Unerwartete Konsequenzen: Karrierekiller Freizeit? Wie das Abschalten nach Feierabend Ihre Jobchancen beeinflusst

Was hat es für Konsequenzen, wenn Arbeitnehmer ihre Freizeit priorisieren?

Chefs bestrafen das Abschalten in der Freizeit. Obwohl Firmen Erholung propagieren, benachteiligen viele Vorgesetzte Mitarbeitende, die nach Feierabend wirklich abschalten. Das zeigt eine neue Studie.

Die in der Fachzeitschrift Organizational Behavior and Human Decision Processes veröffentlichte Studie zeigt: Manager bewerten „Offline“-Mitarbeitende zwar als erholter und produktiver, stufen sie in Beurteilungen jedoch konsequent als weniger engagiert und weniger beförderungswürdig ein als Kollegen, die auch abends oder im Urlaub erreichbar bleiben.

Diese Sanktion bewirkt drei zentrale Effekte:

  1. Verringern sich die Karrierechancen der Abschaltenden. Wer keine E-Mails nach Dienstschluss beantwortet, gilt als weniger loyal und ist seltener für anspruchsvolle Aufgaben eingeplant oder für Leitungsfunktionen im Rennen.
  2. Fördert die Bestrafung von Erholung das Entstehen einer Burn-out-Kultur, weil formelle Gesundheitsprogramme im Alltag unterlaufen werden. Trotz teurer Initiativen bleibt die Erwartung bestehen, jederzeit verfügbar zu sein und echte Regeneration findet kaum statt.
  3. Verschlechtert sich das Betriebsklima insgesamt: Mitarbeitende orientieren ihr Verhalten an der Präsenz ihrer Vorgesetzten, anstatt auf nachhaltige Leistungsfähigkeit zu setzen, was zu höherer Fluktuation und steigenden Krankheitskosten führt.

Über Emma-Isadora Hagen

Emma-Isadora Hagen übernahm mit 22 Jahren Verantwortung als Führungskraft im Konzern und lenkte bis zuletzt als General Sales Managerin ein Team von rund 200 Mitarbeitenden und 19 Führungskräften und Nachwuchsführungskräften. Modernes Leadership und New Work zählen zu ihren Spezialgebieten. Als moderne Managerin setzt sie sich dafür ein, die Arbeitswelt zukunftsfähig zu gestalten. Neben ihrer Tätigkeit als General Sales Managerin, Führungskraft und Mentorin startete sie im Oktober 2022 ihre berufliche Sichtbarkeit in den sozialen Medien. Ihre Beiträge auf LinkedIn erreichen im Jahr über zwei Millionen Leser. Von LinkedIn wurde sie als Top-Voice ausgezeichnet.

Gleichzeitig profitieren Abschaltende persönlich von besserer mentaler Gesundheit, geringerem Stress und einem geringeren Burn-out-Risiko. Langfristig arbeiten sie kreativer und treffen fundiertere Entscheidungen, da Erholung nachweislich die kognitive Leistungsfähigkeit steigert. 

Doch in vielen Organisationen gilt Sichtbarkeit als primärer Engagement-Indikator – ein Wahrnehmungsfehler, der Mitarbeitenden schadet und die Investitionen in Gesundheitsprogramme ad absurdum führt. Nur wenn Abschalten nicht länger als Schwäche, sondern als essenzielle Ressource wertgeschätzt wird, lassen sich die Ziele einer gesunden und produktiven Arbeitswelt wirklich erreichen.

Welche Vorteile hat es, wenn Arbeitnehmer eine ausgewogene Work-Life-Balance haben?

Diese Denkweise ignoriere jahrelange Forschung, denn eine ausgewogene Balance zwischen Berufs- und Privatleben ist mehr als ein Trend. Weitreichende wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Mitarbeitende mit klar definierten Erholungsphasen produktiver und kreativer agieren. Regelmäßige Auszeiten stärken das Immunsystem, senken das Stresslevel und fördern die kognitive Leistungsfähigkeit, also zentrale Faktoren für präzises Arbeiten und Innovationskraft.

Erholte Mitarbeitende melden seltener psychosomatische Beschwerden und weisen insgesamt niedrigere Fehlzeiten auf. Darüber hinaus steigert eine gute Work-Life-Balance die Mitarbeiterzufriedenheit nachhaltig.

Wer Arbeit und Privatleben im Griff hat, erlebt weniger Konflikte zwischen beruflichen Anforderungen und familiären Verpflichtungen. Dies wirkt sich wiederum positiv auf die Unternehmensbindung aus. Loyalität und Identifikation mit dem Arbeitgeber wachsen, wodurch Fluktuationsraten sinken und Kosten für Recruiting und Einarbeitung reduziert werden.

Also wissen wir bereits, dass auf Unternehmensebene eine Kultur der Balance zu einem besseren Betriebsklima führt.

Wie kam es zu den Studien Ergebnissen?

Die Untersuchung von Eva Buechel (Universität Hongkong) und Elisa Solinas (IE Business School) basiert auf einem umfangreichen Vignetten-Experiment. In 16 kontrollierten Einzelerhebungen erhielten insgesamt 7 800 Führungskräfte fiktive Mitarbeiterprofile, die in allen Leistungskennzahlen identisch waren, einzig ihr Freizeitverhalten variierte. Ein Beispiel: Ein Profil enthielt eine Abwesenheitsnotiz für ein Wochenende, das andere nicht.

Die teilnehmenden Manager beurteilen anhand dieser Profile sowohl subjektive Einschätzungen (Engagement, Beförderungswürdigkeit) als auch wahrgenommene Produktivität.

In allen Studien präferierten die Manager zwar diejenigen, die über das Wochenende von der Arbeit abgeschaltet hatten, denn sie waren nach ihrer Rückkehr erholter und produktiver. Sie erkannten somit die positiven Auswirkungen einer ausgewogenen Work-Life-Balance auf die Mitarbeiterleistung. 

Sie bestraften jedoch denselben Mitarbeiter in Beurteilungen und stuften ihn durchweg als weniger engagiert und weniger beförderungswürdig ein als seine Kollegen. Diese Diskrepanz verdeutlicht einen systematischen Wahrnehmungsfehler: Engagement wird an Verfügbarkeit gemessen, nicht an tatsächlicher Leistung.

Die Chefs hielten an ihrer Entscheidung fest, selbst wenn der sich abgrenzende Mitarbeiter seine Arbeit objektiv besser erledigte, keiner der beiden Mitarbeiter während seiner Freizeit tatsächlich arbeitete und der Grund für die Abgrenzung tugendhaft war, wie die Pflege eines kranken Familienmitglieds.

Was sind die Konsequenzen, dieser Ergebnisse und Arbeitskultur?

Die Studie offenbart, dass selbst Führungskräfte, die offiziell Erholung befürworten, insgeheim Mitarbeiter benachteiligen, die klare Grenzen ziehen. Dieses Paradox führt zum Aufbau einer Burn‐out‐Kultur: Offizielle Gesundheitsprogramme verlieren an Wirkung, wenn im Alltag das Gegenteil gelebt wird.

Auf individueller Ebene steigt dadurch das Risiko chronischer Erschöpfung. Arbeitnehmer können Erholungsangebote kaum nutzen, da sie mit negativen Karriereaussichten rechnen müssen. Auf der organisatorischen Ebene führt dies zu hohen Fehlzeiten, steigenden Krankheitskosten und niedriger Mitarbeiterbindung. Die Glaubwürdigkeit von HR-Initiativen erodiert, wenn deren Ziele nicht durch das Verhalten der Führungskräfte gestützt werden.

Langfristig gefährdet dieses System die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Eine Kultur, die ständige Verfügbarkeit über echte Regeneration stellt, erstickt Kreativität und Leidenschaft.

Nur wenn wir Abschalten nicht länger als Schwäche, sondern als unverzichtbare Ressource begreifen, können wir gesunde und leistungsfähige Arbeitswelten gestalten. 

Es liegt an jedem Einzelnen und besonders an den Führungskräften, diesen Wandel jetzt entschlossen voranzutreiben.

Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.