Fremde Autos, keine Krankenwagen: Nawalny-Mithäftling berichtet von „unfassbarem Wahnsinn“
Die Ursache für den Tod von Putin-Kritiker Alexej Nawalny bleibt weiter unklar. Ein Bericht zitiert einen angeblichen Mithäftling des russischen Oppositionellen.
Moskau - Die Sprecherin des Kreml-Gegners, Kira Jarmysch, hat am Samstag (17. Februar) den Tod von Alexej Nawalny bestätigt. Dem Team des russischen Oppositionellen sei mitgeteilt worden, dass sich Nawalnys Leichnam in der Stadt Salechard zur Untersuchung befinde, teilte Jarmysch mit.
Alexej Nawalny ist tot: Zweifel an der Version zur Todesursache aus Moskau
Die Todesursache blieb dagegen auch am Tag nach der Todesnachricht weiter unklar, sein Team sprach von mutmaßlichem Mord. Laut Angaben aus Russland soll Nawalny in einer Strafkolonie bei Charp in der nördlichen Oblast Tjumen am Polaren Ural gestorben sein, und nicht, wie anfangs angenommen, in einem Haftlager in Sibirien. Er sei bei eisigen Temperaturen bei einem Spaziergang zusammengebrochen, hieß es aus Moskau.
Auf der Münchner Sicherheitskonferenz (Siko), wo sich vom 16. bis 18. Februar die internationale Spitzenpolitik trifft, kamen jedoch Zweifel an dieser Version auf. Ein oppositionelles russisches Nachrichtenportal will nun mit einem Mithäftling Nawalnys gesprochen haben, der demnach von Ungereimtheiten in der Nacht vor dem angeblichen Zusammenbruch des Putin-Kritikers berichtete.

Tod von Alexej Nawalny: Gefangener aus Straflager berichtet von Beobachtungen
„Der unfassbare Wahnsinn begann am Abend des 15. Februar. Alles begann damit, dass die abendliche Überprüfung, die von 20 bis 20.30 Uhr stattfindet, stark beschleunigt wurde“, erzählte ein Gefangener des Straflagers IK-3 laut der Nowaja gaseta Europa: „Das passiert oft am Vorabend von Feiertagen, wenn die Wachen es eilig haben, an den Tisch zu kommen. Aber gestern (Freitag, Anm. d. Red.) war kein Feiertag.“
Danach seien die Häftlinge in den Baracken eingesperrt und gewarnt worden, „dass es zwischen den Baracken keinen Verkehr geben dürfe, und die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt würden. Man konnte also nicht einmal die Nase auf die Straße strecken“, schilderte der namentlich nicht genannte Mann laut des Berichts: „Man hörte am späten Abend und in der Nacht dreimal, wie einige Autos in die Zone fuhren. Aber man konnte durch das Fenster nicht sehen, welche es waren.“
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Alexej Nawalny gestorben: Was passierte im Straflager im Norden Russlands?
Wie die Nowaja gaseta Europa weiter schreibt, begann der Morgen des 16. Februars mit einer umfassenden Durchsuchung des Straflagers. Das Koloniepersonal habe mehrere Mobiltelefone, Karten und sogar Heizkessel beschlagnahmt. Der Tod Nawalnys sei laut des Gefangenen innerhalb der Kolonie gegen zehn Uhr Ortszeit kommuniziert worden - also um acht Uhr morgens nach Moskauer Zeit.
„Die Einzelzelle, in der er untergebracht war, befindet sich abseits der Kaserne. Wenn ein Krankenwagen dorthin gefahren wäre, wäre dieser erkennbar gewesen“, meinte der Häftling laut des Nachrichtenportals: „Am Morgen des 16. gab es in der Kolonie aber keine Krankenwagen. Sie erschienen erst, als bekannt wurde, dass Nawalny bereits tot war. Ich denke also, dass Nawalny viel früher als angekündigt gestorben ist. Höchstwahrscheinlich letzte Nacht. Warum war es sonst nötig, uns in der Kaserne einzusperren und am Morgen eine Durchsuchung zu organisieren?“
Ich denke also, dass Nawalny viel früher als angekündigt gestorben ist. Höchstwahrscheinlich letzte Nacht. Warum war es sonst nötig, uns in der Kaserne einzusperren?
Es wirke, heißt es in dem Bericht, dass die Leitung der Strafkolonie im äußersten Norden Russlands einen Befehl ausführen musste, den sie nicht ausführen wollte. Zur Einordnung: Die Nowaja gaseta wurde 1993 als unabhängige und Kreml kritische Wochenzeitung gegründet. Der Gründer der Zeitung, Dmitri Muratow, erhielt 2021 für seine unabhängige Berichterstattung den Friedensnobelpreis. Knapp ein halbes Jahr nach Beginn des Ukraine-Kriegs entzog ein Moskauer Gericht der Nowaja gaseta am 5. September 2022 die Drucklizenz sowie am 15. September die Website-Lizenz.
Tod von Alexej Nawalny: 2020 gab es einen Giftanschlag auf den Putin-Kritiker
Ins Ausland geflohene Redakteure betreiben jedoch seit Mai 2022 die Online-Nachrichtenseite Nowaja gaseta Europa. Sie sollen weiterhin informelle Kontakte in ihre Heimat haben. Die Familie und das Team Nawalnys sollen verschiedenen Berichten zufolge derweil die Übergabe seines Leichnams fordern, um eine unabhängige Obduktion durchführen zu können. Der Jurist, der nur 47 Jahre alt wurde, war für Kreml-Autokrat Wladimir Putin selbst dann eine Herausforderung, als er seit Januar 2021 aus den fadenscheinigsten Gründen inhaftiert worden war.
Immer wieder kamen Machenschaften des Moskauer Zirkels an die Öffentlichkeit. War er für den russischen Autokraten letztlich zu gefährlich? Brisant: Auf Putin-Kritiker Nawalny war im August 2020 ein Giftanschlag verübt worden. Ein Labor der deutschen Bundeswehr hatte nach Untersuchungen, Nawalny wurde in Berlin behandelt, ein sowjetisches Nervengift in seinem Körper festgestellt. Woran der Oppositionelle jetzt starb, bleibt (vorerst) ein Rätsel. (pm)