein auf Abnutzung basierender Konflikt, von dem Russland profitiert“, hatte noch im Juli dieses Jahres David Deptula klargestellt. Der ehemalige Generalleutnant der US-Luftwaffe machte im Air & Space Forces Magazin deutlich, dass die russische Luftflotte mit zögerlichen und schlecht durchdachten Angriffen der Ukraine die Zeit verschafft hätte, ihre Luftabwehr über das Land zu verteilen sowie durch vorgetäuschte Luftabwehr-Stellungen feindliches Feuer in die Irre zu leiten, um selbst handlungsmächtig zu bleiben.

Merkmal des Ukraine-Krieges – Lieferungen verschiedener Rüstungsgüter von Verzögerungen geprägt

Laut Aviation Week habe der Ukraine-Krieg aber offenbar immerhin die Produktionsprozesse des Herstellers Raytheon dynamisiert. Um die Lieferung der Systeme an die Ukraine zu beschleunigen, solle die Regierung unter Präsident Joe Biden NASAMS-Komponenten aus eigenen Beständen an den Hersteller übergeben haben, anstatt komplette neue Systeme in Auftrag zu geben. Die Lagerbestände der US-Armee sollen dann später wieder aufgefüllt worden sein. „Dank dieser schnellen Lösung konnten zwei Systeme innerhalb eines Tages nach Auftragsvergabe verkauft und versandt werden“, zitierte Aviation Week die Raytheon-Programmmanagerin Laura Bear.

Angesichts dieser Aussage scheint fraglich, warum die Lieferungen verschiedener Rüstungsgüter an die Ukraine von massiven Verzögerungen geprägt waren und der russischen Invasionsarmee immer wieder Zeit gegeben haben, sich neu zu formieren.

„Eine so schnelle Abwicklung der Auftragsvergabe sei ,eine ziemliche Leistung‘ und bei modernen Pentagon-Beschaffungen nahezu unbekannt“, soll Bear gegenüber Aviation Week-Autor Brian Everstine geäußert haben. „Innerhalb von zwei Werktagen nach Auftragsvergabe lag ein Untervertragsschreiben mit Kongsberg vor. Zwanzig weitere Komponenten des Systems wurden ebenfalls innerhalb von fünf Tagen verschickt.“ Wie Bear gegenüber Aviation Week weiter berichtete, „sei die gesamte Ausrüstung innerhalb von ein paar Wochen ausgeliefert worden und zusammen mit einem großen Kontingent an Raytheon-Mitarbeitern nach Norwegen gegangen, um bei der Ausbildung ukrainischer Militärangehöriger im Betrieb der NASAMS zu helfen“.

Wie das Magazin Defense Express nach Ende des ersten Kriegsjahres berichtete, zeigten die Systeme „von Anfang an großartige Ergebnisse und schossen 100 Prozent der Ziele in ihrer Angriffsreichweite ab“. Dennoch äußerten schon am Anfang dieses Jahres verschiedene Beobachter Zweifel, dass die NASAMS diesen Krieg entscheiden könnten, anstatt ihn höchstens zu verlängern, wie Forbes-Autor David Axe geschrieben hat: „Da beide Seiten Ressourcen aufwenden, die sie nicht erneuern können – die Ukrainer ihre Raketen amerikanischer Produktion, die Russen ihre Su-34, Su-35 und A-50 – führen beide Seiten im russisch-ukrainischen Krieg kurzfristige Kampagnen, von denen sie hoffen, dass sie ihnen langfristig einen Vorteil verschaffen.“

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