Jack Wolfskin plötzlich chinesisch: Pekings wahre Strategie im Zoll-Zoff
Während der Handelskrieg zwischen den USA und der Volksrepublik China eskaliert, stellt sich die Führung in Peking die Frage, wie sie aus der Strafzollspirale herauskommt und ein komplettes Ende der Beziehungen zu Amerika verhindert.
Alle Augen sind auf Präsident Xi Jinping gerichtet, der in den dreizehn Jahren, in denen er China anführt, alle Macht auf sich konzentriert hat. Das ohnehin streng hierarchische chinesische Verwaltungsprinzip, das aus dem Konfuzianismus herrührt, hat er weitestgehend gelähmt. Denn alle Ebenen unter ihm warten jetzt jeweils auf die Direktive der nächsthöheren Abteilung, bevor sie etwas tun.
Alles dauert ewig und Vorhersagen sind in einem solchen Umfeld schwierig. Zumal in Peking genau wie in Washington vorwiegend Ja-Sager ihren Dienst in der unmittelbaren Nähe des Leaders tun. Ihnen fehlt das Standing und der Wille, konstruktiv zu widersprechen und zu deeskalieren.
Peking hat seine Wirtschaftsbeziehungen mit den USA reduziert
Aber wie sieht Xis Strategie aus? In den vergangenen Jahren hat Peking damit begonnen, seine Wirtschaftsbeziehungen mit den USA zu reduzieren und weniger Ware nach Amerika zu exportieren. China hat im selben Zeitraum, in dem es die Exporte in die USA gedrosselt hat, Warenströme in Länder der ASEAN-Gruppe erhöht.
Peking versucht ferner - trotz seiner Unterstützung für Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine - nicht so offensichtlich gegen Sanktionen zu verstoßen, dass letztendlich auch die Volksrepublik abgestraft wird. Das würde die chinesische Wirtschaft massiv und empfindlich treffen.
Xi hat seine Entkoppelungsstrategie von den USA jenseits dieser Punkte vorsichtig und weitestgehend unbeachtet vorangetrieben. So haben chinesische Firmen im Ausland mächtig eingekauft und expandiert.
Im Finanzkreislauf der Volkswirtschaft haben chinesische Firmen genug Liquidität, um auf Shoppingtour zu gehen. Dieser Finanzkreislauf sieht so aus: Banken, die teilweise oder ganz dem Staat gehören, leihen Unternehmen Geld, die teilweise dem Staat gehören oder für ihre Produktion vom Staat abhängig sind. Zukäufe finden überall statt, in Deutschland (gerade jüngst die Marke Jack Wolfskin), Europa, Lateinamerika und Südostasien.
Chinas Strategie, um Zollgebühren zu entgehen
Anders als bei Xis Neuer-Seidenstraße-Initiative, durch die Länder mit Krediten für Infrastrukturprojekte auch politisch gefügig gemacht werden sollen, scheint der Ansatz, mächtig zuzukaufen, in der Tat eher ein strategischer Wirtschaftsschachzug zu sein.
Eine weitere Einbettung Chinas in die globalen Lieferketten, Aktivitäten in möglichst vielen Ländern, werden helfen, Zollgebühren, nicht nur beim Import in die USA, zu entgehen.
In Peking fürchtet man nämlich, dass Donald Trump nach 90 Tagen auf die Länder, denen er Zoll-Aufschub gewährt hat, zugehen und sagen wird: "Stoppt den Handel mit China, dann müsst ihr keine Strafen für eure Importe in die Staaten zahlen".
Firmen, die teilweise in chinesischer Hand sind, aber außerhalb Chinas produzieren, könnten dann ein Rettungsanker für Peking sein. All das sind Punkte, die Xi erwägt, um sein Land ökonomisch und politisch über Wasser halten zu können, sollte es zu einem völligen Aus der Beziehungen zu Washington kommen.
Xi arbeitet strategisch im Hintergrund
Donald Trump scheint sich der immensen Bedeutung Pekings in den internationalen Beziehungen indes nicht völlig bewusst zu sein. Wenn er von "Make America Great Again" redet, träumt er offenbar von einer Welt des vergangenen Jahrhunderts, in der die Volksrepublik kein geopolitisches Gewicht hatte.
Dabei arbeitet Xi strategisch im Hintergrund, um für einen möglichen Konflikt gewappnet zu sein. Relativ unbeachtet von den Augen der Welt war Peking in Sachen Taiwan aktiv. Laut dem Magazin "The Economist" haben 70 Länder in den vergangenen 18 Monaten in offiziellen Communiques und Erklärungen das Wording Pekings übernommen.
Demnach habe die Volksrepublik das Recht auf den Einsatz "aller Mittel", die eine "Wiedervereinigung" Taiwans mit der Volksrepublik zum Ziele hätten. Das schließt militärische Mittel explizit ein. Sollte Xi Taiwan angreifen, werden diese 70 Länder ihn in der Vollversammlung der Vereinten Nationen unterstützen. So würde er ökonomischen Sanktionen für den Überfall auf die Insel entgehen.
Trump düpierte Taiwan
Donald Trump hatte derweil nichts Besseres zu tun, als diesen wichtigen Verbündeten Washingtons mit Strafzöllen zu belegen und auch noch zu düpieren, indem er fälschlicherweise behauptete, die Taiwaner hätten ihr Know-how in Sachen Halbleitertechnologie von Amerika gestohlen.
Taipeh hofft, den US-Präsidenten mit Zugeständnissen besänftigen zu können. Aber die kleine, demokratisch regierte Insel hat mit Xi einen Despoten vor der Haustür. Mit einem weiteren umzugehen, der eigentlich ein Verbündeter sein sollte, dürfte schwierig werden.
Wenn Taiwan sich des Schutzes der USA nicht mehr sicher sein kann, wird es sich wohl oder übel Peking zuwenden. Sollte China klug verhandeln, dann könnte ein Deal zwischen den beiden ehemaligen Bürgerkriegsparteien das Ende von Amerikas Vorherrschaft im Westpazifik bedeuten.
Auch das hat Xi Jinping auf dem Schirm. Er möchte Taiwan zwar zeigen, dass er es militärisch besiegen und einnehmen kann. Aber er würde die gewaltfreie Lösung definitiv präferieren.
China besitzt mehr als das "Konzept eines Plans"
Man kann diese Punkte von Xis Strategie abtun oder nicht, aber anders als der amerikanische verfügt der chinesische Präsident über mehr als "das Konzept eines Plans". Ähnlich Verheerendes wie Trumps Zollpolitik hat China der Welt bislang noch nicht zugemutet.
Und das mag - bei aller Skepsis, die aufgrund von Pekings Menschenrechtsverletzungen bleibt - das eine oder andere Land dazu bewegen, China als neuen Partner zu erwägen, der unter Beweis stellen muss, dass er verlässlicher als die USA ist. Dann würde Xis Strategie aufgehen.
Über den Gastautor
Alexander Görlach unterrichtet Demokratietheorie und -praxis an der New York University. Zuvor hatte er verschiedene Positionen an der Harvard Universität und dem Carnegie Council for Ethics in International Affairs inne. Nach einer Zeit als Gastprofessor in Taiwan und Hongkong hat er sich auf den Aufstieg Chinas konzentriert und was dieser für die Demokratien in Ostasien im Besonderen bedeutet. Von 2009 bis 2015 war Alexander Görlach der Herausgeber und Chefredakteur des von ihm gegründeten Debatten-Magazins The European. Er lebt in New York und Berlin.