Taiwans AKW-Aus könnte sich rächen – und China in die Hände spielen

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Am Samstag hat Taiwan sein letztes Atomkraftwerk vom Netz genommen. Der Atomausstieg macht das Land verwundbarer, sagen Kritiker – vor allem gegenüber China.

Wahrscheinlich ist es Fluch und Segen zugleich, dass Taiwan eine Insel ist. Ein Segen, weil die Taiwanstraße den demokratisch regierten Inselstaat vom chinesischen Festland trennt und das Land seit Jahrzehnten vor einem Angriff der kommunistischen Volksrepublik bewahrt. Die Meerenge macht eine Invasion zwar nicht unmöglich, aber doch sehr schwierig. Die natürliche Barriere bietet Schutz.

Gleichzeitig aber bringt Taiwans Insellage Risiken mit sich. Denn Militärexperten befürchten, dass China eines Tages die Versorgungswege der Insel einfach abschneiden könnte – um die Taiwaner mit einer langanhaltenden Seeblockade mürbe zu machen. So importiert Taiwan beispielsweise einen Großteil seiner Lebensmittel aus dem Ausland. 2023 fiel die sogenannte Selbstversorgerquote auf einen langjährigen Tiefstand von nur gut 30 Prozent, der Rest muss eingeführt werden. China könnte Taiwan also aushungern.

Taiwan nimmt letzten Meiler vom Netz

Ähnlich verwundbar ist das Land, wenn es um die Energieversorgung geht: Mehr als 97 Prozent von Taiwans Energieverbrauch wird aus dem Ausland gedeckt. Den Löwenanteil im taiwanischen Strommix machten 2024 mit fast 84 Prozent fossile Rohstoffe wie Öl, Gas und Kohle aus. Und die müssen importiert werden. Auch diese Lieferungen könnte China mit einer Seeblockade erschweren oder verhindern. Taiwans Energiebedarf ist hoch, vor allem durch die stromintensive Halbleiterindustrie. Allein Branchenprimus TSMC verbraucht sechs Prozent der gesamten Energieproduktion des Landes.

Dass am Samstag in Taiwan das letzte Atomkraftwerk vom Netz gegangen ist, halten manche in Taiwan deswegen für einen Fehler: Taiwan mache sich dadurch noch abhängiger von Energieimporten aus dem Ausland.

Nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima war auch im Nachbarland Taiwan eine Anti-Atomkraftbewegung entstanden. Die Regierung in Taipeh nahm schließlich nach und nach die Reaktoren des Landes vom Netz, seit 2014 geht der Anteil von Atomstrom am taiwanischen Energiemix kontinuierlich zurück, auf zuletzt rund vier Prozent. Am 17. Mail endete die Betriebsgenehmigung für Reaktor 2 des Kernkraftwerks Maanshan, ganz im Süden der Insel. Taiwan sei dann ein „atomfreies Heimatland“, sagt im Vorfeld der Präsident des Landes, Lai Ching-te.

Das Atomkraftwerk Maanshan im Süden Taiwans
Das Atomkraftwerk Maanshan im Süden Taiwans: Am Samstag geht der letzte Reaktor des Landes vom Netz. © Joko/Imago

Taiwans Energieversorgung ist abhängig von China-Verbündeten

Ko Ju-chun von der oppositionellen Kuomintang leitet einen Parlamentsausschuss zum Atomausstieg. Er findet es falsch, dass sein Land auch noch den letzten Meiler vom Netz nimmt, das Atom-Aus ist für ihn eine „Idee aus der Vergangenheit“. „Internationale politische Turbulenzen, Unterbrechungen der Schifffahrtsrouten oder Lieferbeschränkungen – selbst von befreundeten Nationen – könnten Taiwan in eine Energiekrise stürzen“, schreibt Ko auf seiner Internetseite. Der Ukraine-Krieg und dessen Auswirkungen auf die Energieversorgung in Europa hätten das eindringlich gezeigt.

Vor allem beim Öl ist Taiwan verwundbar. 2023 importierte der Inselstaat rund ein Drittel seines Rohöls aus Saudi-Arabien, gefolgt von Kuwait. Eine gefährliche Abhängigkeit, denn die Beziehungen zwischen den arabischen Staaten und China – dem weltgrößten Rohöl-Importeur – werden immer enger. Laut einer Analyse der US-Denkfabrik Atlantic Council ist es durchaus denkbar, dass die Golfstaaten ihre Öl-Exporte nach Taiwan auf chinesischen Druck hin einstellen.

Taiwan müsste dann andere Lieferanten finden – nicht einfach, aber machbar, so die Analyse. So erhöht Taiwan schon seit Jahren seine Ölimporte aus den USA deutlich, allein zwischen 2022 und 2023 stieg der Anteil der USA an den gesamten Ölimporten des Landes um gut 31 Prozent. Bei Flüssigerdgas (LNG) und Kohle ist schon länger Australien der wichtigste Lieferant für Taiwan, ein Land, das seit Jahren einer der schärfsten Kritiker Pekings ist. Auch diesen Lieferweg aber könnte Peking abschneiden.

Während Kohlevorräte relativ einfach angelegt werden können, ist das bei LNG schwieriger. Sollte China Taiwan von der Außenwelt isolieren, wären die Erdgasvorräte des Landes laut Berechnungen der taiwanischen Energiebehörde schon nach elf Tagen aufgebraucht, die Kohlelager wären nach 39 Tagen leer. Beim Öl sieht es besser aus, die Vorräte sollen 146 Tage reichen.

Taiwan zieht Lehren aus dem Ukraine-Krieg: Auch Atomkraftwerke sind angreifbar

Es sei entscheidend, dass Taiwan seine Energieversorgung weiter diversifiziere, sagte der Analyst Sheu Jyh-Shyang vom regierungsnahen Institute for National Defense and Security Research unserer Redaktion. „Das ist wichtig für die Resilienz des Landes.“ Ohne Atomkraft stünde Taiwan im Kriegsfall zwar schlechter da als mit laufenden Meilern, sagt Sheu. Er verweist aber darauf, dass auch Atomkraftwerke angreifbar sind. „Das können wir im Ukraine-Krieg beobachten“, sagt der Analyst. Dort war es seit Beginn der russischen Vollinvasion immer wieder zu Störfällen an AKWs gekommen. Hinzu kommt: Auch Brennstäbe müssen aus dem Ausland importiert werden. Über ein Endlager für Atommüll verfügt Taiwan ebenfalls nicht.

Mitte letzter Woche, nur wenige Tage vor dem geplanten Atom-Aus, verabschiedete Taiwans Parlament ein Gesetz, das die mögliche Laufzeit von Reaktoren um 20 Jahre verlängert. Laut dem taiwanischen Präsidenten Lai sollte Maanshan 2 dennoch am Samstag vom Netz gehen. Ziel sei weiter ein „atomfreies Heimatland“, erklärte Lai. Dennoch könne er sich vorstellen, dass Taiwan eines Tages wieder Atomstrom produziert – mithilfe neuer Reaktortechnologien.

Für Heinz Smital, Kernphysiker und Atom-Experte bei Greenpeace, ist das keine Lösung – solche neuen Technologien seien schlicht viel zu teuer und würden sich nicht rechnen. Vielmehr müsse Taiwan verstärkt auf Erneuerbare setzen. „Vor allem bei Solarenergie hat Taiwan die besten Voraussetzungen“, sagte Smital unserer Redaktion. „Im Sommer, wenn der Strombedarf wegen der vielen Klimaanlagen sehr hoch ist, scheint auch die Sonne besonders häufig.“ Es sei „erstaunlich“, dass Taiwan nicht mehr in Erneuerbare investiere.

China erhöht den Druck auf Taiwan

Die Regierung in Taipeh will das Land zwar bis 2050 klimaneutral machen. Dazu soll der Anteil der Erneuerbaren am Energiemix kontinuierlich steigen, in diesem Jahr auf 20 Prozent. Laut einer Prognose des taiwanischen Wirtschaftsministeriums dürften tatsächlich aber nur 15 Prozent erreicht werden, im 2024 waren es knapp zwölf Prozent. Die Gründe für den schleppenden Ausbau der Erneuerbaren sind vielfältig, so konkurrieren im dicht besiedelten Taiwan etwa Solaranbieter und Landwirtschaftsunternehmen um die knappe Ressource Land. Auch für KMT-Politiker Ko ist Solarenergie nicht zwingend eine Lösung: „Über 50 Prozent der weltweit hergestellten Solarmodule und Komponenten kommen aus China“, schreibt er. Das würde neue Abhängigkeiten schaffen.

Derweil macht die Volksrepublik China ihre Ansprüche auf Taiwan immer deutlicher. Regelmäßig führt Peking großangelegte Militärmanöver rund um Taiwan durch, als Übung für eine mögliche Invasion und um die Bevölkerung des Inselstaats einzuschüchtern. Zuletzt startete China Ende März eine fünftägige Militärübung in der Region. Ein erklärtes Ziel des Manövers: „Taiwan von allen Seiten einzukesseln“, wie es Chinas Militär ausdrückte. Es war ein bitterer Vorgeschmack auf das, was Taiwan eines Tages bevorstehen könnte.

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