Putzen gegen Putin: Abrams-Panzer macht auf Schlachtfeld in der Ukraine Probleme

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Putzen gegen Putin: Abrams Panzer entpuppt sich auf Schlachtfeld der Ukraine als Diva

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High-Tech-Kolosse gegen Wegwerf-Panzer: Westliches Kriegsgerät marschiert in der Ukraine an die Front – doch zeigt sich in Details untauglich.

Kiew –  Der Koloss ist eine Diva. US-Praktiker hatten lange vor dem Einsatz gewarnt, inwischen weiß die Ukraine auch warum. Den von manchen zum besten Kampfpanzer der Welt erklärten us-amerikanischen Abrams M-1 plagen in der Gegenoffensive gegen Russlands Invasionsarmee die Wehwehchen – ihm geht mitten im Ukraine-Krieg schlicht die Puste aus. Das hat zwei Gründe, wie das US-Portal Forbes berichtet.

Die größte Schwachstelle der fast 70 Tonnen schweren rollenden Festung sind die Filter in den Ansaugöffnungen der Motoren. Sie verhindern, dass Dreck und Ablagerungen den empfindlichen, aber leistungsstarken Motor des M-1 verschmutzen und zerstören. Sie erfordern eine regelmäßige Reinigung, und das bedeutet: Putzen gegen Putin.

„Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts ist der Einzelpanzer ein immer krasseres Biest geworden“, sagt der Direktor des Deutschen Panzermuseums in Munster, Ralf Raths. Das gelte für den Abrams genau wie für den deutschen Leopard oder die englischen beziehungsweise französischen Modelle, so der Experte gegenüber der Tagesschau: „Sie können aus voller Fahrt schießen und treffen – und das über mehrere Kilometer, auch im Rückwärtsfahren.“ In der Regel hätten die Kampfpanzer auch die leistungsstärkeren Zieloptiken. Das mache sie zu Vorschlaghämmern auf dem Schlachtfeld, sie allein brächten aber noch nicht den Sieg. Die Entwicklung der westlichen Staaten in Sachen Panzerbau habe die in Russland trotzt allem deutlich überholt.

 M1A2 Abrams schießt während einer Übung
Der M-1A mitten in Staub und Dreck: Eigentlich will die Diva da gar nicht hin. Sie ist auch schwer sauber zu halten. © ZUMA Wire/imago-images

Der Fehler – auch des Abrams – liegt im System beziehungsweise in den unterschiedlichen Denkweisen, die dem östlichen und westlichen Panzerbau zugrunde liegen. Russische Panzer, die auch von der Ukraine eingesetzt werden, sind klein, leicht, und ihr Verlust leicht zu verschmerzen. Das galt in der Sowjetunion mitunter sogar für die Besatzungen. Die Ostblock-Panzer sind Einweg-Ware, Wegwerf-Panzer. Das unterscheide sie von den in der Nato verwendeten Modelle, sagt Raths.

Abrams Panzer müssen im Ukraine-Krieg regelmäßig geputzt werden

„Die sowjetische Panzer-Doktrin hat nie das Einzelfahrzeug im Blick gehabt, die westliche Panzer-Doktrin dagegen schon“, führt der Experte aus. „Für die westlichen Panzerbauer war immer von höchster Wichtigkeit, dass das Einzelfahrzeug auf dem Gefechtsfeld so lange wie möglich überlebt; wenn es ausgeschaltet wird, dass es möglichst schnell wieder einsatzfähig gemacht werden kann; und dass innen drinnen die Besatzung auch leistungsfähig bleibt.“

Das allerdings hat die Westpanzer fast bis zur Unbeweglichkeit aufgebläht – und legt den Abrams im aktuellen Kriegsgeschehen in der Ukraine häufiger lahm, schreibt Forbes: Wenn die vierköpfige Besatzung eines Abrams versäumt, die Filter ihres Panzers etwa alle zwölf Stunden zu reinigen, kann dies den Motor stark beschädigen. Dann bleibt manchmal keine andere Wahl, als den Motor und das Getriebe auszubauen und für eine Weile wegzuschicken für eine langwierige Überholung. Die nächste Abrams-Werkstatt wäre – eventuell vom schwer umkämpften Awdiijwka aus – mindestens 1.000 Kilometer entfernt. In Polen.

Wenn die Besatzung jemals einen Fehler macht – und das wird sie tun – geht ein Millionen-Dollar-Motor kaputt, der vor Ort nicht repariert werden kann.

Fahrlässigkeit der eigenen Besatzung ist für die stählerne Verstärkung aus dem Westen insofern genau so tödlich wie eine russische Rakete oder Mine. Der vergleichbare deutsche Leopard 2 ist dagegen so modular gebaut, dass ein kompletter Motorenwechsel im Feld innerhalb von zwei Stunden erfolgen kann. Die Bilder aus den Anfängen des Ukraine-Krieges mit vielen Wracks von T-Panzern resultierten dagegen aus der russischen Panzer-Doktrin: T-Panzer sind nicht für die schnelle Reparatur gebaut. Wenn die Front vorgeschoben wird, wie die Russen das auch vor der Invasion der Ukraine geplant hatten, würden beschädigte T-Panzer sukzessive wieder eingesammelt und dann in aller Ruhe instandgesetzt.

Auch die Vor-Ort-Versorgung des Abrams M-1, den die Ukraine nutzt, bringt deren Logistiker an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit. Was im Vorfeld der Lieferung bekannt war, wie Forbes schreibt: Die 68 Tonnen schweren M-1A1SA, die die Ukraine betreibt, sind durstige Maschinen. In den Wochen bevor die Regierung von US-Präsident Joe Biden der Ukraine Anfang des Jahres den M-1 versprach, machten sich viele Experten und sogar einige Beamte lautstark Sorgen über den Treibstoffbedarf des Panzers. Der US-Panzer fährt mit einer Turbine, ähnlich wie sie ein Flugzeug nutzt. Das macht ihn auch auf dem Gefechtsfeld schnell.

Gegen Putin braucht der Abrams-Panzer im Ukraine-Krieg fähige Mechaniker

Aber das Tempo fordert seinen Tribut. Bis zu 1.500 Liter Treibstoff verbraucht der M-1 auf 100 Kilometern im Gelände unter Volllast. Ein Grund, warum der Nachfolger AbramsX mit einem Hybrid-Triebwerk aus Strom und Diesel laufen wird  – das soll den Durst halbieren, und mit E-Antrieb kann sich der dann höchstens 50 Tonnen schwere Panzer an seinen Gegner heranschleichen wie ein U-Boot.

Militärs betonen wiederholt die Notwendigkeit nicht nur des überlegenen Waffensystems, sondern auch die Notwendigkeit des blinden Verständnisses der Systeme. Die Besatzungen der aktuell in der Ukraine kämpfenden Abrams-Panzer sind in Deutschland ausgebildet worden. Das US-Verteidigungsministerium hatte bereits im Mai angekündigt, vorgreifend auf die Lieferung der Panzer in diesem Herbst, 500 ukrainische Soldaten auf den Truppenübungsplätzen Grafenwöhr und Hohenfels in Deutschland auszubilden – bereits die Ausbildung an der deutschen Panzerhaubitze 2000 war intensiv. Beispielsweise mussten die Displays und die Handbücher auf Kyrillisch umgeschrieben werden. Die Schulungen zielten allerdings nicht allein darauf ab, die Besatzungen auf den Einsatz der Panzer im Gefecht vorzubereiten, sondern auch das Wartungspersonal zu drillen, den Panzer wieder flottzumachen. Selbst unter Feuer.

Abrams-Panzer entpuppt sich im Ukraine-Krieg als Diva

Dabei hatte der Sprecher des US-Verteidigungsministeriums, Luftwaffen-Brigadegeneral Pat Ryder, schon frühzeitig gewarnt vor möglichen Schwierigkeiten: „Ein Schlüsselaspekt der Ausbildung wird sicherlich die Aufrechterhaltung der Kampffähigkeit sein“, sagte er. „Sie haben gehört, wie wir selbst auch diskutiert haben, dass die M-1 eine komplexe Maschine ist, die viel Wartung erfordert, um sie zu erhalten und gefechtstauglich zu machen.“

Eine Diva ist der Abrams M-1 bereits seit seiner Indienststellung Anfang der 1980er-Jahre. Das Überraschungsmoment aller Westpanzer ist der Umstand, dass noch kein Modell unter Beweis stellen musste, wofür es konstruiert worden war: die Leistung in einem Gefecht. Allerdings bildet der Abrams eine kleine Ausnahme: Anfang der 1990er-Jahre hatten ihn die Amerikaner in die Wüste geschickt – gegen den Irak, der zu der Zeit Kuwait überfallen hatte. Ein amerikanische 100 Stunden-Blitzsieg, den zu großen Teilen auch der Abrams M-1 mit errungen hatte, wie militärische Beobachter urteilen. Die Terrainverhältnisse in der irakischen Wüste ermöglichten Panzerangriffe auf breiter Front mit maximaler Waffenentfaltung. Der Erfolg der Bodenoffensive zeigte, dass nebst panzerstarken, durch moderne Helikopter unterstützten Verbänden, das Präzisionsfeuer der Artillerie von zentraler Bedeutung war und eine Gegenwehr praktisch verunmöglichte.

Für ihren Sieg über Russland braucht die Ukraine eher mehr Leoparden

Dabei entfalteten die Panzervorstösse eine selbst für amerikanische Operationen ungewöhnliche Wucht. Beim Duell M-1A1 Abrams gegen die irakischen T-72 Ural zeigten sich die amerikanischen Panzer bezüglich Zielgenauigkeit und Ersttreffer-Wahrscheinlichkeit, vor allem auf Distanzen über 1800 Meter, überlegen. Allerdings machte die US-Diva schon in der Wüste klar, dass sie Dreck hasste – und dass jetzt wieder zu Kopfzerbrechen der Besatzungen führt – wie Forbes schreibt: „Zwei Mal am Tag muss eine M-1-Besatzung den Motor ihres Panzers auf hohe Umdrehungen pro Minute hochdrehen, um ein Impulsstrahlsystem auszulösen, das Luft aus dem Panzer statt in ihn hinein bläst und dabei Staub und Schmutz vom hinteren Gitter schießt.“ Dadurch bleiben die Filter auch bei längeren Einsätzen sauber. 

Bevor die Amerikaner Anfang der 2000er-Jahre das Pulse-Jet-System in den M-1 einbauten, beklagten sich Panzerbesatzungen – insbesondere diejenigen, die in der Wüste kämpften – offen über die Zuverlässigkeit ihrer Fahrzeuge. Die Kritik an dem Boliden flammte vor der Lieferung an die Ukraine auch innerhalb der Führung schnell wieder auf – wie der Kiew Independent berichtet. Vor allem, weil die Ukraine ältere Abrams-Modelle bekommen hat.

„Wenn man den Abrams mit anderen westlichen Panzern vergleicht, ist es einfach eine sehr schwierige Aufgabe – nicht für die Besatzung, sondern für diejenigen, die ihn unterstützen“, sagt Mark Hertling, der pensionierte Generalleutnant der US-Armee und ehemaliger Kommandeur der 1. US-Panzerdivision. Hertling ist Veteran des Unternehmens „Desert Storm“ und des Irakkrieges und zetert gegenüber dem Kiew Independent: „Würde es Sie überraschen, wenn ich Ihnen sagen würde, dass die wichtigste Einheit, die ich als Befehlshaber einer Panzerdivision hatte, keine Kampfwaffeneinheit war, sondern die Unterstützungsbrigade?“ 

Er hätte lieber mehr von den in Europa weit verbreiteten Leoparden an der ukrainischen Front gesehen. „Wenn Sie nicht über die Support-Infrastruktur verfügen, über die Mechaniker, die Reparaturbetriebe, das Teile-Versorgungssystem, die Munitions- und Treibstoffumverteilung, die lange Kommunikationslinie – dann sind all diese großartigen Fünf-Millionen-Dollar-pro-Stückpanzer überhaupt nicht kampffähig.“ Die Diva pfleglich zu behandeln könne der Besatzung beigebracht werden, „aber wenn die jemals einen Fehler macht – und das wird sie tun – geht ein Millionen-Dollar-Motor kaputt, der vor Ort nicht repariert werden kann“.

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